
Johannes 3,14-21
Lux in tenebris | Reminiszere | 16.03.25 | Joh 3,14-21 | Verena Salvisberg |
Liebe Gemeinde
«Lux in tenebris», das war das Thema des Kurses des Pfarrvereins der Evangelischen Kirche der böhmischen Brüder, der Ende Januar in Prag stattfand. Ich durfte daran teilnehmen.
Lux in tenebris. Licht in der Finsternis.
Mit «Finsternis» – das war mir sofort klar – musste die gegenwärtige Weltlage gemeint sein. Wahrlich finstere Zeiten! Auf das Licht war ich neugierig. Und wurde eine Woche lang auf die Folter gespannt. Referent:innen verschiedener Expertise, nicht nur Theolog:innen, berichteten von den vielfältigen aktuellen Krisen, von der Klimakrise, von der Spaltung der Gesellschaft, von der Schere zwischen arm und reich, die immer weiter aufgeht, von geopolitischen Verwerfungen, von der Krise der Demokratie.
«Es ist wichtig, das ganze Spektrum der Krisen wahrzunehmen, mit denen die tschechische, europäische und weltweite Gesellschaft konfrontiert ist», so der Präsident des Pfarrvereins. «Es ist ein guter christlicher Ansatz, zu versuchen zu verstehen, was da passiert.»
Ja, das gefiel mir. Der Realität in die Augen schauen. Keine Weltflucht. Nichts schönreden. Das passt zum Christ:insein. Im Lauf der Woche wurden wir Kursbesucher:innen aber sehr herausgefordert von den vielerlei Dunkelheiten der journalistischen, soziologischen, ökologischen knallharten und ehrlichen Situationsanalysen. Je länger je mehr fragte ich mich: Und wo ist das Licht?
Ja, es gab wohl Beispiele von guten Projekten, mit Geflüchteten oder mit psychisch Kranken. Eindrückliche Initiativen, aber nicht mehr als Tropfen auf den heissen Stein, so kam es mir vor. Harte Kost also, eine ganze Woche lang.
Und dann war da dieser Vortrag über christliche Hoffnung in der frühen Kirche, ein theologisches Konzept, das sich anscheinend die verschiedenen theologische Traditionen des frühen Christentums teilen, vom Johannesevangelium über Paulus, Augustin usw.
Christinnen und Christen geht es nicht besser als allen anderen, aber da ist die Hoffnung. Das macht den Unterschied. Licht in der Finsternis. Aber woher kommt diese Hoffnung, die sich so gar nicht aus einer Erfahrung heraus begründen lässt?
An die Woche in Prag musste ich denken bei der Lektüre des heutigen Predigttextes, aus dem dritten Kapitel des Johannesevangeliums.
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.
Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er den einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.
Denn Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat.
Dies aber ist das Gericht: Das Licht ist in die Welt gekommen, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.
Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.
Wer aber tut, was der Wahrheit entspricht, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott gewirkt sind (Joh 3,14-21).
Heute, noch ziemlich zu Beginn der Passionszeit, steht mit diesem Text eine Art Schlüssel zum Verständnis dieser Zeit zur Verfügung. So ist hier vom Passionsgeschehen die Rede: Aus Liebe sandte Gott seinen Sohn, aus Liebe gab er sein Ein und Alles. So hat Gott die Welt geliebt. Das sind theologisch durchdachte Spitzensätze. Schöne Worte. So verdichtet, dass es mir schwerfällt, sie mit meinem Empfinden und Erleben zu verbinden.
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet, sondern gerettet. Wer an ihn glaubt… das heisst doch, an diese Liebe zu glauben und dieser Liebe zu trauen. Und da frage ich mich halt schon: Ist das überhaupt möglich, angesichts der vielen offenen Fragen? Angesichts all des Leidens in der Welt. Angesichts der bedrohten Schöpfung. Angesichts der politischen Weltlage. Wie kann man da von der Liebe Gottes sprechen?
Müsste ich nicht eher klagen und fragen: Wo, mein Gott, ist sie, diese Liebe? Ist sie mehr als schöne Worte, mehr als ein leeres Versprechen?
Ausgerechnet der erste geheimnisvolle Satz unseres Predigtwortes hilft hier weiter:
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.
Der Evangelist nimmt hier Bezug auf eine Begebenheit des Volkes Israel in der Wüste, die im vierten Buch Mose erzählt wird: Die Israeliten sind unterwegs Richtung Schilfmeer. Wieder einmal verleidet es ihnen und sie begehren einmal mehr auf gegen Mose und gegen Gott: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise?
Einmal mehr scheint sich die Verheissung des gelobten Landes als leeres Versprechen zu entpuppen. Gott schickt als Antwort eine Schlangenplage, viele sterben an den giftigen Bissen, worauf das Volk sich besinnt und Mose um Fürbitte bei Gott bittet. Gott befiehlt Mose, eine eherne Schlange zu schmieden und sie auf einer Stange hoch aufzurichten. Wer gebissen wird, soll zu diesem Rettungszeichen hochschauen und wird überleben.
So muss der Menschsohn erhöht werden.
Christus, erhöht am Kreuz. Ein rettendes Zeichen wie die eherne Schlange. Sichtbar für alle, die den Blick heben mögen.
Das ist vielleicht nicht gerade das, was ich als erstes erwarten würde in der Passionszeit, die doch eine Zeit der Besinnung ist, eine Zeit der Einkehr, eine Zeit, sich eigener Schuld gewahr zu werden. Geht da der Blick nicht automatisch eher nach unten?
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.
Gefragt ist paradoxerweise ein Aufrichten, ein Aufschauen, weg von den Entbehrungen der Wüste, weg von der Finsternis.
Unser Predigttext ist also eine Einladung, Passion zu bedenken und Passion zu verstehen.
Gottes rettendes Handeln darin zu erkennen. Und darauf zu vertrauen. Dies kann freilich nicht angeordnet werden.
Dieser Blick nach oben an den am Kreuz erhöhten Menschensohn macht den Unterschied.
Die Hoffnung, von der alle frühchristlichen Autoren schreiben, die Christinnen und Christen in aller Dunkelheit Licht erkennen lässt. Lux in tenebris.
Gott alles Gute zutrauen. Trotz allem Augenschein. Unter diesem Vorzeichen ist die Passionsgeschichte zu lesen und zu durchleben.
Und so weiss ich, wann ich den Kopf senken muss, um meine Schuld zu erkennen.
Ich weiss, wann ich den Kopf nutzen muss, um nachzudenken und zu verstehen. Und ich weiss, dass ich den Kopf heben muss, um Rettung vor Augen zu haben.
Amen
Pfrn. Verena Salvisberg
Merligen
Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Regionalpfarrerin seit 1. August 2022, vorher Gemeindepfarrerin in Laufenburg und Frick und Roggwil