Johannes 6,9-13

· by predigten · in 04) Johannes / John, 7. So. n. Trinitatis, Aktuelle (de), Archiv, Beitragende, Bibel, Deutsch, Joachim Goeze, Kapitel 06 / Chapter 06, Kasus, Neues Testament, Predigten / Sermons

7. Sonntag nach Trinitatis | 3. August 2003 | Johannes 6,9-13 | Joachim Goeze |

9Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele? 10Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer.

11Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. 12Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. 13Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.

(Lutherbibel 2017, Joh 6,9-13)

Liebe Schwestern und Brüder in Christus !

Wann immer diese Geschichte zu hören ist, dann sind zuerst die klugen Rechner da, wie es schon in der Erzählung selber geschildert ist: Wie denn zwei Fische und fünf Gerstenbrote, das Brot der armen Leute in Israel, unter so viele zu teilen? Und wie denn am Schluss da soviel übrig bleiben kann: 12 Körbe Brocken, die gesammelt werden, damit nichts umkomme? Und das ganze soll dann reichen für 5000 Mann, Frauen und Kinder noch nicht dazugerechnet? Es ist typisch für viele Geschichten im Neuen Testament: Zeichen und Wunder geschehen, wenn eine Not da ist, wenn Jesus im Namen seines Vaters Menschen in Not helfen will. Und so sieht auch diese sorgfältig gestaltete Erzählung die Anfangssituation : Jesus sieht Tausende Leute ankommen, die Speise brauchen und ihren Hunger stillen wollen auf der Suche nach ihm. Und dann geschieht das, was hier so unspektakulär mit den Worten des Abendmahls geschildert wird: „Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie“, v.11.

Über das „wie“ dieser Brotvermehrung wird also kein Wort verloren. Und deswegen würden wir zu kurz denken, wenn wir bei den gesammelten materiellen Unwahrscheinlichkeiten unserer Geschichte stehen blieben. Über sie nachzudenken, würde uns den Sinn dieses Lebenszeichens Jesu gar nicht erfassen lassen. Wir würden uns nur auf der Seite der Rechner und der Skeptiker wiederfinden, wie die Jünger in unserer Erzählung: Das Geld reicht nicht, die Menge der Lebensmittel reicht nicht, die Not kann gar nicht bekämpft werden.

Hier dürfen wir nicht stehen bleiben. Unsere Geschichte hat einen tieferen Sinn. Die Bibel ist kein Physikbuch und kein Handbuch über Nahrungsmittelchemie. Unsere Geschichte ist auch keine historisch belegte Reportage, sondern eine Zeichenerzählung. Daraufhin will sie gelesen und bedacht werden.

Ein anderes Beispiel mag das verdeutlichen: Wir kennen alle das Märchen von Hans im Glück. Wie der Hans seinen schönen Lohn, den Batzen Gold, eintauscht und jedes Mal ein schlechteres Geschäft dabei macht. Vom Gold über das Pferd, die Kuh, das Schwein, die Gans, die Steine des Scherenschleifers, bis er auch die versehentlich vom Brunnenrand hinunterwirft und frei von jedem Besitz seines Wegs zieht.

Fange ich nun an, zu fragen , ja, gab es denn im Oberhessischen, wo dieses Märchen erzählt wird, überhaupt Bauern, die alle diese Tiere hatten? Hat es auch dort reisende Scherenschleifer gegeben ? War es üblich als Lohn kopfgroße Goldstücke zu geben usw usw? Dann habe ich doch den Sinn gar nicht erfasst. Vielmehr muß ich nach fragen: wieso war Hans im Glück, obwohl er doch so miserable Geschäfte gemacht hat? ANTWORT: weil unser Hans eins in seinem Kopf begriffen hatte, dass er nach Hause kommt, war das allerwichtigste: in der Heimat zu sein, darauf kommt es an.

Also übertragen auf unsere heutige Predigterzählung heißt das: ihr Sinn besteht in der Zuwendung Jesu zum Volk Gottes und in der Beauftragung seiner Freunde, zu teilen und Lebenshunger zu sättigen.

Und das gilt eben in materieller Hinsicht und im Blick auf den Hunger nach Lebenssinn, in den Antworten auf die Fragen, warum und woraufhin wir leben und es sich zu leben lohnt, also in geistlicher Hinsicht. Jesus selbst in der Bergpredigt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von dem Wort, das von Gott kommt. Wenn dieser doppelte Hunger gestillt wird, dann erst ahnen wir, dass unsere Geschichte, in der Tausende satt werden, sehr wohl einen Sinn hat, ja selbst ein Zeichen ist, dass Gott sich um uns kümmert uns als Jünger zum Teilen beauftragt, aber auch unseren Lebenshunger stillen will.

Aber wie schwierig ist es, von so einem Angebot zu erzählen, wenn alle satt sind, wie bei uns. Wenn das größte Problem die Auswahl der Schlemmerangebote und die Auswahl der daraufhin nötigen Abspeckdiäten zu sein scheint?

Viele von den Älteren kennen sicher die Geschichte vom Brot, die Wolfgang Borchert aus der Nachkriegszeit erzählt. Mann und Frau leben seit 48 Jahren treu zusammen. In der Küche ist als einziger Vorrat 1 Stück trocknes Brot. In der Nacht kann der Mann nicht schlafen vor Hunger, er steht auf und isst von der Kruste. Seine Frau wacht auf, folgt ihm in die Küche. „ Ich habe nur nachgesehen, ob das Fenster nicht offen ist“ antwortet der Mann auf die unausgesprochene Frage und spricht in seiner Hungersnot die erste Lüge in ihrer Ehe aus. Und sie sieht ihn noch kauen und geht gnädig darüber hinweg.

Fassungslos sind die Kinder von heute bei dieser Geschichte. „Ja aber warum geht er denn nicht einfach an den Kühlschrank?“ Ist noch das mindeste, was ich zu hören kriege. Nein, solchen Hunger, Gott sei gelobt, muß keiner im Deutschland von heute leiden. Aber ich glaube dennoch, dass wir in unserem Land Hunger haben und manche, den Tod am Brot allein erleiden. Dem materiellen Elend in Übersee entspricht unser seelisches im Inland. „Möglicherweise ist es am schwersten zu ertragen, dass, wenn alle Probleme gelöst sind, das Glück dennoch ausbleibt,“ heisst es in einem Artikel über die hohe Selbstmordrate in Deutschland. Da fehlt es nicht am Teilen der materiellen Güter, sondern an der Anteilhabe, an Mitempfinden, an Zeit, an Zuneigung, alles Geschenke, die wir selber machen können.

Geschenke, die die Zuneigung Gottes, das Mitempfinden Jesu mit den Hungrigen in unserer Geschichte widerspiegeln und die doch für uns eine einzige Aufforderung, ein Zeichen sein können, wie aus dem Teilen, von dem was wir haben und sind, Lebenshunger gestillt werden kann, Gemeinsames gefunden und geteilt, die Freude verdoppelt und das Leiden geteilt werden kann.

Diese Gemeinschaft bildet sich ab in unserer Geschichte, hierfür beschenkt und begabt Jesus das Volk Gottes und beauftragt uns Nachfolger und Hörer. Darum gibt uns diese Geschichte vom Lebensbrot Zeichen, zu teilen und darin neue Gemeinschaft, neuen Lebensmut zu finden, der unsern Lebenshunger stillen und das Gefühl, zu kurz zu kommen, mitten im Überfluss zu ersticken, ablösen kann durch das Brot des Teilens und der Teilhabe an der Liebe Gottes, die über unser Rechnen und über unsere Skepsis hinaus uns neuen Mut und immer neue Anfänge schenkt. So haben wir Teil am ewigen Leben. Indem wir anfangen, für unser tägliches Brot zu danken, beginnen wir, vom Himmelsbrot gesegneten un d geteilten Lebens zu essen, das für uns gebrochen wird zur Vergebung aller Schuld.

Wie das aussehen kann, dass man reich werden kann, auch wenn alles Rechnen ergibt, das wir unsern Hunger nicht stillen können, will ich einer kurzen Geschichte zusammenfassen. Auch wenn sie vielleicht bekannt ist, ist sie es wert, ins Gedächtnis zurückgeholt zu werden.

Als der alte Arzt Dr.Leopold B. gestorben war, machten seine Söhne eine merkwürdige Entdeckung. In einem alten Sekretär aus dem Sprechzimmer ihres Vaters fanden sie ein wunderlich geformtes graues Stück etwas. „Was ist denn das?“ fragten Sie ihre `Tante´Luise, die jahrzehntelang im Hause geholfen hatte. „Oh,“ antwortete die alte Dame, „das ist eine kostbare Erinnerung, die Euer Vater immer aufgehoben und vor Augen gehabt hat.“ In der Nachkriegszeit, als überall so große Not war, ist er nämlich einmal selber krank geworden. Und wie ein ehemaliger Patient davon gehört hatte, schickte er ihm einen frischen Laib Brot, er solle nur ja auf sich achten, von dem guten Brot essen, damit er bald wieder zu Kräften käme, um andern weiter so zu helfen, wie er ihm geholfen habe. Als das frische Brot angekommen war, erinnerte der Arzt sich aber an die Mutter, die noch am Vormittag mit ihren beiden Hungerkindern in der Praxis gewesen war. Und so bat er mich, erzählte Tante Luise, in die Kellerwohnung zu gehen, damit die Kinder satt würden. Am gleichenTag aber hatte die Mutter für ihre Kinder ein Paket bekommen, sodass der größte Hunger gestillt war. Sie schickte das Brot an einen Mann, der in der Mansarde oben unter dem Dach wohnte und hatte fliehen müssen mit nichts als den Sachen, die er am Leibe trug. Die Freude war groß, als der Empfänger sah, dass jemand an ihn gedacht hatte. Aber weil er gesund war und gerade seine Abendsuppe gegessen , gingen seine Gedanken an seinen Vetter, der ausgebombt war und nichts zu beissen hatte. Gedacht getan, er brachte ihm den duftenden Laib Brot und teilte die Freude mit dem Beschenkten. Der aber hatte gehört, dass der alte Arzt das Bett hüten mußte und schritt eilig in die Praxis, um mit einem frischen Brot zur Gesundung des frisch Erkrankten beizutragen. Natürlich hat Euer Vater das Brot sofort wieder erkannt, und seitdem hat er dieses Brot sorgfältig aufgehoben als ein Zeichen der Liebe Gottes unter den Menschen. “Nie will ich vergessen, „ hat er gesagt, „dass wir alle durch das Teilen von der Güte Gottes leben und dass sich die Bitte`unser täglich Brot gib uns heute´oft unerwartet erfüllt. Aber zugleich hebe ich es auf als Mahnung, dankbar zu sein. Denn obwohl von diesem Brot keiner gegessen hat, sind doch viele satt geworden durch dieses Zeichen und haben ihren Hunger nach der Liebe Gottes stillen können.“

Amen.

Exegetische und homiletische Entscheidungen

Unsere Perikope hat fünf synoptische Parallelen. Ihre häufige Bezeichnung ´von der wunderbaren Brotvermehrung` trifft m.E. gerade nicht den Kern der joh. Aussage. 1. wird überhaupt keine andere„ wunderbare“ Handlung als die des Brotbrechens beschrieben. 2. Der Zusammenhang, in dem unser Text in diesem hoch durchkomponierten Evangelium steht, führt von der Aussage „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten“ (4,13) zum Ich-Bin-Wort in unserm Kap.6,33 „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern“. Beide Worte sind mit dem Gedanken„ der hat das ewige Leben“ verbunden. Die Häufigkeit der Parallelen spricht also einerseits eine deutliche materielle Sprache: Brot und Hungerstillen sind und waren aktuelle Lebensnotwendigkeiten. Demgegenüber verbietet sich eine Spiritualisierung dieses Zeichens, das Jesus tat, als käme es nur auf das Himmelsbrot und nicht auch auf ganz irdische Sättigung an. „Wohlergehen und die Frage nach dem Heil dürfen also zurecht nicht auseinandergerissen werden, „weil der, der Brot und Leben gibt, sie zusammengehalten hat.“ (Predigtstudien I,2 1996 z.St.) Und die eindeutige Abwehr Jesu, sich zum Brotkönig machen zu lassen, v.15, spricht darum gegen jede Vereinseitigung.

Homiletisch hat das natürlich schwierige Konsequenzen: wie denn einer Gesellschaft, deren Hauptproblem die Schlemmerauswahl und das Abspecken zu sein scheinen, deutlich machen können, was Hunger bedeutet – allen Bildberichten aus der Ferne zum Trotz. Und wie denn sinnvoll von Lebenshunger sprechen, wenn trendy im lifestyle zu sein Lebenssinn genug zu vermitteln scheinen, mit dem Recht auf Glück in den äusseren Umständen des Lebens scheinbar ale Probleme gelöst sind.

Darauf wird die Predigt so eingehen, dass zuerst das Missverständnis „Wunder“ abgewehrt, sodann die Art, Hunger zu verstehen, thematisiert und der Charakter unseres Textes als Sinngeschichte herausgestellt wird. Daraufhin soll das Verständnis von Brot, das Im materiellen und spirituellen Sinn unsern Hunger stillen kann, erläutert und in einer Kurzgeschichte fokussiert werden.


Dr. Joachim Goeze, Wolfsburg
E-Mail: joachim.goeze@web.de