Johannes 4,5–14 (5–42)

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Beide überraschen sich gegenseitig | 3. So. nach Epiphanias | 26.01.2025 | Joh 4,5–14 (5–42) | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

Wir haben uns gründlich verfahren, damals mit dem klapprigen VW-Bus im Süden Portugals. Karge Landschaft, uralte Straßenkarte, knappe Vorräte. Von weitem sehen wir die große Umlenkrolle eines Ziehbrunnens, dann zwei Menschen, die nebenbei ihr Auto waschen. Wir steigen aus, sie bieten uns ihr Brunnenwasser an. Es schmeckt erfrischend. („obrigado!“)

Von einer anderen Brunnen-Szene berichtet der Evangelist Johannes, ich erzähle sie nach. In der Mittagshitze kommt eine Frau aus dem Dorf Sychar, um Wasser zu holen am Brunnen. Dort sitzt bereits ein fremder Wanderer, Jesus, der sie um einen kühlen Schluck bittet. Doch die Frau weist ihn zurück. Er ist Jude und darf sie als missachtete Samaritanerin nicht ansprechen und gemeinsam aus einem Krug trinken – das geht gar nicht. Doch Jesus deutet an, dass er über „lebendiges Wasser“ verfügt. Worauf die Frau amüsiert fragt: „Du hast doch keinen Eimer und der Brunnen ist sehr tief. Außerdem hat er Jakob als Schutzpatron, bist Du mehr als der?“ Darauf Jesus: „Wer dieses Brunnenwasser trinkt, wird wieder durstig. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, bekommt eine innere Quelle, die bis ins ewige Leben sprudelt.“ – Auf ihre Bitte: „Gib mir davon, dann kann ich mir dieses tägliche Wasserschleppen ersparen!“ reagiert Jesus unvermutet mit dem Wunsch: „Geh und bring deinen Mann her!“ – „Ich habe keinen Mann.“ – „Doch, du hattest fünf, jetzt bist du irgendwie solo, du hast die Wahrheit gesprochen.“

Daraufhin wechselt die Frau das Thema und fragt: „Ich sehe, dass du ein Prophet bist. Wir beten hier auf dem Berg Garizim, den du von hier aus sehen kannst. Ihr Juden aber wollt das Monopol für die Jahwe-Verehrung auf eurem Berg Zion! Was nun?“ Jesus antwortet ihr: „Gott hat aus uns Juden heraus die Rettung für alle Menschen erwirkt. Sein Heiliger Geist befähigt jeden, an jedem Ort zu beten. Um Gott anzubeten, müssen wir nur vom Geist der Wahrheit erfüllt sein“. „Ja“, sagt die Frau, „dann warten wir mal weiter auf den Messias!“ Woraufhin Jesus sich outet: „Er spricht mit dir; ich bin es.“

Als dann die Jünger des Jesus mit fragenden Gesichtern auftauchen, lässt sie ihren Krug stehen, rennt ins Dorf und ruft: „Da ist einer, der offen mit mir spricht. Kommt, seht und hört ihn euch an, ob er der versprochene Retter ist!“ Laut ruft sie durch die Gassen, solange, bis alle Nachbarn bekennen: „Wer dir zuhört, der gelangt danach zu der Überzeugung: Dieser ist wahrlich der Welt Heiland.“

Schon die Ausgangssituation hat es in sich. Wasserschöpfen und -schleppen gilt in der Mittagshitze als viel zu anstrengend. Wurde die Frau ausgegrenzt oder lebte sie bewusst selbständig? Der auf dem Rand des Ziehbrunnens wartende Mann könnte sie als Braut anwerben, nach dem Volkslied: „Wenn alle Brünnlein fließen, so muss man trinken; wenn ich mein’ Schatz nicht rufen darf, tu ich ihm winken!“ Doch die Beiden trennt eine religiöse Apartheit, ausgelöst durch Fragen zu Ehescheidungen. Vor langem hatte eine Priester-Gruppe sich deswegen abgespalten und einen Gegen-Tempel errichtet. Seitdem gelten die Samaria-Juden als Abtrünnige, mit denen gibt’s kein Winken und kein Trinken.

Doch Jesus durchbricht diese Schranke und die Frau wird es ihm gleichtun. Ein erstes Missverständnis veranschaulicht das. Die Zisterne ist tief, ohne Seileimer ist das kühle Nass unerreichbar. Das bedenkt die Frau pragmatisch, wogegen Jesus in Bildern redet. Denn er bezeichnet seins als „lebendiges Wasser“. „Lebendig“ ist das Gegenteil von „stehend“ und beschreibt einen sprudelnden Bach mit einem Ursprung in freier Natur. So ein Quellwasser ist für jeden frei zugänglich und sehr begehrenswert.

Für die Frau ist es allerdings tägliche Routine, die Eimer hochzuziehen, ebenso der Weg hin und zurück; wogegen Jesus eine innere, mobile Quelle meint, die sie immer in sich haben wird. Für sie ist es auch tägliche Routine, dass Wasser portionsweise einzuteilen. Jesus sprengt diese Dosierung, wenn er sagt: „Das sprudelt beständig, sogar in die Ewigkeit hinein!“

Das Gespräch der Beiden könnte nun versickern, da die Sinnebenen auseinanderfließen. Oder die Frau könnte „zu Potte kommen“, wie wir umgangssprachlich sagen; sie könnte jetzt dem Fremden ihren Krug kurz hinhalten und ihren Tagesablauf fortsetzen. Doch beide bleiben im Gespräch. Wasserschleppen ist Frauenarbeit, dennoch soll die Frau ihren Mann holen. Sie hatte mehrere, dafür braucht sie keine Vergebung, Jesus hat kein „ego te absolvo“ auf den Lippen, vielmehr erkennt die Frau in ihm einen Propheten. – Dann weitet der Erzähler den Blick auf die Umgebung. Die Frau gehört zum Samaria-Kult auf dem Berg Garizim, der schon lange in Trümmer liegt. Jesus gehört zum Jahwe-Tempel auf dem Zionsberg, der zerstört wurde, bevor Johannes schrieb. Also fehlt beiden perspektivisch ein Gebets-Tempel. Dazu fragt die Frau: „Wo sollen wir beten, wenn Gott weder hier noch dort thront und wohnt? Und wie? Mit welcher Einstellung?“ Jesus antwortet ihr: „Richtiges Beten, als Quelle für den eignen Glauben, geht nur im Geist und in der Wahrheit!“ Da er das ohne belehrenden Unterton sagt, reift in ihr das Bekenntnis: „Dann bist Du der Messias.“ Kurz danach stellt sie ihren leeren Krug vor dem durstigen Jesus ab. Sie rennt in ihr Dorf und jubelt laut durch die Gassen, solange, bis alle Nachbarn bekennen: „Wer dir zuhört, der gelangt danach zu der Überzeugung: Dieser ist wahrlich der Welt Heiland.“

Mich reißt diese Frau mit. Ihre Wachheit und ihr Lebensdurst überzeugen mich, ihre Laufbereitschaft und Rufbereitschaft auch. Sie gewinnt während dieses Dialogs weiter an Leidenschaft und Glaubenstiefe. Selbst ihre Missverständnisse befördern, dass Jesus sich Schritt für Schritt offenbart; vom Wanderer über einen Rabbi hin zum Heiland der Welt. Beide überraschen sich gegenseitig.

Wenn wir uns in dieser Brunnen-Szene hin- und herbewegen, lernen wir die Frau vermutlich anders kennen, als wir von ihr bisher gehört haben. Das betrifft auch mich und meine Erinnerung an unsern Kindergottesdienst. (Hildegard Knef war Vergleichsobjekt!) Die biblische Geschichte hat eine lange Auslegungs-Reise zurückgelegt – wie in einem klapprigen VW-Bus – bis sie heute bei uns und mir ankommt. Bis ins Mittelalter war die Samaritanerin eine hochverehrte Frau, die den Glauben weitergab, eine Influencerin (Photina/Swetlana). Die Reformatoren reduzierten sie auf ihren Männerverschleiß, von dem weg Jesus sie bekehrte. Der Pietismus lobte Jesus für seine erheblichen Mühen, die Frau zu den richtigen Fragen zu lenken. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde sie wiederentdeckt als „role model“ einer selbstbewussten Frau.

Viele Künstler haben diese Szene gemalt: Eine Frau steht, sie hält einen Krug, vor ihr sitzt ein Mann auf einem Brunnenrand. Auf Flohmärkten gab es dazu viele Angebote. Sie zeigen Jesus mit erhobenem Zeigefinger oder die Frau in lasziver Pose. So, als ob der Künstler sich einen date mit ihr ausmalt. Einmal sah ich ein Gemälde, bei dem sogar zwei Krüge auf dem Boden standen – was für eine pfiffige, koschere Problemlösung! – Apropos Brunnen und Krug. Neben den großen Antworten, die beide für sich und dann auch gemeinsam klären, gibt es diesen unscheinbaren Krug. Er spielt nur eine Nebenrolle, aber der Evangelist bemerkt ihn zweimal. Während des Dialogs gehört er zur Frau und Jesus hat keinen. Danach wird er von der Frau abgestellt, als sie losrennt; und so steht er nun symbolisch zwischen den beiden. Johannes erzählt nicht, dass er gefüllt wurde. Dabei ist er im übertragenden Sinn doch Zeuge, wie Jesus die Fülle seiner Berufung aufzeigt und die Frau die Fülle ihres neuen Glaubens.

Die Frau begeistert mich, und dennoch spüre ich einen Unterschied zu ihr. Wenn ich mich neben ihr stelle, dann wirkt Jesus auf mich so, dass auch ich mich klären kann. Dabei ähnele ich allerdings stark einem anderen Gesprächspartner des Jesus, dem Nikodemus. Er ist ein gottesfürchtiger Jude, der Jesus nachts aufsucht. Er kann die Herausforderung, von Neuem geboren zu werden, nicht spontan übernehmen. Doch ähnlich wie die Frau am Jakobsbrunnen bin ich froh und dankbar für die überraschende Initialzündung meines Gottvertrauens.

Damals, am Brunnen in Portugal, erlebten wir noch eine Fortsetzung. Wir verstanden uns sprachlich fast gar nicht. Aber als die Beiden unser deutsches KFZ-Kennzeichen entdeckten, sprudelte es plötzlich auf Deutsch aus ihnen heraus. Das hatten sie als Gastarbeiterkinder gelernt. Unsere Begegnung wurde in doppeltem Sinne erfrischend. Sich gegenseitig geduldig wahrzunehmen setzt enorm viel frei.

Der Brunnen in Samarien wird weiterhin sein Wasser bereithalten und der Krug wird gerne von den Veränderungen erzählen, die er miterlebte. Die Frau brachte ihren Humor ein, Jesus verzichtete auf Häme. Sie ging mit sich selbst schonungslos um, weil es sie befreite. Er deckte seine Messias-Identität auf, weil es ihn befreite. Und für uns gilt: Jesus geht in den Durst, damit wir alle auftanken können. So wie die Menschen damals. Viele aus dem Dorf folgten der Frau zurück zu Jesus am Brunnen, und vermutlich hatte jeder einen leeren Krug dabei. Dann wurde getrunken, gewunken und gesungen. Sicherlich stimmte die Frau das fröhliche Psalmlied an: „Er führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele.“ Und alle sangen mit: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Amen

Vorschläge für Lieder:

O Lebensbrünnlein, tief und groß
Das Wasser der Erde wird zum Wasser des Himmels
Jesus met the woman at the well (zB Mahalia Jackson)
Ich bin in guten Händen (Psalm 23)
Aus klarem Wasser schöpfen, dem Lebenselixier

Vorschläge für Fürbitten:

Fürbitte „Gebet am Brunnen“ von Marlies Lehnertz-Lütticken;
In „Katholisches Kirchenblatt Ravensburg“ 2014, Nr 13:

Herr, vor dir darf ich müde sein und Rat machen.
Aber bewahre mich vor Resignation und lähmender Starre,
vor wehmütigem Verharren in Vergangenem und Unwiederbringlichem.
Hilf mir, in der Gegenwart und auf Zukunft hin zu leben.
Gib mir die Kraft, immer wieder neu aufzubrechen
und offen zu sein für die Begegnung mit Menschen, meinen Mitmenschen.
Er halte mir den Durst nach Leben.
Gib du mir das Wasser, das in mir zur sprudelnden Quelle wird
und deren Wasser ewiges Leben schenkt. Amen

Fürbitte von „Brot für die Welt“ zum Weltwassertag am 22. März 2019:

Lass Quellen lebendigen Wassers
unsere Herzen und Sinne erfreuen,
damit wir nicht eher ruhen,
bis alle deine Menschenkinder
klares und lebenspendendes Wasser
in lebenserhaltender Fülle genießen können,
so lass deinen Willen geschehen,
auch durch unsere Hände und unsere Gaben,
lass in dir alle genug haben zum Leben,
in Zeit und Ewigkeit. Amen


Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geboren 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium Theologie und Soziologie in Wuppertal und Bonn. Mitarbeit bei Christival und DEKT. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Podcaster, Musiker und Arrangeur.