
Jona 2,1-11
„Wenn alles still ist, geschieht am meisten“ (Sören Kierkegaard) | Karsamstag | 19.04.2025 | Jona 2,1-11| Martina Janßen |
Meditation 1
Jeder Tag hat seinen Namen. „Stiller Samstag“ wird dieser Tag genannt, ein Tag zwischen den Tagen, an dem sich kein Leben regt und an dem scheinbar nichts passiert. Die Karfreitagstrauer ist verklungen, der Osterjubel scheint noch fern. Auf allem liegt heute Stille, in alles ist heute Leere gewebt. Die Glocken verstummen, der Altar ist nackt, das Herz ruht. Gott schweigt verborgen, ist in Jesus Christus hinabgestiegen in das Dunkel des Todes. Schwer liegt der Stein vor dem Grab, schwer wiegen die Fragen. Was bleibt in dieser Gottesleere, Grabesstille, Herzensschwere? Der schmucklose Altar, das Schweigen, das auf sich selbst zurückgeworfene Herz: Ist das alles, was bleibt? Nichts mehr zu hören, nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu hoffen? Der Schein trügt. Gott ist da, näher und tiefer als je zuvor. Das klingt paradox. Da bleibt eine Spur Geheimnis. Auch wenn wir nichts sehen und hören – was jetzt geschieht, verändert alles. „Wenn alles still ist, geschieht am meisten.“ (Sören Kierkegaard). Denn unter der Oberfläche brodelt es. Im dunkeln Erdboden wächst der Same seinem Blühen entgegen, hinein ins Licht. Das neue Leben hat schon begonnen, aber es ist noch nicht da. Jetzt ist Stille.
(Gong) – Stille – (Gong)
Meditation 2
„Wenn alles still ist, geschieht am meisten.“ Wie im Schlaf. Wenn wir schlafen, nichts sagen, nichts hören, nichts sehen, dann geschieht so vieles zwischen Traum und Albtraum. In manchen Nächten erblühen wir, in manchen Nächten sterben wir auch, gehen durch die Hölle und warten auf den erlösenden Morgen. „Die Nacht hat zahllose Augen auf mich gerichtet. Sagte ich Augen? Pfeile. Sie sausen auf mich zu, stecken in meiner Haut. Wer möchte da in meiner Haut stecken? Vergebens bemühe ich mich die ganze Nacht, sie herauszuziehen und über den Haufen zu werfen. Am Morgen liege ich auf einem Haufen Gedankensplitter und wundere mich, dass ich mit heiler Haut davongekommen bin“ (Rose Ausländer) Vielleicht ist es so beim Sterben? Der Schlaf – so heißt es – ist der „kleine Bruder des Todes“. Thanatos (Tod) und Hypnos (Schlaf) – in der griechischen Mythologie sind sie Zwillingsbrüder. Liegt nicht etwas Wahres in diesem alten Wissen? Vielleicht sind jene Nächte wie das Sterben, vielleicht tragen wir in uns die gleichen Fragen: Kommen wir mit heiler Haut davon? Fügen sich unsere Gedankensplitter am Ende zu einem Sinn? Wartet der erlösende Morgen an den Rändern der Nacht?
(Gong) – Stille – (Gong)
Meditation 3
„Wenn alles still ist, geschieht am meisten.“ Erlösung ist das, was geschieht, jetzt in diesem Moment. Jesus ist „hinabgestiegen in das Reich des Todes “ (2. Artikel des Glaubensbekenntnisses), „hinabgefahren in die Tiefen der Erde“ (Eph 4,9), und „hat gepredigt den Geistern im Gefängnis“ (1 Petr 3,19). Dass Jesus in den Tod, in unseren Tod, zu unseren Toten, geht, ist kein Zeichen von Schwäche. Gott gibt weder sich selbst noch uns auf. Im Gegenteil: „Gottes Sterben in Jesus Christus ist […] Ausdruck seiner radikalen Solidarität mit uns“ (Joseph Ratzinger). Anders geht es nicht. Den Tod überwindet man nicht im Spiel von oben herab. Das ist eine ernste, todernste Sache, für uns und für Gott. „Rabbi Schlomo sprach: Wenn du einen Menschen aus Schlamm und Kot heben willst, wähne nicht, du könntest von oben stehenbleiben und dich damit begnügen, ihm eine helfende Hand hinabzureichen. Ganz musst du hinab, in den Schlamm und Kot hinein: da fasse ihn dann mit starken Händen und hole ihn und dich ans Licht.“ (Martin Buber). Jesus geht nach unten, in Schlamm und Kot, ist ganz unten, da wo die Toten sind, er ist bei ihnen. Damit ändert sich alles. „Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.“ (Psalm 139,8) Niemand ist den Augen der Nacht mehr schutzlos ausgeliefert, allein mit seinen Pfeilen in der Haut und all den Gedankensplittern, die als Fragmente durch die Hände rinnen. Was jetzt geschieht, verändert alles. Die Macht des Todes wird über den Haufen geworfen und Tore des Totenreiches stehen offen. „Da wurden die ehernen Tore zerschlagen und die eisernen Querbalken zerbrochen und die gefesselten Toten alle von ihren Banden gelöst und wir mit ihnen. Und es kam herein der König der Herrlichkeit wie ein Mensch, und alle dunklen Winkel des Totenreiches wurden licht.“ (Nikodemusevangelium 21,3).
(Gong) – Stille – (Gong)
Meditation 3
Jona 2,1-11: 1 Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. 2 Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches 3 und sprach: Ich rief zu dem HERRN in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. 4 Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, 5 dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. 6 Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. 7 Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott! 8 Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. 9 Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. 10 Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem HERRN. 11Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.
Da ist auch so ein Mensch, einer in Kot und Schlamm, mit Pfeilen in der Haut und zersplitterten Gedanken, ausgeliefert den Augen der Nacht, einer, in dessen Haut niemand stecken will. Jona ist ins Meer geworfen, mitten in jene bedrohliche Chaosmacht (vgl. Gen 1,2), die einen nach unten zieht und in tausend Stücke reißt. Jona ist weg aus der Welt, außen vor mitten in der Tiefe, weg von Gottes Blick, von Gottes Augen verstoßen, kein Land in Sicht, voller Angst ist das Herz. Ist das alles, was bleibt? Ein Herz in Angst, ein Mensch verschlungen im Rachen des Todes, begraben im Leib eines Fisches, umgeben von Dunkel, zersplittert im Chaos ohne Sinn? So endet es nicht, so darf es nicht enden. Für Jona nicht, für Jesus nicht, für uns nicht. Gott zieht Jona aus dem Todestaumel wieder ins Leben. Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.
Jesus und Jona – sie sind Brüder. „Wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war […] so war [Jesus] drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde“ (Mt 12,28). Wie der Fisch Jona freigegeben hat, so gibt das Grab Jesus frei. Wie Jona wieder fest und sicher an Land und ins Leben geht, so wird Jesus in die Höhe kommen, aus der Tiefe des Todes, aus dem dunklen Dreck wird er ans Licht kommen. „Der hinabgefahren ist, das ist derselbe, der aufgefahren ist über alle Himmel, damit er alles erfülle.“ (Eph 4,10). Es erfüllt sich Gottes Treuegelübde mit uns, in Jesus Christus nimmt Gottes radikale Solidarität Gestalt an. „Aber Gott wird mich erlösen aus des Todes Gewalt; denn er nimmt mich auf.“ (Psalm 49,16).
(Gong) – Stille – (Gong)
Meditation 4
„Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.“ (Ton, Steine, Scherben). Das klingt paradox, ist aber ein offenes Geheimnis. Der Morgen dämmert. Die dunklen Winkel des Totenreiches werden licht, wir werden mit heiler Haut durch die Nacht kommen und unser zersplittertes Leben wird heil. Wir werden es sehen und hören: Die Glocken werden klingen, der Altar wird erblühen und unser Herz wird jubeln. Das ist es, was beginnt, wenn es jetzt still ist. Noch ist Leere in alles gewebt, Schweigen auf alles gelegt. Doch dabei bleibt es nicht, damit endet es nicht, der Schein trügt. Nichts wird bleiben wie es ist. Jetzt ist die Stille vor dem Sturm, der die Nacht wegfegt und die Pforten der Hölle niederreißt. Gott fasst uns mit starken Händen und holt uns ans Licht.
Amen
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PD Dr. Martina Janßen
Hildesheim
Martina Janßen, geb. 1971, Privatdozentin für Neues Testament (Universität Göttingen), Pastorin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers