Johannes 20,19-31

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Die Gnadengabe des Zweifels | Quasimodogeniti | 27. 04. 2025 | Johannes 20,19-31 (dänische Perikopenordnung) | Christiane Gammeltoft-Hansen |

Wenn es wackelt, wollen wir gerne feststehen. Das ist natürlich. Wenn du zu fallen drohst, greifst du instinktiv nach etwas, woran du dich halten kannst. Das gilt nicht nur physisch, das gilt auch geistig.

In dieser Zeit kann man leicht in Zweifel kommen. Wohin geht der Weg für uns? Ja, das wissen wir ja nie mit Sicherheit, aber die Unsicherheit nimmt zu, wenn die altbekannte Weltordnung ins Wackeln gerät. Es kann gut sein, dass das tägliche Leben sich selbst mehr oder weniger gleicht in unserem eigenen kleinen Umfeld, aber die Welt hat sich verändert. Zum Glück gibt es Leute, die eine gemeinsame Besinnung auf den Weg bringen. Es bedarf aber mehr Hilfe in dieser Zeit, denn es ist als spielten zurzeit alle gegen alle.

Die Welt ist nie ein gemeinsamer Ort gewesen, aber mehr als früher sind wir uns der Spaltung bewusst. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute erhalten wir Neuigkeiten darüber, wie es draußen zugeht. Und jeder kann die eigene kleine Nachrichtenstation sein und von einem Regierungsbüro, einem Wirtschaftsbetrieb oder seinem Sofa zuhause Nachrichten verschicken. Dann liegt es an uns zu sortieren. Ist das richtig oder falsch? Wahr oder falsch? Tatsache oder Erfindung?

Natürlich sind Zweifel angebracht in dieser Zeit – auch in dieser Zeit. Es kann anstrengend sein und schmerzhaft zu zweifeln, im Unklaren zu leben. Aber Zweifel kann auch eine Gnadengabe sein, die Gnadengabe der Besonnenheit. Einen Finger heben mitten unter überzeugten Leuten, und eine Frage, ob dies nun auch der richtige Weg ist, der richtige Entschluss, die beste Bewahrung unserer gemeinsamen Welt. Zweifel kann ein Anlass zu etwas gesunder Selbstkritik sein, eine Aufforderung zu einer größeren Aufmerksamkeit und eine Erinnerung daran, dass wir einander nicht überlegen sind. Wo würden wir hinkommen, wenn da niemand wäre, der zweifelt?

Thomas zweifelt, aber er hat dafür in der Geschichte der Kirche kein Lob bekommen. Er ist nicht dargestellt worden als ein Held des Zweifels und Personifizierung der Gnadengabe des Zweifels. Er ist viel mehr das Bild für die verfehlte Reaktion des Ungläubigen. Und dennoch, Thomas verhält sich im Grunde nur abwartend. Er hat einen Finger erhoben mitten in der Schar von Überzeugten.

Es ist leicht, Thomas zu kritisieren, denn Glaube kommt nicht aus wissenschaftlichen Beweisen. Und bittet Thomas nicht darum, um Tatsachen, auf die er seinen Glauben bauen kann? Ein Finger, nicht in die Luft gestreckt, sondern an die Seite Jesu. Aber in der Tat, man könnte auch darauf verweisen, dass er etwas zögert, indem er danach fragt, wo Gott für ihn ist.

„Glaubst du an Gott?“ Thomas antwortet nicht direkt, und wird dafür getadelt. Wie würden wir selbst antworten in einer unsicheren Zeit? Antworten wir instinktiv mit einer Ablehnung oder einer Zusage, oder muss es uns gleichsam aus dem Munde gezogen werden? Freuen wir uns darüber, gefragt zu werden oder ist uns das unangenehm? Ein Unbehagen an einer Prämisse, die hinter der Forderung nach so einem Bekenntnis steht? Denn setzt die Frage: „Glaubst du an Gott?“ nicht voraus, dass die Welt in Gläubige und Ungläubige aufgeteilt werden kann? Ist das aber möglich? Gibt es den ungläubigen Menschen überhaupt? Selbst der ungläubige Thomas stand auf an einem Sonntagmorgen, eine Woche nachdem die Frauen das Grab leer gefunden hatten. Wie kam er aus seinem Bett, wenn nicht etwas war, was ihn gerufen hatte hinein in den Tag, und das obwohl der Tod Jesu so präsent war? Hätte er sich angezogen, die Tür geöffnet und sich auf den Weg gemacht, wenn da nicht irgendein Zutrauen darauf gewesen wäre, dass da noch immer ein Leben war, das gelebt werden soll? Und hätte er das nicht einfach verneint, als sie sagten, dass Jesus lebt, wenn der Glaube ganz abwesend gewesen wäre? Stattdessen aber öffnet sich Thomas ein wenig dafür, dass dies tatsächlich wahr ist. „Wenn“, sagt Thomas. „Wenn ich die Hand in die Seite des Auferstandenen stecke“. „Wenn“, das ist der Konjunktiv des Zweifels.

Es ist nicht möglich, ohne Glauben zu existieren. Wir glauben an den Zahnarzt, sonst würden wir den Mund nicht öffnen. Wir glauben an den Arzt, sonst würden wir die Medizin nicht einnehmen. Wir glauben an den Zimmermann, sonst würden wir ihn nicht das reparieren lassen, was kaputt gegangen ist. Wir glauben an den Elektriker, sonst würden wir vor jedem Stecker Angst haben. Wir glauben an die historische Überlieferung – denn selbst waren wir ja nicht Zeugen dessen, was früher geschah. Und selbst das, dessen Zeugen wir sind, erfordert Glauben. Dass gemeint ist, was gesagt wird. Glaube daran, dass unsere Augen richtig sehen und dass unsere Ohren hören, was wirklich gesagt wird.

Wie würden wir selbst reagiert haben, wenn wir Jesus erlebt hätten? Vielleicht wie Thomas, ja höchst wahrscheinlich wie Thomas. Es ist schwer, sich auf der Stelle zu entscheiden. Unser Glück und unsere Gnadengabe bestehen darin, dass da in all den Jahren verständige, geistvolle Menschen gewesen sind, die das Christentum ausgelegt, erzählt und gedeutet haben, so dass es für uns lebendig wurde. Paulus, die Evangelisten und die Kirchenväter haben erzählt und ausgelegt, so dass die Bedeutung dasteht wie ein geschliffener Diamant. Einer dieser Kirchenväter, Augustin, lehnte es gerade ab, zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu unterscheiden. Alle sind gläubig, sagte er.

Als Thomas nach seinem Glauben gefragt wird, fragt er stattdessen nach Christus. Er spricht nicht vom Glauben im Singular und beginnt bei sich selbst, er weist weg von sich selbst. Damit verweist er auf etwas Grundlegendes im Christentum. Das Gebot der Nächstenliebe und die Auffassung von der Gemeinde setzen immer mindestens zwei, oft mehrere voraus, in Gesprächen wie in Theorien.

Wenn wir wackeln, suchen wir das, was fest ist. Krisenzeiten sind Zeiten der Bekenntnisse. Das Suchende wird ersetzt durch klare Aussagen. Es muss Ordnung in das Chaos kommen. Das gilt auch, wenn es um Gott geht. Aber die Aussagen des Glaubens können zu eindeutig werden. Als wäre da nichts mehr zu diskutieren, als wäre alles geklärt und als ginge es nur darum zuzustimmen. Das kann zu einem Entweder/Oder werden, entweder bist du dafür oder dagegen, entweder stimmst du zu, oder du bist außen vor.

Thomas ist im Laufe der Zeit zu einer zweifelhaften Person geworden wegen seines Zweifels. Und es sieht denn auch fast komisch aus in Abbildungen, wenn er seine Finger tief in die Wunde steckt. Aber das ist etwas Menschliches an Thomas, dass er sich dazu bekennt, dass wir im Vorläufigen leben, wo wir uns zuweilen abwartend verhalten, manchmal um etwas Besinnung bitten müssen, manchmal einen fragenden Finger heben müssen mitten in der Schar der Überzeugten. Vor allem aber ist Thomas ein Bild dafür, dass Glaube etwas ist, was dazwischen liegt. Glaube ist nicht etwas, was wir für uns selbst haben. Glaube ist keine Leistung, deren hörbarer Ausdruck darin besteht, dass wir ein lautes und bedingungsloses „Ja“ sagen. Glaube ist, dass ein anderer den Finger greift, den wir erhoben haben, und uns zeigt, dass wir in Wirklichkeit auf den gemeinsamen Himmel zeigen. Glaube ist jemand, der uns entgegenkommt und sagt: Du bist nicht allein mit deinem Zweifel in einer unsicheren Welt. Glaube ist ein Friedensgruß. „Friede sei mit euch“, sagt Jesus zu der Schar, die sich hinter geschlossenen Türen befindet, und zu einer Welt, die versucht, eine neue Form vor Ordnung zu finden. „Friede sei mit euch“, das ist Gottes Gnadengabe in einer unruhigen Zeit. „Friede sei mit euch“, das ist die Hoffnung als Vorzeichen für unser Leben. Amen.


Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

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