Johannes 5,39–47

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„Suchst du etwas bestimmtes?“ | 1. So. n. Trinitatis | 22.06.2025 | Joh 5,39–47 | Felix Stütz |

Suchst du etwas bestimmtes, fragt mich der Ladenbesitzer hinter der Theke. Graue Haare, schmale Statur, kariertes Leinenhemd mit einer Weste darüber. Die Augen richten sich auf mich. Er schaut über die Brille, sein Blick ist klar. Ich glaube, er hat schon so einiges gesehen. Suchst du etwas bestimmtes, hallt es in mir nach. „Nein, nein, ich will nur mal schmökern.“ Der Blick des älteren Herrn ruht noch etwas auf mir; er blickt mich an, sieht durch mich durch, lässt mich gewähren in seinem Reich der Bücher. Und ich lasse meine Hand über die Buchrücken fahren, lese Titel der Neuveröffentlichungen, blättere hierein und darein, schaue ins Inhaltsverzeichnis und lese in die ersten Seiten. Es fühlt sich noch so neu und frisch an, wenn man ein Buch in der Hand hält, das noch komplett ungelesen ist. Manche Seiten haben noch eine leichte Verbindung. Man muss sie vorsichtig lösen, wenn man umblättert. Der Duft einer anderen Welt, einer neuen Perspektive dringt in die Nase. Am Ende finde ich etwas. Verlockender Titel, spannende Autorin. Der Mann nickt zustimmend, als ich an der Kasse zahle. Sein Murmeln klingt wie die Empfehlung, dass es sich um eine vielversprechende Lektüre handelt.

Suchst du etwas? Diese Frage löst bei mir immer etwas aus. Irgendetwas ist nicht bei mir, das eigentlich bei mir sein könnte. Mal ist es mein Handy, das U-Heft meines Kindes, das Messer, mit dem ich eben noch die Zucchini geschnibbelt habe, mein angefangenes Buch oder den Zettel mit der Uhrzeit des Arzttermins. Irgendetwas fehlt schon wieder.

Manchmal irre ich aber auch umher, suche irgendetwas, aber weiß schon gar nicht mehr was. Prospektives Gedächtnisversagen. Hochtrabender Begriff für ein ziemlich mieses Gefühl. Eben wusste ich es doch noch, aber jetzt weiß ich gar nicht mehr, was ich finden will. Also zurück zum Ursprungsort, um an den Ort der ursprünglichen Suche zu gehen. Immer in der Hoffnung, dass ich es da ja noch wusste. Ich komme mir dann vor, als hätte ich mein Suchvorhaben dort vergessen, besser gesagt: liegengelassen. Manchmal fällt es mir wieder ein, umso öfter allerdings auch nicht.

Suchen ist ortsgebunden. Irgendwo liegt es ja, das Ding, das ich suche. Und irgendwo fasse ich das Vorhaben, etwas zu suchen. Studien legen einen sogenannten Doorway Effekt nahe. Sagt man also auf der Türschwelle noch, dass man dieses oder jenes tun möchte, so wird es häufiger vergessen, da man weder hier noch da ist. Das Gedächtnis speichert sich die Dinge aber ortsgebunden ab. Man braucht also Platz, um zu suchen, um sich dessen bewusst zu werden, was man sucht. Den Platz braucht man physisch, wie ihn dieser Doorway Effekt nahelegt, aber auch psychisch und emotional. Der Mann im Buchladen gab mir den Platz zum Schmökern, er ließ mich gewähren und eröffnete mir einen Raum, etwas zu finden.

Meine Gottessuche braucht auch einen Ort. Welchen Einfluss der Ort hat, das merke ich nicht selten, wenn ich in großen Kathedralen bin und irgendetwas in mir still wird. Ich muss immer erstmal durchatmen und innehalten. Meine Suche braucht einen Ort, an dem sie sich ausbreiten und entfalten kann. Einen Ort, an dem sie sich ausrichten kann. Unruhig ist mein Herz, bis es Ruhe findet in dir, schreibt der Kirchenvater Augustinus in seinen Bekenntnissen. Vielleicht meint er damit auch, dass Gott ein Ort ist, an dem man in Ruhe finden kann. Bei Gott werde ich mir erst bewusst, was ich suche, was ich brauche und benötige. An diesem Ort wird mir bewusst, was mir fehlt oder was ich vermisse. Gott gibt mir Platz zum Suchen und Finden. Gott eröffnet mir einen Raum. Gott schenkt mir Freiheit zum Schmökern, Ausatmen, zum gedanklichen Sammeln. Gott lässt mich finden und mich wieder bei mir ankommen.

Gott ist dieser besondere Ort. Und dieser Ort ist: Hier! Genau hier, so schreien viele. Manche kleiden ihre Worte in religiöses Gewand, andere nutzen politische Formulierungen. Sie zeigen auf Orte, wo man angeblich finden kann. Das Seelenheil, die Rettung vor dem politischen Untergang, Erlösung, Zusammenhalt, Gemeinschaft, Sinn. All diese Schlagworte donnern mir um die Ohren, wenn ich nur höre, was gefunden werden soll. Die Leute meinen, Orte zu kennen, an dem man definitiv dieses oder jenes findet. Damit ist einerseits schon längst klargestellt, was gesucht werden soll und wo es gefunden werden kann. Es werden Gedankengebäude und ideologische Festungen errichtet, um den Ort der Suche zu bewahren. Eingemauert in klare Vorstellung, soll dann etwas angeblich lebensdienliches gefunden werden.

Was ich suche, wird dabei zweitrangig. Es ist ja schon klar, was die Leute brauchen. Es gibt ein Rezept, einen Plan, klare Abfolgen, die mir beim Finden helfen. Für alle dasselbe, tu dies und du erhältst das. Du musst die Bibel nur so verstehen, dann verstehst du sie richtig. Du musst nur mal diesen Kurs belegen, der wird dir helfen. Du musst endlich diesen Blog lesen, der wird dir die Augen öffnen. Geh mal zu dieser Veranstaltung, da wirst du die richtigen Leute kennenlernen. Probier’ doch mal das aus.

An dieser Vorstellung ist einfach alles falsch.

Gott ist der Ort meiner Suche. Keine religiöse Vorstellung oder ein spezifisches Konzept. Das biblische Zeugnis erzählt die Geschichte von einem Gott, der spricht und die Menschen anredet. Dieses Wort, dieses lebendige Wort, dieses horizonterweiternde Wort verbindet Menschen. Es führt Gott und Mensch zusammen, verwickelt sie. Die Geschichten der Bibel bezeugen einen Gott, der Worte des Lebens spendet und damit einen Raum eröffnet. Einen Raum zum Finden. Dieser Raum eröffnet sich inmitten der Worte und Texte, die Gott und die Menschen verbinden, die sie zusammenhalten und verknüpfen. Der Raum zum Finden entsteht, wenn Gott das eigene Wort spricht. Dann eröffnet sich ein Raum der Freiheit. Ich muss nicht folgen, sondern kann antworten, reden und entgegnen. Angesichts Gottes Wort entspinnt sich ein Gespräch.

Dieses eigene Wort Gottes ist Jesus Christus, wie wir es miteinander im Glaubensbekenntnis gesprochen haben. Gottes Wort wird Mensch. Gott eröffnet nicht allein einen Raum der Suche, er begleitet uns dabei. Gott wandelt mit uns und lässt sich befragen. Gott wird Teil unseres Suchens, lässt sich einbeziehen.

Manchmal vergesse ich, was ich suche, und manchmal vergesse ich auch mich auf der Suche. Suchen ist echt keine leichte Sache, vorallem wenn es um das ewige Leben geht, wie der Bibeltext schreibt. Natürlich hätte ich da manchmal gerne eine Anleitung. Aber lässt sich das Leben zusammenfügen wie Teile einer IKEA-Packung oder Bausteine einer Legosammlung?

Für mich ist das Leben ein Abenteuer, ein Suchen, Finden und Gefundenwerden. Gott eröffnet mir inmitten seines Wortes einen Raum dafür. Einen Raum zum Suchen, Innehalten, Durchatmen. Gott ist der Ort meiner Suche. Dort wird mir bewusst, was ich suche, was ich vermisse. Dort kann ich finden, was mir fehlt oder vorenthalten wird.

Wenn ich mal wieder verloren gehe auf der Suche, dann reicht mir Gott in seinem Sohn die Hand. Dieser Sohn ist es, der mir hilft, der mein Suchen begleitet.

„Suchst du etwas bestimmtes?“ Das Leben in Fülle, ewiges Leben.


Felix Stütz

Halle/Saale

E-Mail: felix.stuetz@theologie.uni-halle.de

Felix Stütz ist Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Systematische Theologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.