
Johannes 5,39-47
Wie ein Komet, der zweimal einschlägt | 1. Sonntag nach Trinitatis | 22.06.2025 | Joh 5,39-47 | Manfred Mielke |
Liebe Gemeinde,
erinnern sie sich an den besonderen Kometen, mit dem alles begann? Ich meine den Stern von Bethlehem, der vor den Drei Weisen herzog und der die Geburt des Christuskindes einleitete. Als Jesus von Nazareth zog er seine Bahn und hinterließ Spuren. Er wurde gekreuzigt und wiederauferweckt. Bevor er dann gen Himmel fuhr, versprach er seinen Jüngern, dass er wiederkommen wird. – Meine Frage lautet: Ist Jesus wie ein Komet, der zweimal einschlägt? Ich leite die Frage aus einem Popsong ab, der vor 2 Jahren die Hitparaden eroberte und dessen Refrain lautet: „Und wenn ich geh, dann so, wie ich gekommen bin; wie ein Komet, der zweimal einschlägt. Vielleicht tut es weh, doch (ich) will auf Nummer sicher geh’n, dass ich für immer leb. Lass uns nochmal aufdreh’n!“ (1) – Ich habe die Musiker zwar nicht um Genehmigung gefragt, aber ich stelle mir vor, dass Jesus ähnlich hätte singen können: „Ich bin ein Komet, der nicht nur einmal einschlug. Ich will sicher gehen, dass ich für immer leb. Lass uns noch einmal aufdrehen!“
Diese Gewissheit, dass Jesus nach wie vor die Inkarnation der Güte Gottes ist und dass er als Friedensmessias ein zweites Mal zur Erde kommen wird, war alsbald heftig umstritten. Deswegen lässt der Evangelist Johannes den auferstandenen Christus erneut auftreten und gegen seine Bestreiter Stellung beziehen. Johannes zitiert Jesus so: „Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt; aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet. Ich nehme nicht Ehre von Menschen; aber ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. Ich bin gekommen in meines Vaters Namen und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen. Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? Ihr sollt nicht meinen, dass ich euch vor dem Vater verklagen werde; es ist einer, der euch verklagt: Mose, auf den ihr hofft. Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“ (Joh 5,39-47)
Es ist eine uns fremde Situation: Jesus von Nazareth ist seit ca 70 Jahren tot, Mose seit ca 1500 Jahren. Doch der Evangelist Johannes lässt beide als Kontrahenten auftreten wie in einem zeitgenössischen Gerichtssaal (2). Dabei ist Jesus Christus zugleich Angeklagter, Ankläger und Richter in einer Person. Er tritt an gegen die jüdischen Gelehrten, die Mose ins Feld führen. – Um was geht es in dieser Auseinandersetzung? Bleibt sie uns fremd, oder haben wir Anteile und bekommen Orientierungen für unsere verfahrene Situation?
Mose ist zwar nicht vom Tode auferstanden, aber in seinen 5 Büchern ist er höchst lebendig. Was in ihnen nicht „schwarz auf weiß“ steht, kann nicht wahrer Glaube sein. Über den Messias schreibt Mose aber nichts Griffiges, viel deutlicher profilieren ihn die Propheten. Dennoch lesen sie die Mose-Texte als Nachweis dafür, dass Jesus Gott lästert mit seinem Anspruch, sein Messias zu sein. Dagegen zürnt Jesus: “Ich brauche euch vor Gott gar nicht verklagen, Mose, den ihr für euch zitiert, verklagt euch gründlich genug. Aber ihr glaubt weder dem Mose, noch meinem himmlischen Vater, mit dem ich eins bin, noch mir, dem Messias Gottes. Eher geht ihr einer selbsternannten Lichtgestalt auf den Leim, Hauptsache, er verspricht euch Ruhm und Ehre!“ Der Streit ist keine akademische Haarspalterei, sondern ein Kampf auf Leben und Tod, auf Untergang oder Ewigkeit. Sinngemäß sagt Jesus: „Ihr sucht zwar das ewige Leben, aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet. Ihr wollt zwar auf Nummer sicher gehen, dass euer Credo für immer lebt. Aber heute bin ich für euch wie ein Komet, der zweimal einschlägt. So wie ich für die gesamte Schöpfung bereit bin, noch einmal wiederzukommen. Also lasst uns noch einmal aufdrehen!“
Der Johannes-Evangelist berichtet von diesem Streit ohne ein befriedigendes Ergebnis. Vorher schreibt er von einer Krankenheilung, die in einen Tötungsbeschluss eskaliert. Danach von der Speisung der 5000, die beinahe in eine Königskrönung eskaliert. Was ist Jesus nun – Ketzer oder König, Prophet oder Messias? Und wer entscheidet das, nur seine Fans oder auch seine Gegner? Diesen Streit um Jesu Messianität konfiguriert hier der Evangelist Johannes. Jesus kämpft vehement um seine Identität und seinen Fußabdruck, wogegen seine Gegner eher zugeknöpft erscheinen.
Liebe Gemeinde, genug des Streits. Nun schlage ich vor, dass wir das Gerichtsgebäude verlassen und uns auf den Vorplatz begeben. Dass wir frische Luft schnuppern und uns umhören. Und dass wir den Vorplatz nutzen als Zwischenstation auf dem Weg zu uns selbst und zu unserer Gesamtlage. – Wir befinden uns also auf einem Marktplatz, einer Agora wie die in Athen oder Ephesus. Die Sache mit Jesus ist lange her, und seitdem haben viele Menschen ihre Religion nachgeschärft. Die Ersten waren von Jesu Charisma überwältigt, viele Weitere haben seinen Glauben indirekt übernommen. Das war für heidnische Normalos einfach, für die bisher Mose-Gläubigen aber ein radikaler Spurwechsel.
Der Traum wäre gewesen, dass Jesus als Reformjude hätte durchstarten können, indem er den Glauben an Mose und die Propheten erweitert hätte z.B. um die Taufe und um den Heiligen Geist. Wer damit sympathisierte, wurde Judenchrist, die anderen blieben Synagogen-Juden, deren Chefdenker die Feinde Jesu geworden waren.
Diese Entzweiung erlebten die ersten Christen als ein Trauma, ähnlich der Kinder, die von ihrer Mutter verstoßen werden. Aus jüdischer Sicht hatten sich aber die Kinder verführen lassen und nun müssen sie als Eltern das Erbe noch strenger hüten. In der Sache ist es eine tragische Entzweiung von Geschwistern, die spinnefeind alleine weitermachen.
Wenn wir uns weiter auf dem Vorplatz umhören, erfahren wir, dass viele ihren je eigenen Glaubensgrund haben. Da sind noch Augen- und Ohrenzeugen der Reise-Apostel, da sind die Fans der Bergpredigt des Matthäus, da sind die Weitererzähler der Wunder des Lukas, und da sind auch Freunde des Johannes, in dessen Bildreden sich Jesus als Brot, als Licht, als Hirte erklärte. Viele von ihnen schätzen nach wie vor die Psalmen und Propheten und feiern gerne weiterhin die jüdischen Feste; nur wenige wollen einen Kirchenkampf auf Gedeih und Verderb.
Deswegen schlage ich vor, auch den Vorplatz dort zu verlassen und einige Kernsätze Jesu mitzunehmen beim großen Sprung zur Neuzeit und zu uns selbst. Was beschreibt unsre Lage? Der Popsong über den Kometen umschreibt sie mit drei Grundbegriffen, sie lauten: Alleinsein, Fußabdruck und Applaus. – Der Popsong „Komet“ stammt von den Künstlern namens „Apache 207“ und von Udo Lindenberg. Während der Taxifahrt nach einem Kneipenabend spürt Apache 207 seine Angst vor dem Alleinsein. Deswegen bittet er den Fahrer: „Also bitte setz mich nicht zu Hause ab allein!“ Das ist eigentlich eine absurde Bitte, aber sie thematisiert nachvollziehbar die Isolation heutiger Stadtindianer. Ein Komet fliegt schnell, sein Schweif ist schön, aber er verpufft zusehends. Unsre Sehnsucht hofft dann auf eine zweite Chance, ein Wiedereintauchen in ein soziales Netz. Jesus wollte bei seiner Himmelfahrt auch nicht allein da oben abgesetzt werden. Er versprach: „Ich gehe dorthin, um Wohnungen für euch zu bereiten.“
Die zweite Sehnsucht formulieren beide Sänger so: „Ich will nicht einschlafen. Ich will einen Fußabdruck von mir, stärker als die Zeit!“ Auch wir suchen Schutz im nächtlichen Schlaf und bleiben wach gegen unsern Todesschlaf. Was bleibt darüber hinaus? Ein Erbe, ein Fußabdruck? Die „footprints“, die wir hinter uns ließen, zeigen sich nun räuberisch für die Mitwelt und schädlich für die Umwelt. Uns bleibt noch die Hoffnung auf einen spirituellen Fußabdruck; dass wir vielleicht doch ein Komet waren, der eine Leuchtspur hinterlässt. Jesus umschrieb seinen nachösterlichen Fußabdruck so: „Gott wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit!“
Und dann bekennt Udo Lindenberg freimütig: „Und wenn ich irgendwo zu Hause war, dann immer dort, wo der Applaus tobt.“ Udo Lindenberg ist der Prototyp des Nomaden, der seine Identität immer wieder findet im Applaus bei seinen „Shows“. Aber die meiste Zeit fehlt ihm und uns das „Zuhause“. Auch wenn uns nur gelegentlich Verehrung geschenkt wird, sie macht uns stark für die nächsten Trostlosigkeiten. Jesus differenziert dabei zwischen kumpelhafter Lobhudelei und wahrer Wertschätzung durch Gott und sagt: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht?“
Wir neigen dazu, Jesus so zu neutralisieren, dass er unsere Herrschaft, unsere Theologie, unsere Ehre nicht zu viel infrage stellt (3). Als Christinnen und Christen leben wir aber von der Hoffnung, dass mit dem Tod eben nicht alles vorbei ist. Wir glauben mit den Propheten und Evangelisten, dass da noch etwas kommt, etwas Größeres, wie ein zweiter Einschlag. Darin sind wir gewiss: Schon jetzt sind wir nicht abgehängt oder ausgesetzt, sondern ziehen unsre Bahn in Jesu Spur und sagen uns: „Lasst uns noch einmal aufdrehen!“ In Gottes neuer Wirklichkeit werden dann Tränen abgewischt sein und alles Zerbrochene fügt sich wieder neu zusammen, alle Missverständnisse klären sich auf und tiefe Verletzungen werden geheilt. „Dieses Wiedersehen wird heller und eindrucksvoller sein, als wir es uns ausmalen – so wie ein Komet, der ein zweites Mal einschlägt.“ (4) Amen
Fußnoten:
1) Song: Komet“ auf der CD „Gartenstadt“, Udo Lindenberg und Apache 207, veröffentlicht: 2023; Siehe die Lyrics im Internet und den Kommentar zum Song auf der homepage „MusikGuru“
2) Jörg Frey in der EfP der DBG zur Perikope: „Die Form ist also die eines Rechtsstreits im Stil hellenistischer Gerichtsrhetorik.“ (Zitat nach Zumstein KEK)
3) Sabine Joy Ihben-Bahl in der EfP der DBG zur Perikope
4) Christoph Borries in seinem Podcast „7 Tage 1 Song“ Folge 172
Lyrics „Komet“:
Quelle: Musixmatch; Songwriter: Udo Lindenberg u.a. © Hanseatic Musikverlag Gmbh u.a.
(1) Ich hör die Möwen sing’n am Hafen / Das letzte Lied zum Rausschmiss / Zähl schon lang nicht mehr die Jahre / Die ich im dichten Rauch sitz / Hier war vorher mal ’ne andre Bar / Doch der Schnaps schmeckt noch genauso / Und wenn ich irgendwo zu Hause war / Dann immer dort, wo der Applaus tobt
Und wenn ich geh, dann so, wie ich gekommen bin
Wie ein Komet, der zweimal einschlägt
Vielleicht tut es weh, doch will auf Nummer sicher geh’n
Dass ich für immer leb, lass uns nochmal aufdreh’n.
(2) Nehm aus dem Club das Glas mit, Konfetti liegt auf den Straßen / Trage mit Stolz die Fahne, ex den allerletzten Schluck / „Wo sind die letzten Tage?“, frag ich den Taxifahrer / Und er fragt mich, wat ick will, ich will nicht einschlafen / Ich will ein’n Fußabdruck von mir, stärker als die Zeit /Und ich sage dir: „Kein anderer Fuß passt da noch rein“ / Also bitte setz mich nicht zu Hause ab allein / Sie soll’n seh’n
Ja, wenn ich geh, dann so, wie ich gekommen bin
Wie ein Komet, der zweimal einschlägt
Vielleicht tut es weh, doch will auf Nummer sicher geh’n
Dass ich für immer leb, lass uns nochmal aufdreh’n.
Lieder:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude
Ich werfe meine Fragen hinüber
Wir glauben Gott, die Kraft, die alles schuf
Der Du Frieden schaffst in der Höh‘ (Osse Shalom bimrumav)
Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben
Meditation:
(aus dem Brief eines Freundes an einen Palliativ-Patienten)
„Du, stell dir einmal vor, wie es sein wird:
wenn du an Land kommst und du entdeckst, dass es der Himmel ist;
wenn du eine Hand ergreifst und entdeckst, es ist die Hand von Jesus;
wenn du andere Luft atmest und entdeckst, es ist Himmelsluft;
wenn du dich gestärkt fühlst und spürst: diesmal ist es Unsterblichkeit;
wenn du spürst, wie jemand dir die Tränen abwischt und du entdeckst: es ist Gott selber;
wenn du die Augen aufmachst und bist gesund und froh
und weißt auf einmal: jetzt bin ich ganz zu Hause.“
zitiert nach Johannes Hruby in: „Wort zum Tag“; ERF; 24.10.2017
Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb. 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.