
Johannes 6,47-51
Ewig leben – schon jetzt! | Laetare | 30.03.2025 | Joh 6,47-51 | Stephan Lorenz |
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen
Heute ist Halbzeit, nicht im Fußball, sondern in der Fastenzeit. Die Hälfte geschafft, das Ende, Ostern in Sicht. Deshalb heißt der heutige Sonntag Lätare, ‚Freue dich‘, der wie alle Sonntage der Fasten- und Osterzeit nach einem alten Introitus (Eingangsvers) benannt sind: Laetare Ierusalem: et conventum facite omnes qui diligitis eam: gaudete cum laetitia, qui in tristitia fuistis: ut exsultetis, et satiemini ab uberibus consolationis vestrae Jesaja 66,10*
Und, wie in einer Halbzeitpause bekommen wir als Wegzehrung einem Abschnitt aus dem Johannesevangelium:
Amen, Amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat ewiges Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit jemand von ihm esse und nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel gekommen ist. Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er in Ewigkeit leben, und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.
Das Johannesevangelium ist ein vielschichtiges Werk, wahrscheinlich nicht von einem Autor geschrieben, sondern von einem Autorenteam über mehrere Jahrzehnte hinweg. Die Frage: Was ist denn das für einer? (Math 21,10) steht im Raum. Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas schreiben eine Art Vita, die auf die Passion hinausläuft, mit Gleichnissen, Erzählungen Geschichten. Das Johannesevangelium malt in großen Reden ‚Bilder‘, deren Thema die Offenbarung der Person Jesu selbst ist. Sie beschreiben seine Person, deuten sein Kommen in diese Welt und betonen die Wichtigkeit, zu ihm zu kommen, um mit ihm, mit Gott und der Gemeinschaft der an ihn Glaubenden eins zu werden. Die Bilder wollen das Leben der Menschen mit ihrer jüdischen Tradition und den Worten Jesu verbinden, um auf die neue, andersartige Lebenswirklichkeit hinzuweisen, die er eröffnet. Es sind wie alle Bilder ‚offene‘ Kunstwerke, Sprachspiele, die vielschichtig, zweideutig und doppelbödig anmuten. Ihr Verstehen gerät immer wieder zur kreativen Herausforderung. Mir mutet der kurze Text wie ein Midrasch an, also den rabbinischen Kommentaren biblischer Texte ähnlich. Ein Offenbarungswort wird zitiert: Amen, Amen ich sage euch … Ich bin das Brot… und dann assoziativ ausgelegt. Ich wage meinen ‚Midrasch‘, meine Bildbeschreibung, und greife einige Aspekte heraus.
Unser Abschnitt ist Teil der Offenbarungsrede vom Brot des Lebens, als theologische Deutung der Speisungsgeschichte: Jesu ist das Brot des Lebens.
„Wer glaubt, hat ewiges Leben.“ Was kann das Johannesevangelium damit meinen? ζήσει εἰς τὸν αἰῶνα kann im griechischen entweder ‚in Ewigkeit‘ oder einen bestimmten Zeitrahmen bedeuten. Einige Rabbiner deuten das auf dem Hintergrund des hebräischen ‚olam‘ und meinen damit die Zeitspanne bis zum nächsten ‚Jubeljahr‘. ** Das könnte zu Johannes passen: die Zeitspanne bis zum Gericht wäre gemeint. Das haben Glaubende nicht zu befürchten, denn die ζωὴ αἰώνιος ist in Jesus bereits gegenwärtig. Gemeint ist ein Leben im Hier und Jetzt, jedoch in Todesfreiheit. Die Gegenwart Jesu entmachtet die Wirklichkeit, in der der Tod herrscht, und Handeln, Denken und Gefühle von Menschen leitet. Wer Jesus in sich aufnimmt, ‚in ihm bleibt‘ der hat das ewige Leben schon jetzt. Dass die Idee vom ζωὴ αἰώνιος den natürlichen Tod nicht leugnet, wird im Folgenden klarer: „Denn das ist der Wille des Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ (6,40) Die Botschaft wäre: jeder Mensch kann Hier und Heute durch seinen Glauben an Jesus in seine bleibende Gemeinschaft mit Gott eintreten und ‚ewig leben‘. „Denn er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide und Schafe in seiner Hand. Wenn ihr doch heute auf seine Stimme hören wolltet“ (Psalm 95,7; zitiert Hebräer 3,15)
Das führt zum nächsten Aspekt. Wieder eine Anspielung auf die jüdische Tradition. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Das meint die Manna-Tradition, wie sie in der Geschichte von Exodus erzählt wird: Da sprach der Ewige zu Mose: Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen, und das Volk soll hinausgehen und sammeln täglich, was es des Tages bedarf…(Ex 16,4) Das Manna hat der Legende nach verschiedene Eigenschaften, so kann man sich wünschen wie es schmecken soll, ob nach Wurscht oder Tofu, und es befreit zusammen mit der Einhaltung des Sabbat von den ‚Wehen der messianischen Zeit und dem großen Gericht‘. (Quelle: Louis Ginzberg, Die Legenden der Juden, S. 826-834)
Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit man von ihm esse und nicht sterbe. Die Manna-Tradition wird neu gedeutet: Jesus ist das wahre Manna. Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er in Ewigkeit leben. Es würde zur Auseinandersetzung, ja Absetzung von der sich bildenden rabbinischen und synagogalen Theologie, die die Autoren des Evangeliums führen, passen. Jedenfalls ein bekanntes Muster: die Messiasgläubigen innerhalb der vielstimmigen jüdischen Religionsgemeinschaft verstehen die Schriften auf Jesus hin und behaupten: In ihm ist die die Schrift erfüllt. Rabbinisch geprägte Juden ließen sich jedoch nicht die Butter vom Brot nehmen, hielten dagegen und blieben bei Thora und Talmud. Am Ende steht die Trennung von Synagoge und Ecclesia.
Die Vorstellung von einer Speise, die Unsterblichkeit verleiht, ist in der Antike bekannt. Die Griechen kennen Ambrosia, die Götterspeise. Sie verleiht Unsterblichkeit. Leider allein den Göttern vorbehalten. Die indische Mythologie kennt das Amrita, ein Elixier, das große Kraft und Unsterblichkeit verleiht. Ignatius von Antiochia, gestorben 110, möglicherweise ein Zeitgenosse einiger Autoren des Evangeliums, nennt das Abendmahl ‚pharmakon athanasias‘, das Heilmittel der Unsterblichkeit.
Unsterblich sein, ewig leben: ein uralter Menschheitstraum. Dieses Wunschdenken treibt trotz Aufklärung und Fortschreiten der Wissenschaften Menschen an bis in unsere Zeit, ja wird sogar wissenschaftlich‘ betrieben. Die Google-Gründer Larry und Sergey Brin haben ein eigenes Unternehmen geschaffen, das exklusiv an längerem Leben forscht. Mark Zuckerberg investiert Unsummen an mehrere Longvity-Projekte. Larry Ellison, der Gründer des Software-Riesen Oracle verkündet, dass der Tod ihn „sehr wütend“ mache, und spendet fast eine halbe Milliarde Dollar für die Unsterblichkeitsforschung. Das sind die Hardliner, Immortalists. Neuerdings sollen KI und Social Media ewiges Leben ‚garantieren‘. Daneben gibt es Forschungen, Altern zu verlangsamen und Leben zu verlängern. Professor Dr. Thomas Lange vom Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns glaubt nicht, “dass es irgendwann gelingen könnte, dem Menschen Unsterblichkeit zu sichern … Der menschliche Körper ist nicht darauf angelegt, immer weiter zu existieren.“ Aber er meint auch: „Zumindest lässt sich etwas tun, um den Alterungsprozess zu verlangsamen: Sport treiben und gesund essen, ausreichend schlafen, nicht rauchen und wenig Alkohol trinken, Sozialkontakte pflegen und chronischen Stress vermeiden. Mit einem gesunden Lebensstil könnten Männer und Frauen
mittleren Alters im Durchschnitt mehr als 20 Jahre länger leben.“ ***
Ich fühle mich bei diesen, wie ich finde schlichten Ratschlägen, an eine alte Erkenntnis aus meiner braunschweigischen Heimat erinnert: Slapen, eten, supen, langsam gahn und pupen, das sleit an. Wie man gut lebt, wussten unsere Vorfahren ganz ohne ‚wissenschaftliche‘ Forschung. Wie auch immer, Wunschdenken ist der Rationalität nur schwer zugänglich, wie die vielfache Ratgeberliteratur zum Thema länger Leben zeigt. Damit lässt sich zumindest sehr viel Geld machen.
Was hat das Evangelium anzubieten?
Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er in Ewigkeit leben, und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt. ‚Fleisch für das Leben der Welt‘ ist sicherlich nicht kannibalistisch, sondern wiederum bildhaft gemeint. Die Wendung ‚Fleisch’ könnte durchaus als persönliche Gegenwart Jesu verstanden werden. Jesus gibt dieses Brot, damit der Nehmende nicht stirbt und ewiges Leben (V50.51), und nach der Aufnahme Leben ‚in sich selbst habe‘ (V. 53) Ich folge gerne einigen Exegeten, die meinen, das Geben des Lebensbrotes sei weniger auf die Hingabe seines Leibes in den Tod gemeint, sondern sein ganz irdisches Leben, sein Leben in Fleisch und Blut, bildlich gemalt als Nahrungsmittel, (Rudolf Herrman, Gehorsam und ewiges Leben im Sinne des Johannesevangeliums) wie die überwältigende Erfahrung mit dem irdischen Jesus im 1. Johannesbrief beschreibt: Das da von Anfang war, das wir gehört haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschaut haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater und ist uns erschienen: was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch, auf dass ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsre Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.
So die fundamentale, lebensverändernde Erfahrung der ersten JüngerInnen, die wohl Jesus noch in ‚Fleisch und Blut‘ erlebt haben. Für die Nachkommenden ist der Weggang Jesu jedoch kein Verlust, sondern ermöglicht das Kommen des Parakleten (Joh 16,7), des ‚Geistes der Wahrheit‘ (Joh 14/15), der die Verkündigung seiner Worte in seiner Gemeinschaft weiterträgt, und so die Gegenwart Jesu im Geist des Glaubens ermöglicht. Für uns Nachkommende gilt das Wort an Thomas: Weil du mich gesehen hast, Thomas, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! …. Das ist „geschrieben, damit ihr glaubet, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen. (Joh 20, 29ff)
Was könnten wir mitnehmen? Vielleicht ist die Wirkung der Worte Jesu, sein Lebensbrot, tatsächlich einer Bildbetrachtung ähnlich, wie wir sie im Museum oder beim Betrachten der Natur erleben können. Man schaut sich das Bild an, sieht hier und da etwas, meint etwas zu
verstehen, und allmählich, mit der Zeit merkt man: nicht ich schaue das Bild an, sondern das Bild mich. Und, wen wundert’s, diese Anschauung‘ verändert mich und meine Perspektive auf mein Leben.
Gottes Heiliger Geist befestige diese Worte in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf dass euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen
Confiteor:
Im Psalm 84 heißt es: „Gut geht es den Menschen, die Dich, GOTT, für ihre Stärke halten und DIR von Herzen nachfolgen.“ Halten wir Gott für unsere Stärke, folgen wir ihm nach? Verlassen wir uns nicht lieber auf unsere eigene Stärke! Wir wollen hier erfahren, wie die Worte Gottes uns im Leben Kraft geben können. Wir wissen auch: Wenn wir uns allein auf unsere Stärke verlassen, ist das oft ziemlich schwach. So beten wir am Anfang: Gott, erbarm dich, vergib uns unseren kleinen Glauben. Lass uns diesen Gottesdienst mit einem unbeschwerten Herzen und fröhlichen Lippen feiern. Und erhalten gleich zu Beginn die Antwort, die sich im Gottesdienst bestätigen möge: Gott erbarmt sich, er kommt zu uns in Jesus, dem Christus, und zeigt, wie wir Dir vertrauen können. Wer Gottvertrauen hat, wird selig. Das verleihe Gott uns allen. Amen.
Kollektengebet
Gott, der du uns tröstest in unserer Angst, sei uns gnädig und erhöre unser Gebet. Wir sind durch das, was wir aus vermeintlicher Stärke tun, oft am meisten geschlagen. Wir bitten dich: Wenn wir heute über dein Wort nachdenken, dann schenke uns die Verwandlung unseres Lebens durch Glauben, Liebe und Hoffnung, durch Jesus Christus, der uns mit Dir und dem Heiligen Geist stark macht heute und jeden neuen Tag. Amen
Fürbitte
P: Gott, durch Jesus, den Christus, erfahren wir deinen Frieden und deine Gnade. Wir brauchen Halt in den Erschütterungen unserer Welt. Wir bitten:
A: Lass uns festhalten am Bund deines Friedens und deiner Gnade. Frieden brauchen die Menschen in der Ukraine, die für ihr Land kämpfen, Frieden brauchen Israel und Gaza. Lass uns die nicht vergessen, die inmitten von Zerstörung und Gefahr ausharren, zwischen Angst und Mut leben. Deine Gnade stärke uns. Wir rufen: Kyrie eleison
B: Lass uns festhalten am Bund deines Friedens und deiner Gnade. Unseren Beistand brauchen die Menschen im Iran und in Afghanistan, die Frauen, die aufbegehren, die Mädchen, die mit Angst zur Schule gehen oder gar nicht zur Schule gehen dürfen. Deine Gnade mache uns stärker als alle Macht von Diktatoren. Wir rufen: Kyrie eleison
C: Lass uns festhalten am Bund deines Friedens und deiner Gnade. Wir wollen Menschen in unserer Nachbarschaft nicht übersehen und ihnen helfen, wo wir können, wenn sie Not leiden, wir werden Kranke besuchen und für die sorgen, die unsere Hilfe brauchen. Wir rufen Kyrie eleison
P: Gott, durch Jesus, den Christus erfahren wir deinen Frieden und deine Gnade. Gib uns Kraft, unser Leben so zu verändern, dass unsere Kinder und Kindeskinder eine lebenswerte Welt vorfinden. Lass uns am Bund der Gnade und des Friedens festhalten. Heute und alle Tage. Amen. Laudate omnes gentes
Vater unser
* Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart. Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum! –
** siehe 3. Mose 25,8 ff – alle 50 Jahre werden Schulden erlassen, Sklaven freigelassen und Landbesitz zurückgegeben.
*** siehe auch: Auf der Suche nach dem Jungbrunnen, Valentin Frimmer, Deutsches Ärzteblatt | Jg. 122 | Heft 2 | 24. Januar 2025; und: Langes Leben auf Kosten der Gesundheit, Deutsches Ärzteblatt | Jg. 122 | Heft 2 | 24. Januar 2025: ‚Mit steigender Lebenserwartung haben auch die krank verbrachten Jahre zugenommen. Menschen in Deutschland sind im Laufe ihres Lebens im Schnitt 11 Jahre krank.‘
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Pastor J.-Stephan Lorenz
Apartado 6, 8200-471 Paderne (Portugal)
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