
Kohelet 7,15-18
Respektiere Gott und meide Extreme! | Septuagesimä | 16.02.2025 | Pred. 7, 15 – 18 | Fritz Neubacher |
Vor knapp drei Jahren hat Wladimir Putin die Ukraine überfallen. Der Westen Europas steht auf der Seite der Ukraine. Warum eigentlich? Weil wir ein starkes Gerechtigkeitsempfinden haben, das uns sagt: Du darfst nicht einfach jemanden überfallen, und ihm Land wegnehmen! Wo kommen wir da hin, wenn das jeder macht?
Donald Trump erregt die Gemüter, weil er Panama den Kanal wegnehmen will, und Grönland kaufen will. Warum ärgert das so viele Menschen auf der Welt? Weil wir – jedenfalls viele von uns – ein feines Sensorium dafür haben, dass das ungerecht ist, dass sich die Großen und Starken einfach nehmen, was ihnen nicht gehört.
Deswegen war auch die öffentliche Entrüstung riesengroß, als aufkam, dass Rene Benko, der die größte Pleite der Nachkriegszeit in Österreich verursacht hat, nach wie vor ein Leben in unermesslichem Luxus führt. Das ist unmoralisch, das ist unfair, der gehört eingesperrt, bei Wasser und Brot!
Auf der selben Ebene bewegen sich die Diskussionen, wo die Republik Österreich das Geld hernehmen soll, das sie braucht, um ihre Schulden zu bezahlen. Wir müssen sparen, das ist klar. Aber wer ist „wir“? Wie wird diese Finanzlast gerecht aufgeteilt?
Vier Beispiele, ein Thema: Wir wollen, dass es gerecht zugeht auf dieser Welt: Dass die Guten belohnt werden, und die Bösewichte bestraft.
Genau das war eine Grundaussage der alten, israelitischen Weisheit! Man spricht vom Tun-Ergehen-Zusammenhang: Wenn du Gutes tust, fromm bist und die Gebote hältst, dann wird es dir gut gehen, und du wirst ein langes, glückliches Leben haben. Die Bösewichte aber gehen elendig zugrunde.
So. Der Garant für diese Gesellschaftsordnung, für diese Weltordnung war niemand geringerer als Gott selber! Gott wacht darüber, dass dieses System nicht ins Wanken kommt: Er ist es, der die Guten belohnt, und die Bösen bestraft!
Die Frage, wie man leben soll, wie man sich im Leben verhalten soll, war damit beantwortet: Tue recht, und scheue niemand. Halte die Ordnungen und Gebote ein, führe ein anständiges Leben. Dann wird Gott dich mit Gesundheit, Alter und Wohlstand belohnen. Gutsein zahlt sich aus. Es rechnet sich.
Diese Theologie, diese Überzeugung finden wir häufig im ganzen Alten Testament wieder. Sie gehört zu den Kernaussagen. Und es spricht uns – zumindest ein bissl – aus der Seele.
So. Jetzt kommt Kohelet. Übrigens: Kohelet ist kein Name. Es bedeutet so viel wie „Versammlungs-Vorsteher“. Der Vorsteher religiöser Versammlungen ist – meist der Prediger. Deswegen hat Luther den Ausdruck Kohelet mit Prediger übersetzt. Kohelet sagt: Ich habe mir das alles angeschaut, und: Es stimmt nicht! Es ist nicht wahr, dass sich Gutsein lohnt! Ich habe gesehen, dass es Menschen gibt, die sehr wohl nach Gottes Geboten leben und trotzdem elend umkommen; aber andere, die Unrecht tun und sich um Gott nicht kümmern, die genießen ihr Leben bis ins hohe Alter.
Wir nicken dazu, und denken: Ja, das kennen wir auch, siehe Putin, Trump, Benko und so weiter.
Aber wie sollen wir dann unser Leben leben, wenn sich Gutsein nicht auszahlt?
Die einen sagen: Wir machen es wie Donald Trump: Sein Slogan ist: Amerika first! Hauptsache uns geht’s gut. Die anderen müssen sehen wo sie bleiben. Dementsprechend musst du dich um dein eigenes Wohlergehen selber kümmern: Schau auf dich zuerst! Nimm dir das größte Stück vom Kuchen – die anderen haben vielleicht eh keinen Appetit oder Zöliakie. Oder wenn sie doch auch gerne mitgenascht hätten: Sei schneller, klüger, stärker. So geht heute ‚leben‘!
Die anderen sagen: Die Welt ist komplex, die Menschen sind schlecht. Das ist nichts für mich. Ich zieh mich zurück in meine eigenen vier Wände. Ich lebe mein eigenes Leben. Ich brauche niemanden.
Die Dritten wandern aus, und die Vierten gehen Protestieren. Wir Österreicher sagen: Passt schon, weitermachen wie bisher.
Was aber sagt Kohelet?
Zunächst spricht er von seinem unbedeutenden Leben.
Er beschreibt es als „Windhauch“. Mein Leben ist wie ein Ausblasen des Atems in der Kälte: Du siehst etwas wie eine kleine Wolke, aber im nächsten Moment ist es – Nichts. Ohne Bedeutung, ohne Gewicht, ohne bleibenden Eindruck. Ich bin Nichts – ist seine Aussage.
Das sagt er aber nicht als sich minderwertig fühlender Einzelner, das sagt er als Lehrer. Und das bedeutet:
Wir alle sollen von uns so denken!
Tatsächlich kann ich dem etwas abgewinnen. In einer Welt, in der es immer mehr und immer heftiger darum geht, „etwas“ zu sein, sein Image zu verbessern, seine Likes und Follower zu vermehren, in der nichts mehr zählt als sich wichtig zu machen, in so einer Welt ist die Botschaft: ‚Sei mal realistisch – und bist gar nichts! Ein Windhauch!‘ attraktiv!
Derzeit laufen in Saalbach-Hinterglemm die Schi-Weltmeisterschaften. Heute ist großes Finale, mit Slalom der Herren. Darf ich euch mal kurz fragen, wer eigentlich der Sieger der letzten Weltmeisterschafts-Abfahrt war? Also der Sieger 2023? Es war Marco Odermatt. Gewusst? Aber wer war der Abfahrtsweltmeister 1978? Es war Sepp Walcher. Fast niemand weiß es mehr. Dabei war das damals der beste Abfahrer der Welt! – Wenn das so unbedeutend ist, dass es kaum einer weiß – wie unbedeutend ist dann erst mein Leben? Okay – für unsere deutschen Nachbarn ist der Vergleich vielleicht schwierig zu verstehen – ihr fragt euch wahrscheinlich: Was ist Schifahren? Deshalb an euch die Frage: Wer war denn der Torschützenkönig der Fußballweltmeisterschaft 1990? Es war Salvatore Schillaci.
Alles Eitel – sagt Kohelet, Nichtigkeit der Nichtigkeiten. Kein Wert, keine Bedeutung. Spielt alles keine Rolle. Menschliches Leben ist – ein Windhauch, und wenn es sich sehr, sehr, sehr anstrengt: ein Windhauch, der in Wikipedia vermerkt ist.
Aber, sagt Kohelet weiter: du kannst eines tun mit deinem Leben: Du kannst Gott Respekt erweisen! Du kannst ihm die Ehre geben!
Du kannst seine Ordnungen einhalten und seine Gebote befolgen. Du kannst seine Schöpfung bestaunen und bewahren. Du kannst deine Ehrfurcht im Gottesdienst zum Ausdruck bringen, und deinen Respekt im Singen und Beten hörbar werden lassen.
Wohlgemerkt: Du kannst ihn nicht beeindrucken damit, nicht mit Weisheit, und schon gar nicht mit Leistung: das ist alles nichtig, Windhauch. Bedeutungslos. Es bringt dir nichts. Aber es ist dennoch das Richtige.
Du kannst in Ehrfurcht vor Gott leben! Das ist der Rat, den uns der alttestamentliche Prediger gibt.
Und wenn du das tust, sagt Kohelet, wenn du in Ehrfurcht vor Gott dein Leben lebst – dann findest du dich auch in den Abgründen des Lebens zurecht!
Wörtlich sagt er: Durch die Gottesfurcht findest du zwischen übertriebener Rechtschaffenheit und Weisheit einerseits und allzu großer Boshaftigkeit und Gottvergessenheit hindurch.
Der vernünftige Mittelweg ist die Empfehlung!
Keine Extreme: Politisch nicht, religiös nicht, und ethisch-moralisch auch nicht.
Also Konkret? Wie sollen wir leben?
Einerseits: Nicht allzu gerecht, und nicht übertrieben weise.
Auf der einen, der guten Seite gibt es ein Zuviel des Guten: Das vermeide! Sagt uns der Prediger.
Beispiele: Ich habe einen Schweizer Bergfreund erlebt, der hatte auf der Wanderung ein kleines Sackerl mit, in dem er die Abfälle, die andere auf dem Berg hinterlassen hatten, eingesammelt und ins Tal mitgenommen hat. Das hat mir einerseits imponiert – anderseits ist es vielleicht etwas, was dich belasten kann, und dich am Ende fertigmacht. Es ist vielleicht übertriebene Sauberkeitsliebe.
Oder: Bleib mit dem Auto nicht bei jedem Stoppschild stehen, nur bei denen, wo du nicht sehen kannst, ob jemand auf der Vorrangstraße daherkommt.
Oder: du musst nicht jeden Sonntag zur Kirche, oder: du musst nicht alle 150 Psalmen auswendig kennen – es reichen … drei.
Oder, oder. Ihr merkt: Es fällt mir schwer, das auszusprechen – aber es ist vielleicht die Empfehlung des Predigers.
Jedenfalls meint er aber nicht, dass wir das Gute überhaupt weglassen können. Also: Berge sauber halten, Stoppschilder beachten, Psalmen lernen – alles gut! Es ist nur die Warnung vor Zuviel vom Guten, vor dem 100%igen Leben. Alles immer ultraernst und –genau zu nehmen, das ruiniert dich, sagt er.
Das war einerseits. Das andererseits klingt noch seltsamer: Schlag nicht über die Stränge und bleib nicht in der Unwissenheit, übersetzt die Gute Nachricht. Frevle nicht allzusehr, und sei kein Tor! Heißt es wörtlicher übersetzt.
Hm.
Ein bisschen Frevel geht schon, meint Kohelet.
Frevel ist die Schändung des Heiligen. Derjenige ist ein Frevler, der sich gegen das Eigentum und das Boden-Personal Gottes vergeht und die Glaubensgrundsätze missachtet.
Nun hatten die Juden ja 1000 und eine Regel für alles Mögliche. Sinnvolleres und weniger Sinnvolles. Und dem gegenüber meint der Prediger: Nimm nicht alles so genau. Es muss zum Opfer nicht immer das beste Tier ausgewählt werden. Es reicht ein mittelmäßiges.
Für uns gibt es in Wirklichkeit kaum mehr verbindliche religiöse Regeln. Wenn ihr so wollt, haben wir diesen Rat des Kohelet schon umgesetzt. Allerdings, eine Regel gibt es noch für alle: den Kirchenbeitrag zahlen. Aber vielleicht würde der Prediger auch hier meinen: … Nein. Meint er sicher nicht!
Ein bisschen Frevel geht – aber übertreib es nicht!
Das andere ist die Sache mit der Torheit und der Klugheit:
Du musst nicht die ganze Weisheit aufgesogen haben, aber bleib auch nicht ein vollkommener Tor! Also: tu was für deine geistliche Bildung, besuche einen Glaubenskurs, lies biblische Bücher, höre christliche Podcasts – aber du musst es auch nicht übertreiben!
Das sind also die Empfehlungen zum Leben aus dem Buch des Predigers: Nimm dich nicht so wichtig, ehre Gott mit deinem Leben, geh den goldenen Mittelweg.
Bleibt die Frage vom Anfang: Was machen mit den Ungerechtigkeiten, die wir täglich vor Augen haben? Er würde vielleicht antworten: Das musst du aushalten, dass bei Gott andere Maßstäbe von Gerechtigkeit gelten als in deiner Welt.
Er wird auf seine Weise zu seiner Zeit Recht schaffen. Das steht fest!
– Aber dazu wird ein späterer Lehrer und Prediger mehr zu sagen haben: einer, den sie ‚Rabbi‘ und ‚Meister‘ nennen werden. Viel mehr: Mehr und Schöneres.
Ihn sollt ihr hören.
Amen.
—
Rektor i.R. Fritz Neubacher
St. Georgen im Attergau, Ö
Email: Fritz.neubacher@aon.at
Fritz Neubacher, Jahrgang 1958, Pfarrer der Evang. Kirche A. B. i. Ö.; bis 8/23 Rektor des Werks für Evangelisation und Gemeindeaufbau, seither im Ruhestand.