
Johannes 20,11-18
…ich habe dich bei deinem Namen gerufen… | Ostersonntag | 20.04.2025 | Joh 20,11-18 | Peter Schuchardt |
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen
Der Predigttext für diesen Ostersonntag steht bei Johannes im 20. Kapitel (Hinweis: Ich habe Joh 20,1 mit in die Lesung hineingenommen)
1Am ersten Wochentag nach dem Sabbat ging Maria aus Magdala zum Grab. Da sah sie, dass der Stein vor der Grabkammer weggenommen war. 11Sie blieb draußen vor dem Grab stehen und weinte. Mit Tränen in den Augen beugte sie sich vor und schaute in die Grabkammer hinein. 12Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern dort sitzen, wo der Leichnam von Jesus gelegen hatte. Einer saß am Kopfende, der andere am Fußende. 13Die Engel fragten Maria: »Frau, warum weinst du?« Maria antwortete: »Sie haben meinen Herrn weggenommen. Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!« 14Nach diesen Worten drehte sie sich um und sah Jesus dastehen. Sie wusste aber nicht, dass es Jesus war. 15Jesus fragte sie: »Frau, warum weinst du? Wen suchst du?« Maria dachte: Er ist der Gärtner. Darum sagte sie zu ihm: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast, dann sage mir, wo du ihn hingelegt hast. Ich will ihn zurückholen!« 16Jesus sagte zu ihr: »Maria!« Sie wandte sich ihm zu und sagte auf Hebräisch: »Rabbuni!« – Das heißt: »Lehrer«. 17Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht hinaufgegangen zum Vater. Aber geh zu meinen Brüdern und Schwestern und richte ihnen von mir aus: ›Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.‹«18Maria aus Magdala ging zu den Jüngern. Sie verkündete ihnen: »Ich habe den Herrn gesehen!« Und sie erzählte, was er zu ihr gesagt hatte. (Joh 20, 1.11-18 BasisBibel)
Liebe Schwestern und Brüder,
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“[1] Viele von euch kennen dieses Wort aus dem Propheten Jesaja. Es ist ein beliebter Taufspruch. Denn er spricht davon, dass Gott unsere Namen kennt, jeden einzelnen. Der Name, das ist der Inbegriff unseres Lebens. Gott kennt die Schritte, die wir gegangen sind und die wir gehen. Und er wird auch am Ende, wenn unser Weg endet, bei uns sein. Denn er hat uns erlöst, er hat uns befreit. Wir gehören zu ihm. Das möchten Eltern gerne ihrem Kind mitgeben. Auch am Ende des Lebens, bei mancher Trauerfeier, wenn das Leben des Verstorbenen mit seinen Höhen und Tiefen in Gedanken noch einmal vorbeizieht, dann ist das der große Trost: Gott kennt das alles, und er wird den Verstorbenen in sein ewiges Reich des Friedens tragen. Das ist die Hoffnung der Trauernden, die Abschied nehmen müssen. Ein Trost- und Hoffnungswort, dass das ganz Leben umspannt.
Heute feiern wir das Heilige Osterfest. Christus ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden! Das rufen sich die Jünger und Jüngerinnen Jesu voller Freude am Ostertag zu. Drei Tage zuvor, am Karfreitag, war Jesus am Kreuz gestorben. Alles schien vorbei: Die Freude, das Glück, die Hoffnung darauf, dass er der Auserwählte Gottes, der Retter sei. Mit ihm sollte eine neue Zeit, voller Hoffnung und Vertrauen anbrechen. Doch die Hoffnung darauf war mit Jesus am Kreuz gestorben. Aber nun, am Ostermorgen, ist mit einem Mal alles anders. Aus der Trauer wird Freude, aus Hoffnungslosigkeit Zuversicht, aus Finsternis strahlendes Licht. Denn Christus ist auferstanden! Die erste, die dieses wunderbare Wort weitersagen darf, ist Maria von Magdala. Maria Magdalena, so wird sie auch genannt, geht aber einen langen Weg, bis sie diese Freude erlebt und das sagen kann. Sie war schon lange den Weg mit Jesus gegangen. Sie war eine seiner vielen Jüngerinnen. Das war ja das Besondere an Jesus: Alle durften ihm nachfolgen, Männer und Frauen, er machte das keine Unterschiede, er schloss niemanden aus. Es brauchte lange, bis die Kirche die tiefe Wahrheit voll und ganz erkannte, dass vor Gott und in der Kirche Frauen und Männer gleich sind, doch der Grund wird von Jesus schon ganz am Anfang gelegt. So war Maria zu Jesus gekommen. Er hatte sie befreit von sieben Dämonen[2]. Heute würden wir sagen, von einer psychischen Erkrankung. Die Dämonen aber hatte voll und ganz von Maria Besitz ergriffen, das will die Zahl sieben ausdrücken. Sie stand unter dem Kreuz, als Jesu starb[3]. Sie weinte am Grab, als Jesus dort am Abend des Karfreitags hineingelegt wird[4]. Das alles ist nun drei Tage her. Schon früh am Sonntagmorgen, als es noch dunkel ist, macht Maria sich auf zum Grab. Sie will noch einmal dorthin, wo Jesus nun auf ewig liegt. Die Stimme, die so viel Gutes gesagt hat, ist verstummt, die Hände, die so viele Menschen gesegnet haben, sind kalt und leblos. Doch sie will dahin, will trauern, weinen und klagen. Viele von euch kennen das, liebe Schwestern und Brüder. Ihr geht zum Grab des geliebten Menschen, schüttelt den Kopf, weil ihr es immer noch nicht versteht, oder sagt Danke für die gemeinsame Zeit. So macht Maria sich auf in den beginnenden Morgen. Ob sie überhaupt Augen dafür hat, dass die Sonne sich anschickt aufzugehen und ein neuer Tag beginnt? Ihre Augen sind voller Tränen, immer wieder überrollt die Trauer sie wie eine Welle. Doch als sie am Grab ankommt, erfasst sie Entsetzen: Der Stein vor der Öffnung ist weggerollt! Wer hat das getan? Sie braucht Zeit, um zu begreifen, was da geschehen ist, und bleibt vor dem Grab stehen. Schließlich wagt sie es und blickt hinein in die Grabkammer. Der Leichnam Jesu ist nicht mehr da. Doch zwei Engel sitzen dort, wo sie ihn am Freitag hingelegt hatten. Sie hat das Bild noch vor Augen. Doch da ist kein Leichnam mehr, kein Jesus. Nichts. Und da, wo der Kopf und die Füße Jesu lagen, sitzen nun die Engel. Ob Maria sie als Boten Gottes erkennt? Der Schmerz und die Trauer lassen ihr nun wieder die Tränen in die Augen schießen. Die Engel fragen: „Frau, warum weinst du denn?“ Maria kann nur sagen: „Sie haben meinen Herrn weggenommen.“ Denn das war Jesus ja für sie: der Herr, der Befreier, der voll von Gottes Liebe war. Diesen Herrn vermisst sie und nun kann sie nicht einmal an seinem Grab trauern. Denn das Grab ist leer. Das tut weh, wenn für die Trauer nicht einmal mehr der Ort da ist, wo ich weiß: hier liegt nun der Mensch, der mit so viel bedeutet hat. Doch nun tritt Jesus zu ihr. Der Auferstandene. Maria kann ja den Leichnam nicht mehr sehen, weil Gott diesen Leichnam zu einem neuen, anderen, ewigen Leben auferweckt hat. Und dieser Jesus steht vor ihr. Doch Maria kann das nicht sehen, die Tränen verhüllen ihr den Blick, und der Schmerz und die Trauer lassen sie noch nicht erkennen, was hier passiert ist. Mit dem neuen Sonntagmorgen ist das ganz Unerwartete, das ganz Andere, geschehen. Christus ist auferstanden! Und der auferstandene Christus fragt Maria, genau wie die Engel: „Frau, warum weinst du denn?“ Maria hält Jesus für einen Gärtner. Vielleicht hat der ja das Grab geöffnet und den toten Jesus weggenommen. „Sagt mir doch, wo ihr ihn hingebracht habt!“, fleht sie ihn an, „ihn will ihn zurückholen und wieder in das Grab legen. Niemand soll je wieder seine Ruhe stören.“ Und dann sagt Jesus nur ein Wort: „Maria!“ Er nennt ihren Namen, so wie er es so oft getan hat, seit er sie geheilt hatte, als sie auf dem Weg waren nach Jerusalem. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ So wie Gott zu dem Volk Israel und zu uns spricht, so redet er nun Maria an. Und als er sie mit ihrem Namen ruft, erkennt sie, wer da vor ihr steht: Es ist Jesus! „Rabbuni“, sagt sie zu ihm, „mein geliebter Lehrer“. Doch Jesus ist mehr als der Lehrer, mehr als der Heiler, mehr als der große Menschentröster. Er ist der Sohn Gottes, der mit seiner Liebe die Macht des Todes gebrochen hat und lebt. Wenn Maria „mein Lehrer“ sagt, dann blickt sie zurück auf die Zeit vor der Kreuzigung, auf die Zeit, die nun hinter ihr und auch hinter Jesus liegt. Nun aber beginnt das Neue, die große Hoffnungszeit, die Zeit, in der alle Menschen getröstet werden sollen mit diesem Wort: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Wenn Jesus den Tod und alle Todesmächte überwunden hat, dann hat er das für uns getan. Das ist nun die neue Zeit, Heilszeit. Jesus weiß, dass Maria zurückblickt. Darum lenkt er ihren Blick nach vorn. „Guck nach vorne, Maria, du musst mich nicht festhalten mit deinen Gedanken bei dem, was war. Was ich gesagt und getan habe, das ist wichtig, und ihr sollt weiter davon erzählen. Aber nun gehe ich hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Das ist das völlig neue. Wir sind verbunden durch die Liebe Gottes mit ihm, dem Vater aller Menschen und untereinander zu der großen Gemeinschaft der Kirche, die auf den Gott der Liebe und Vergebung vertraut. Und Maria ist die erste, die diese wunderbare Botschaft weitersagen darf. Sie ist die erste Apostelin, Botin der grenzenlosen Liebe Gottes. Sie erzählt von der innigen Verbindung zwischen dem Vater und dem Sohn, die nun über die Welt herrschen und bei uns sind im Hl. Geist. Sie erzählt von dem wunderbaren Ostererlebnis, dass Jesus ihr schenkt: „Ich habe den Herrn gesehen!“
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Dies Wort ist für mich der Schlüssel für diese Ostergeschichte. Ich weiß: Kluge Männer und Frauen haben seit Jahrtausenden versucht, das Wunder und das Geheimnis von Ostern zu ergründen. Doch nicht durch wissenschaftliches Forschen, so spannend es auch sein mag, entsteht Glaube. Glaube entsteht aus der Beziehung zu Christus. Andere haben behauptet: „Ach, das waren doch bloß Wunschvisionen der ersten Jünger. Sie wollten einfach nicht wahrhaben, dass Jesus endgültig tot und sein Weg zu Ende ist.“ Spielen wir, liebe Schwestern und Brüder, diesen Gedanken doch einmal durch. Die ersten Jünger wie Maria hatten in ihrer Trauer sich nur eingebildet, Jesus sei auferstanden. Ich sage euch: Die Begeisterung, der Trost, das Vertrauen zu Jesus wäre doch schon längst verflogen, spätestens, als die ersten Jünger wie Maria gestorben sind. Wir wüssten nichts mehr von Jesus, wir wären heute Morgen gar nicht hier.
Nein, es geht um etwas anderes. Jesus Christus ist auferstanden. Er zeigt: Nicht einmal der Tod ist eine Grenze für Gottes Liebe[5]. Und dieses Lebenswort möchte er in die Herzen der Menschen bringen. Darum erkennt Maria ihn erst, als er ihren Namen ausspricht. Denn damit berührt er ihr Herz. Uns so will Jesus, der auferstandene, lebendige Christus, auch heute unsere Herzen berühren. Er spricht uns an in seinem Wort. Wir spüren seine Hingabe, wenn wir das Abendmahl feiern. Er tröstet uns, wenn wir traurig sind. Er freut sich mit uns, wenn wir fröhlich und glücklich sind. Denn Christus kennt unsere Namen. Er kennt uns, jeden und jede einzelne. Und er will uns freimachen von allem, was unsere Freude und unser Glück einschränken. Das größte Geschenk an uns ist der Glaube, das Vertrauen zu Gott. Dieses Vertrauen lässt uns leben. Und es lässt uns hoffen: Gottes Liebe überwindet alles Böse, sie wirkt schon jetzt in dieser Welt und lässt uns frohen Mutes unsere Wege gehen. Dietrich Bonhoeffer, an dessen Ermordung vor 80 Jahren nun an vielen Orten erinnert wurde, hat es so gesagt: „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln.“ Nein, er wird hoffen, voll Vertrauen auf den Auferstandenen, der an unserer Seite ist. Gestern heute und an allen Tagen, die kommen werden. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“
Ich wünsche euch allen frohe und gesegnete Ostern!
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen
Liedvorschläge:
EG 99 Christ ist erstanden
EG 100 Wir wollen alle fröhlich sein
EG 116 Er ist erstanden, Halleluja
HELM (Beiheft der Nordkirche Himmel, Erde, Luft und Meer) 72 Ich bin das Brot
Pastor Peter Schuchardt
Bredstedt
E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de
Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).
[1] Jes 43,1
[2] Lk 8, 1-3
[3] Joh 19,25
[4] Mk 15,47 Parr.
[5] Rö 8,38-39