
Leviticus 19,33f.
Fremde unter uns | Septuagesimae | Predigt zu 3. Mose 19, 33f | 16. Februar 2025 | Eberhard Busch |
Wenn ein Fremdling bei dir wohnt in eurem Land, so sollt ihr ihn nicht bedrücken. Wie ein Einheimischer aus eurer eigenen Mitte soll euch der Fremdling gelten, der bei euch wohnt: du sollst ihn lieben wie dich selbst, seid ihr doch auch Fremdlinge gewesen im Lande Ägypten; ich bin der Herr euer Gott. (Zürcher Bibel)
Bei diesen Worten aus dem 3. Buch Mose steht uns wohl zunächst der andere Spruch zuvorderst : „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Dabei denken so manche an „unsere Lieben“. An die, die uns ohnehin am Herzen liegen. Entweder an die, mit denen wir in einer nahen Beziehung leben, auch ohne dass man uns ausdrücklich dazu auffordern muss, sie wertzuschätzen. Oder neuerdings legen einige den Finger darauf, dass es da doch heißt „wie dich selbst“. Also, sagt man, wir müssten zuerst uns selbst lieben, um dann auch noch andere lieben zu können. Hand aufs Herz, kommen wir da jemals über unsre Selbstliebe hinaus? Und wenn doch, ist nicht beide Male der Kreis der von uns Geliebten bedenklich klein. Und beidemal bestimmen wir, wer zu diesem Kreis gehört – und wer nicht, ob wir das zugestehen oder nicht.
Aber jetzt wird unübersehbar ein Querstrich durch diese Gedanken gezogen. Nicht irgendwer, nicht irgendein Querulant vollzieht ihn. Jetzt spricht zu uns der, der von sich sagt und sagen darf – im Unterschied zu allen Machthabern: „Ich bin der Herr, euer Gott“. Mit dem Gewicht seiner Autorität werden wir jetzt angesprochen. Es ist der, der die Maßstäbe setzt für das, was gilt und was wir zu tun haben. Auf sein Geheiß wird uns zugerufen: „Wenn ein Fremdling bei dir wohnt in eurem Land, so sollt ihr ihn nicht bedrücken.“ Auch nicht von ihm abrücken, auch nicht ihn wegdrücken. Bitte, das gebietet uns „der Herr, unser Gott“: liebe den Fremden „wie dich selbst“, nimm dich seiner an, achte ihn, sorge für ihn, lege keine besonderen Beschwernisse auf ihn! Wie ein fester Ring wird da eine Verbindung um den Fremdling und uns Einheimische gelegt. So, dass wir nicht denken, ja, nicht leben können, ohne ihn bei uns und um uns zu haben. Das wird uns bereits am Anfang unserer Heiligen Schrift mit auf unsren Lebensweg gegeben.
Ein Beispiel dafür ist uns letzthin vor Augen getreten. Wer hat es wohl bemerkt und beherzigt? Es geschah bei jener schrecklichen Mordtat dort im bayrischen Aschaffenburg. War der Missetäter nicht ein geistig Verwirrter? Und erst noch ein Ausländer, der abgeschoben gehörte? Zurück in eines seiner Herkunftsländer, ob sicher oder nicht! So ist nachträglich, als es zu spät war, viel gefragt worden. Aber übersehen wir dabei nicht dies: Ein schon etwas älterer Deutscher stellte sich dem Mörder in den Weg. Er wollte die drohende Untat um alles verhindern. Er setzte sein Leben dafür ein. Es ging um ein Zweijähriges, ein Kind von Zugewanderten aus Marokko. Doch die Rettung misslang. Am Ende waren der Fremde und der Einheimische tot. Man sollte dem Mann ein Denkmal errichten. Unterstreicht dies nicht in bewegender Weise das, was das Predigtwort uns sagt? Uns, den Christen oder „Scheinchristen“ (Urban Priol) – nämlich dies: „Wie ein Einheimischer aus eurer eigenen Mitte soll euch der Fremdling gelten, der bei euch wohnt: du sollst ihn lieben wie dich selbst.“
Und noch einmal: Du sollst ihn lieben wie dich selbst! Wie dich selbst! Nein, du wirst dabei gar nicht unter den Teppich gekehrt. Du bist dabei wichtig und einsatztüchtig. Dir wird zugetraut wie zugemutet, mit dem Anderen in einem Boot zu sitzen. Darum geht es: nicht ohne ihn und nicht gegen zu leben. Ihm nicht aus dem Weg gehen. Ihn auch nicht herumkommandieren. Darum geht es: ihn wertzuschätzen. Liebe deinen Nächsten, – der oder die wird womöglich fremd sein, jemand, der dir nicht passt, der dir in die Quere kommt, der gar kein dir schon Befreundeter ist. Ach, das macht einen gar nicht an! Aber höre gut zu und drücke dich nicht drum herum. Das ist leichter, als du dir einbildest. Du musst ja gar nicht singen: „Alle Menschen werden Brüder.“ Liebe deinen Nächsten, heißt, bei Licht besehen, die lieben, die der liebe Gott dir heute nahe-rückt. Das wird oftmals eine überraschende Erfahrung sein.
Hören wir dazu, was zuletzt in unserem Predigttext gesagt wird: „Ihr seid doch auch Fremdlinge gewesen im Lande Ägypten“. Ihr habt deren Schicksal sogar am eigenen Leib erfahren. Israel könnte darum nur noch besser verstehen, was Fremdlingschaft bedeutet, Unterdrückung, Ausgestoßensein von daheim. „Wie ein Einheimischer“ sollen euch die davon Betroffenen sein. Solches Dasein gibt es eben nicht erst neuerdings. Das gibt es seit alters, und gibt es immer wieder: dass Scharen von Menschen bedrängt werden und darum fliehen, darum an anderen Orten Zuflucht suchen, ein Dach über dem Kopf.. Wir wissen es doch: so ging es auch bei der Geburt Jesu zu: „es war kein Raum in der Herberge“. Wie oft hat sich das in der Menschheitsgeschichte wiederholt! Es waren jeweils Andere, die man nicht haben wollte. Aber es war jedesmal das Gleiche, dass die Parole ausgegeben wurde: fort mit denen, die wir nicht haben wollen! Und man verbog das Recht so lange, bis es passte.
Als während des 2. Weltkriegs tödlich bedrohte Juden in die Schweiz drängten, schloss das Land seine Grenzen, und der dafür verantwortliche Bundesrat Eduard von Steiger erklärte: „Das Boot ist voll!“ Also, es versinkt und zieht alle mit in den Abgrund, wenn wir nicht so gut sind, vor den Fremden unsere Tür zu verschließen. Tatsächlich gab er deren Abweisung als eine gute Tat aus, auch wenn die Abgewiesenen den Tod fanden. Übrigens gab es Betuchte, die aufgenommen wurden. Nur die illegitim Eingedrungenen wurden ihrem bösen Schicksal ausgesetzt. Jedoch gab es einen Pfarrer Walter Lüthi, der dem Politiker öffentlich widersprach. Er erklärte drastisch: Solange noch im Land hunderttausend Hunde durchgefüttert werden, wird doch gewiss Platz sein für Asylanten, die Aufnahme brauchen. Und er hat mit Hand angelegt für das politisch Verbotene, Flüchtlinge aufzunehmen, Das redet auch heute noch ebenso drastisch zu uns.
Fügen wir hinzu, was Jesus über Fremdlinge gesagt hat: „Was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan“ (Matth 25, 34) Anders können wir Jesus nicht haben als Hand in Hand mit seinen und unsren bedrängten Geschwistern.