Johannes 3,1-15

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Trinitatis | 15.06.25 | Johannes 3,1-15 (dänische Perikopemordnung) | Von Anna Jensen |

Wiedergeburt in der Finsternis, die lebendige Hoffnung

An der Hauteingangstür unseres Pfarrhauses sieht man den

Asklepios-Stab im Eichenholz ausgeschnitten. Er ist zum

Verwechseln ähnlich mit der Kupferschlange, die heute im

Evangelium erwähnt wird. Im 4. Buch Mose findet man die

Erzählung, wie die Israeliten die Geduld mit Gott verloren, als

sie auf ihrer Wüstenwanderung waren. Sie klagten zu Gott, dafür

sandte Gott Schlangen, die sie bissen, und viele starben. Als die

Israeliten ihren Fehler einsahen, bat Moses für sie. Dann befahl Gott,

 dass Moses eine Schlange herstellen und sie auf eine hohe Stange

befestigen sollte. Jeder, der von einer Schlange gebissen wurde, aber auf diese Schlange hinaufblickte, rettete sein Leben.

Die Schlange des Moses befindet sich nicht an der Eingangstür des Pfarrhauses, sondern der Stab des Asklepios, Symbol der ärztlichen Wissenschaft und Medizin. Das Haus wurde 1928 errichtet als Wohnung und Praxis für einen Amtsarzt. In der griechischen Mythologie war Asklepios der Heilungsgott, an seinen Tempeln hielt man Äskulapschlangen, die man medizinisch verwendete, zudem kann die Schlange die Haut wechseln, und damit symbolisiert sie die lebenserneuernde Kraft. Diese beiden Symbole – die Kupferschlange des Moses und der Stab des Asklepios – ähneln einander, und vielleicht haben sie sich einmal im Laufe der Geschichte gegenseitig beeinflusst. Eine Schlange kann die Haut wechseln, sie kann einen neuen Anfang machen. Das Evangelium von Trinitatis handelt auch von einem neuen Anfang, von der Wiedergeburt.

Nikodemus war ein vornehmer Mann, er war Pharisäer, Mitglied im Rat der Juden und eine Bewunderer Jesu. Ein Mann in seiner Position konnte nicht offen den selbsternannten Propheten Jesus aufsuchen, deshalb kam Nikodemus zu Jesus in der Nacht. Ein denkwürdiges Gespräch fand zwischen ihnen statt. Es ist als sprächen sie nicht dieselbe Sprache. Jesus sprach von Geist und dem Himmlischen, Nikodemus vom Irdischen. Jesus wollte gerne Nikodemus das Reich Gottes zeigen, aber das erforderte, dass Nikodemus bereit war, auf etwas zu verzichten. Er musste seine Weltanschauung ändern, um das geistliche Reich Jesu zu verstehen. Nikodemus war ein traditioneller Jude. Wenn ein Jude Gott begegnen wollte, musste er etwas im Tempel opfern, das konnte eine Taube sein oder ein Kitz.

Was Jesus dem Nikodemus zeigte war dies, dass Gott Geist ist, er ist nicht nur im Tempel. Wenn du Gott begegnen willst, musst du im Glauben in deinem Herzen suchen. Im Johannesevangelium findet die Situation mit der Tempelreinigung statt kurz vor der Begegnung mit Nikodemus. Es war Ostern, und Jesus war nach Jerusalem gekommen. Als er den Tempel sah und den Handel mit Opfertieren, machte eine Peitsche aus Stricken und verjagte alle Handelnden. „Reißt den Tempel nieder“, sagte er, „und ich will ihn in drei Tagen wieder aufbauen“. Der alte jüdische Glaube sollte einem Glauben an das geistliche Reich Gottes weichen.

In allen guten Erzählungen muss der Held eine Verwandlung durchmachen. Um seinen Charakter zu zeigen. So wie eine Schlange die Haut wechselt, muss der Held das Alte ablegen, um in seiner neuen Gestalt zu erscheinen. Die Entkleidung geschieht durch Prüfungen und Leiden in der Finsternis. In Harry Potter muss Harry ganz in den finsteren Wald. Er glaubt nicht, dass er das durchsteht, er ergibt sich ohne Kampf, so dass Voldemort ihn tötet, aber es zeigt sich, dass nur ein Teil von Harry untergegangen ist. Abgeklärt kommt er aus dem Wald, nun mit voller Kraft zu kämpfen und zu gewinnen. Im Herr der Ringe soll der kleine gutgläubige Hobbit durch grauenhafte Länder gehen und der Versuchung des schweren Rings widerstehen. Auf dem Wege wird er abgehärtet, so dass er das Wesen wird, das die Welt vor dem Fürsten der Finsternis rettet. Die Erzählungen lassen uns etwas wiedererkennen, denn so ist unser Leben auch. Wenn du eine Veränderung willst, musst du etwas opfern, etwas von dir selbst wegwerfen. Etwas geht verloren in der Finsternis, aber du kommst verwandelt und hoffentlich gestärkt da hindurch. Diese Geschichten geben uns Mut, wenn sie uns erzählen, dass die Leiden nicht vergeblich sind, dass uns etwas Gutes auch auf der anderen Seite des Todes erwartet und dass eine Peron alles verändern kann. Ob das Harry Potter ist, der Löwe in Narnia oder Neo in dem Film Matrix. Auch die Evangelien beruhen auf der archetypischen Erzählung. Jesus widersteht der Versuchung aufzugeben, er stirbt für seine Sache und erscheint nun in einer neuen Gestalt.

Insoweit ähnelt das Christentum anderen Erzählungen, aber das Christentum ist etwas ganz entscheidend Neues in zweierlei Hinsicht, denn etwas ist anders. Erstens ist der Tod Jesu keine Niederlage. Im Johannesevangelium sind die letzten Worte am Kreuz: „Es ist vollbracht!“ Gott selbst stirbt am Kreuz. Nicht etwas ist in der Finsternis verlorengegangen, nicht etwas, das weggeworfen wird. Leiden und Tod werden verwandelt aus Schwäche in Stärke. Die alten Werte, etwas zu werden, Gold und Berühmtheit zu erlangen, verändern sich. Wer groß ist unter euch, soll euer Diener sein. Es geht nicht darum, Schätze zu erwerben, denn wer reich ist im Reich Gottes, ist reich an Liebe. Liebe kann man niemals verlangen, sie kann nur empfangen und geschenkt werden.

Auch Nikodemus musste eine Veränderung durchmachen, wenn er das Reich Gottes sehen wollte. Hier am Sonntag Trinitatis begegnen wir Nikodemus als einen suchenden und unsicheren Mann, der im Schatten der Dunkelheit zu Jesus kommt. Später im Evangelium, als der jüdische Rat diskutierte, wie sie Jesus stoppen könnten, verteidigte Nikodemus indirekt Jesus. Und endlich nach dem Tode Jesu bekannte Nikodemus voll Farbe und bekannte sich zu seinem Glauben. Zusammen mit Josef von Arimathäa beerdigte er den Leib Jesu. Nikodemus wächst im Glauben im Johannesevangelium. Aber im heutigen Text versteht er nicht die Worte von der Wiedergeburt, als Jesus sagte: „Wahrlich ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“. Nikodemus hatte seine Augen auf die Erde gerichtet, er sah nicht das Reich Gottes und er verstand es nicht, man kann ja nicht neu geboren werden. Doch, sagt Jesus, eine Wiedergeburt ist notwendig, eine Geburt aus Wasser und Geist.

Der Geist ist eben das, was anders ist im Christentum. Als Jesus nach seiner Auferstehung erschien, hatte sich etwas verändert. Jesus fuhr gen Himmel, aber sandte dafür den Heiligen Geist. Nikodemus und die anderen Juden konnten nicht mehr in den Fußspuren der Vorväter zum Tempel laufen, wenn sie Gott begegnen wollten. Gott ist Geist, und der Geist wohnt in unseren Herzen. Jeder Mensch muss deshalb den Blick heben vom Irdischen, wenn er sich zum Himmlischen wenden will. Das ist nicht leicht, denn aus Erde sind wir gekommen, und oft ist unser Blick auf die Erde gerichtet. Deshalb ist die Taufe wichtig. Die Taufe ist unsere Reinigung, unsere Wiedergeburt aus Wasser und Geist. Sowohl bei der Taufe als auch an einem Sarg erklingt der Lobpreis:

Gelobt sein Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,

der uns nach seiner großen Barmherzigkeit

wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung

durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

(1. Petrus 1,3)

Wir sind in der Taufe wiedergeboren aus Wasser und Geist zu der lebendigen Hoffnung. Trotzdem geschieht es, dass wir unseren Blick auf die Erde richten, und wir irren in der Finsternis wie einst Nikodemus. Vielleicht ist da etwas, was wir loslassen müssen, etwas, was wir ableben müssen, damit wir uns dem Reich Gottes zuwenden können? Aber mitten in der Finsternis kommt Jesus uns entgegen. Er ist unsere lebendige Hoffnung. Sein Geist lebt in uns, arbeitet in uns und hilft und, den Blick zu heben, so dass wir sehen können, dass das Reich Gottes uns nahegekommen ist. Amen.

Pastorin Anna Jensen

5230 Odense M

E-mail: ansj(at)km.dk