
Johannes 4,4–15
Leitungswasser | 3. Sonntag nach Epiphanias | 26.1.2025 | Predigt zu Joh 4,4–15 | Wolfgang Vögele |
Segensgruß
Der Predigttext für den dritten Sonntag nach Epiphanias steht Joh 4,4–15:
„[Jesus] musste aber durch Samarien reisen. Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. – Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser.
Spricht zu ihm die Frau: Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn lebendiges Wasser? Bist du etwa mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Söhne und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
Liebe Schwestern und Brüder,
Man sagt das so daher: Strom fließt aus der Steckdose und warmes Wasser aus dem Hahn. Der tägliche Gang zum Brunnen gehört schon lange der Vergangenheit an. Trink-, Koch-, Wasch- und Duschwasser sprudelt aus allen Armaturen in der Wohnung. Brunnen sind längst keine sozialen Orte mehr, an dem Fremde, Dorf- und Stadtbewohner sich treffen, zwei Eimer mit Wasser füllen und dabei ein paar unverbindliche Worte über Wetter, Befindlichkeit und den Stand der Ernte wechseln. Dafür nutzen wir heute das Smartphone und schreiben eine Whatsapp. In unsere Beziehungen hat das ein Moment der Distanz gebracht. Händeschütteln, Höflichkeit und der Blick in die Augen sind verloren gegangen. Das Zufällige, Überraschende und Ungewöhnliche hat keinen richtigen Platz mehr. Jesus und die samaritanische Frau dagegen springen beide in ein sehr überraschendes Gespräch hinein – auf Augenhöhe.
Der Brunnen dient dafür als der psychologisch-historische Ort von Begegnungen. Genauso wie die Zeit mit Terminen, Verabredungen und Kalendern ordnen Orte und Plätze unser Alltagsleben: zuerst im privaten Bereich ein Apartment oder eine Wohnung zum Schlafen und Essen. Ein Arbeitsplatz im Büro, im Lager oder der Fabrikhalle. Schließlich Orte der Freizeit oder der Kontaktmöglichkeiten: Fußballstadion, Bibliothek, Discothek, Straßencafé. Brunnen gehören nicht mehr dazu, höchstens noch als Treffpunkte. Wer Wasser zum Trinken braucht, hat eine Flasche Sprudel in den Rucksack gepackt oder kauft sie am Kiosk gegenüber. Brunnen sind aus den Koordinaten des Alltagslebens herausgefallen.
Für die Frau aus der Stadt Sychar war das anders. Der Brunnen diente zum Wasserschöpfen und als Kommunikationszentrum. Denn am Brunnen kamen alle vorbei – täglich. Die Bibel kennt mehrere hinreißende Liebesgeschichten, die an einem Brunnen begonnen haben. Der Stammvater Isaak begegnete beim Wasserholen zum ersten Mal seiner Frau Rebekka. Und bei Isaaks Sohn Jakob verhielt es sich genauso: Am Brunnen sah er zum ersten Mal die schönen Augen seiner zukünftigen Frau Rahel und verliebte sich in sie. Allerdings sollte es sehr lange dauern, bis er sie auch wirklich heiraten konnte. Und die selbstbewußte Frau aus Sychar scheint diese Geschichten zu kennen, denn der Erzähler spricht ausdrücklich vom Brunnen Jakobs. Schon der simple Ort bringt die Hörer mit ganz bestimmten Untertönen auf eine besondere Spur. Allerdings verlieben sich die samaritanische Frau und Jesus nicht ineinander.
Am Brunnen treffen sich zwei Menschen und reden. Das ist auf der einen Seite nicht ungewöhnlich. Die Frau kommt täglich vorbei, und wenn sie in einer Schlange warten muß, bis sie ihre Eimer oder Krüge füllen kann, kommt sie mit den Schlangenstehern ins Gespräch. Auch Jesus reiht sich in die Schlange ein, er ist fremd hier. Er wandert mit seinen Jüngern durchs Land; nach einem längeren Gang ist er müde und will seinen Durst stillen. Aber bei aller Normalität: Sehr ungewöhnlich ist, daß ein jüdischer Rabbi mit einer Samaritanerin spricht. Denn die beiden religiösen Bekenntnisse liegen so nahe beieinander, daß die Nähe zu einer gewissen Rivalität geführt hat. Der Unterschied besteht im Wesentlichen in den heiligen Bergen: Zion für die Juden und Garizim für die Samaritaner.
Jesus bittet die Frau, ihm etwas zu trinken zu geben. Man sollte das nicht als Machogehabe abtun, eher erscheint es so, als hätte Jesus kein Trinkgefäß mit sich geführt. Schon der Anfang überrascht: Jesus wagt es, diese Frau anzusprechen, er überschreitet die religiöse Distanz, die zwischen Juden und Samaritern herrschte. Die Frau ist verwundert und bringt das auch sehr deutlich zum Ausdruck. Pragmatisch und klug weist sie auf das Fehlen eines Trinkgefäßes hin.
Dieses Gespräch fließt zunächst nicht gerade in einem gemeinsamen Bett der Verständigung. Es sind Steine aus dem Weg zu räumen, bevor der interreligiöse Dialog in Gang kommt und bis der wandermüde Jesus seinen Durst gestillt hat. Mir gefällt die Haltung der Frau. Sie weiß ganz genau: Wer zum Brunnen kommt, will trinken. Das hat Vorrang. Darüber hinaus sind religiöse Gegensätze zu spüren, die nicht verschwiegen werden dürfen. Die Frau benennt sie ganz nüchtern, sie polemisiert nicht gegen die andere Religion. Sie spricht aus, wie es ist. Sie fragt sich und Jesus: Wie gehen wir pragmatisch damit um? Für sie müssen nicht die großen Fragen von Gottesglauben und Befolgung der Gebote geklärt werden. Die Frau setzt voraus: In diesen Punkten sind wir in jedem Fall verschiedener Meinung. Im Übrigen: Vielleicht hat sie doch den Verdacht, daß der fremde Rabbi eine Liebesgeschichte nach den biblischen Vorbildern anfangen will. Aber das spricht sie nicht aus. Wegen der Zugehörigkeit zu verschiedenen religiösen Gruppen wäre das auch nicht denkbar.
Jesus von Nazareth scheint nur müde zu sein. Ihm würde ein Gefäß mit Wasser reichen. Aber er spricht nun von lebendigem Wasser. Man sollte nicht vorschnell zu einer theologisch überhöhten Deutung überspringen. Die pragmatisch-alltägliche Deutung lautet zunächst: Lebendiges Wasser ist frisch, klar, kühlend und vor allem gesund. Es kommt aus Quellen, Bächen und Flüssen. Totes Wasser ist verschmutzt, brackig, verunreinigt. Es riecht muffig und keiner, der es aus Not trinkt, weiß, ob es nicht seiner Gesundheit schadet. Lebendiges Wasser ist gut verträglich und löscht den Durst. Oder wie es die Werbefritzen mit bunten Buchstaben sagen: „Gesundheit war noch nie so erfrischend.“ Jesus scheint einzustimmen in einen riesigen Chor aus Pflegerinnen, Ärzten und Ernährungsberatern. Trinken ist das Allerwichtigste. Jeden Tag zwei Liter. Oder, wie die Gesundheitsinfluencer sagen: „Bleib fit, bleib frisch – trink Wasser.“
Liebe Brüder und Schwestern, nun kommt doch noch ein Kopfsprung über die Wasserversorgung hinaus. Die täglichen zwei Liter Wasser, über den Tag verteilt getrunken, machen zwar gesund, aber eben nur bis zu Alter und Tod. Was aber kommt nach den Jahren täglichen Wassertrinkens? Jesus springt – leicht unvermittelt – direkt ins warme Wasser der Ewigkeit. Die Frau, die ihm zuhört, läßt das erst einmal ratlos zurück. Erst der weitere Verlauf der Geschichte wird zeigen, wie sehr sie von den Worten Jesu beindruckt war.
Der Jesus des Johannesevangeliums redet vom Glauben in einfachen Bildern, die er fast alle dem täglichen Leben entnimmt: Um für Gott zu werben, nimmt er Wein, Schafe und Lämmer, Brotlaibe, frisch gefangene Fische, die Sonne – und eben das Wasser zu Hilfe. Alle Menschen müssen im Alltag genügend trinken, um Gesundheit, Fitness und Überleben zu sichern. Genauso brauchen sie das Wasser des ewigen Lebens, um sich in ihrem Alltag einzurichten. Alltag, Glaube und Ewigkeit sind miteinander verknüpft. Es wirkt geradezu brüsk, wie der erschöpfte Jesus plötzlich die Ebenen wechselt.
Die Samariterin hat zunächst Schwierigkeiten, diesen neuen Zusammenhang zu verstehen. Aber sie fragt einfach nach. Das ist so wichtig, weil ihre Schwierigkeiten mit unseren heutigen Schwierigkeiten zu glauben, eng verknüpft sind. Jesus entwickelt so etwas wie eine geistliche Gewässerkunde, dazu eine Art Trinkkur für den Glauben.
Neben dem Durst, der durch reales Wasser (H²O) gestillt werden muß, spüren Menschen in ihrem Alltag etwas anderes, einen Durst nach Vertrauen, Glauben und Geborgensein. Wo finden sich dafür Quellen, Brunnen und Trinkgefäße?
Glauben und Vertrauen sind für das eigene Leben so notwendig wie Wasser für den Körper. Die Quelle für den Glauben liegt nicht in mir selbst. Mit Selbstvertrauen allein – so wichtig es ist – kann niemand ein Leben bewältigen. Entscheidend ist ein Bezug nach außen, auf das, was Leben und Lebenswelt eines Menschen umgibt und erst möglich macht. Christlich gesprochen: Es braucht einen Bezug auf den Schöpfer, der diese Welt in Bewegung gebracht hat. Es genügt nicht, diesen Bezug nur ein einziges Mal zu entdecken. Es genügt nicht, sich auf die Suche nach solch einer Quelle zu machen, sie nach langer Lebenssuche zu finden und dann zurückzukehren in den eigenen Alltag. Die Quelle für Vertrauen und Glauben muß dauernd erreichbar sein.
Wer durstig ist nach Lebensmut, muß diesen Durst stillen können. Wer glauben will, muß die Orte kennen, an denen es genügend für alle zu trinken gibt. Das heißt auch: Durst und Durstlöschen, Quellen, Brunnen auf der einen und trockene Gegenden auf der anderen Seite gehören zusammen. Wer glauben will, muß damit rechnen, Zeiten des Zweifels zu erleben und durchzuhalten. Es kommt darauf an, diesen geistlichen Durst zu erkennen, sich entsprechend auf die Suche zu machen und nachhaltig Wissen zu erwerben, wo Vertrauen getrunken, getankt werden kann. Wer den Durst ignoriert, wird Schaden an seiner Seele davontragen.
Ich bin überzeugt, das ist nicht nur eine innerliche, spirituelle Angelegenheit, die jeder mit sich selbst ausmacht. Deswegen ist die Gesprächsoffenheit der samaritanischen Frau so wichtig. Sie schätzt die Verhältnisse nüchtern ein. Sie läßt sich nicht scheu machen und stellt unerschrocken alle Fragen. Glaube und Vertrauen brauchen Aufklärung, Transparenz und Offenheit. Glaube braucht das offene Gespräch, den vertrauensvollen Austausch, damit durstige Sinnsucher voneinander lernen können. Es gilt, Erfahrungen mit dem Glauben zu machen. Und es gilt, diese Erfahrungen im Gespräch miteinander zu teilen. Schon das kann beruhigen, Vertrauen stiften, den ersten Durst löschen.
Im Johannesevangelium knüpft Jesus Vertrauen und Glauben, das Wasser über das lebendige Wasser hinaus, an sich selbst, an einen konkreten Menschen. Seine Lebensgeschichte, seine Wunder, seine Reden, seine Diskussionen mit Gegnern und Jüngern, seine Glaubenslehren ergeben zusammen den unverrückbaren Maßstab, um eigene Glaubenserfahrungen zu beurteilen. In der Gegenwart fehlt uns dieses unmittelbare Gegenüber zum Menschen Jesus von Nazareth. In späteren Kapiteln des Evangeliums wird Jesus vom Tröster, dem heiligen Geist sprechen, der den auferstandenen Jesus bei den Menschen vertritt.
Wer den Durst nach Glauben und Vertrauen löscht, baut im Übrigen nicht an einer festgefügten Jenseitswelt aus Mirakeln und Unwahrscheinlichkeiten, für die unbedingter Glaubensgehorsam verlangt wird. Im Grunde braucht der christliche Glaube das nicht, was die Philosophie Metaphysik nennt. Wasser ist ein ganz flüssiger und darum flüchtiger Stoff. Er läßt sich nicht festhalten, es sei denn, man hat sich vorher ein Glas oder eine Flasche mitgenommen. Behälter ja, aber das Entscheidende ist eben nicht das Feste, sondern das Flüssige, was darin ist. Glauben ist Vertrauen, und Vertrauen ist ein flüchtiger Stoff, der schnell versickert oder verdunstet. Wenn Wasser zu Sprühnebel geworden ist, läßt es sich schlecht trinken. Verdunsteter Glaube ruft die Gespenster des Zweifels auf den Plan. Glauben ist ein tägliches Bedürfnis. Wie jeder täglich ein paar Gläser Wasser trinkt, so braucht er täglich eine Ration Gottvertrauen. Das geschieht im Beten, Singen, Meditieren, im Lesen der Bibel, im Gespräch mit Glaubensgeschwistern und mit denen, die nicht glauben können.
Zwei Liter täglich müssen es übrigens nicht sein. Für das Glaubenswasser des Lebens gilt: Es muß nicht in übergroßen Mengen getrunken werden. Oft reichen ein paar Tropfen.
Und der Friede Gottes, welcher überall in Quellen lebendigen Wassers fließt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Prof. Dr. Wolfgang Vögele
Karlsruhe
wolfgangvoegele1@googlemail.com
Wolfgang Vögele, geboren 1962. Apl. Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er schreibt über Theologie, Gemeinde und Predigt in seinem Blog „Glauben und Verstehen“ (www.wolfgangvoegele.wordpress.com).