Liedpredigt „Seht und hört“ (EKG 36,7)

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”Sehet hier ist die Tür” | Christfest II | 26.12.2024 | „Seht und hört“, eine Liedpredigt[1] | Tine Illum |

„Hier seht ihr ein Bild vom Gesang der Sterne“, das erzählte ein Astronom – und zeigte uns ein farbenreiches Bild vom Weltraum. Und wir wurden ganz still. Man denke nur, dass man ein Lied, einen Klang sehen kann. So weit weg… ein Sternenlicht so alt, dass es vor uralten Sternen singt. Klänge aus dem Bereich des Universums, den die Forscher „Säulen der Schöpfung“ nennen, die Geburtsstätte der Sterne. Hier können die Forscher durch eine Technik, die sie „Asteroseismologie“ nennen, hören, wie die Sterne von innen aussehen. Das Unsichtbare wird herausgesungen.

„Sehet hier ist die Tür!“, so haben wir gesungen, als wir in die Kirche kamen (in der dänischen Übersetzung des Liedes heißt es „Seht und hört“). Das Unsichtbare wird herausgesungen – eine Öffnung zur tiefsten Freude.

„Fröhlich soll mein Herze springen“, heißt das Lied. Es handelt von der Weihnachtsfreude, verfasst von Paul Gerhardt vor fast 400 Jahren. Die Freude der Weihnacht war bestimmt nicht sichtbar für ihn oder die Menschen in Mittenwalde, wo er Pfarrer war. So wie sie oft auch nicht sichtbar und wirklich für uns ist. Wir kennen Sorgen und Frustration, Leid und Angst – und das zehrt an unserer Lebensfreude und frisst sich in unseren Glauben. Das kennen wir, und das wussten sie auch in Mittenwalde. Der Ort war im Dreißigjährigen Krieg mehrmals geplündert worden. Er war heimgesucht von Pest und Feuer. Früher wohnten dort 240 Familien, jetzt waren es noch 24. Paul Gerhardt selbst verlor vier seiner fünf Kinder.

„Wie sollen wir den Glauben sehen mitten in dieser Welt, in der wir leben?“ – fragten ihn die Leute. Und das hat er sich sicher auch selbst gefragt. „Wie kann Gott Liebe sein, wenn er so furchtbare Dinge zulässt?“ Gerhardt antwortet selbst: „Wenn Gott uns nicht lieben würde, hätte er seinen Sohn nicht gesandt“ – und auf diesen Glauben hin schreibt er Lieder – positive Lieder für die, die „im großen Leide schweben“, wie wir gesungen haben: „Die ihr schwebt in großem Leide, sehet, hier ist die Tür zu der wahren Freude. Fasst ihn wohl, er wird euch führen an den Ort, da hinfort euch kein Kreuz wird rühren“.

Lieder, die uns etwas sehen lassen, was unsichtbar ist. Dass unter allem und über allem die Liebe Gottes ist. Von Anfang bis zum Ende. Die Finsternis in der Welt und die Finsternis in uns ist nur das Vor-Letzte. Denn Christus ist geboren. Seht und hört. Ganz gleich wie finster es ist, die Finsternis ist schon erhellt. Oft können wir es nicht sehen oder hören. Aber es ist da.

Seht und hört!

Wir haben an den letzten Tagen das Weihnachtsevangelium gehört von den Hirten, die den Stall in Bethlehem besuchten. „Lasst uns gehen nach Bethlehem und das sehen, was Gott uns erzählt hat“, sagen sie zueinander. Und sie sehen.

Wir hören – den Gesang der Engel und der Sterne.

Das Wort von Gott, schreibt Johannes in seinem Brief, das was wir gehört und gesehen und berührt haben – das erzählen wir nun weiter an euch – damit wir uns gemeinsam freuen.

Das Wort von Gott – ist ein Mensch aus Fleisch und Blut geworden. Er ist das Wort Gottes, das erklingt und leuchtet. Die Gottheit Gottes, die leuchtet. Und er gibt uns sich selbst.

Wir sehen es durch das, was wir hören.

Bleibt stehen[2] und hört, hier ist die Tür zu der wahren Freude – haben wir gerade gesungen. Warum stehen bleiben? Sollten wir nicht lieber die Freude im Vorübergehen sehen können? Wenn die Freude für das ganze Volk ist, wie es die Engel gesungen haben, sollte sie wohl nicht leicht zu übersehen sein?

Vor einigen Jahren untersuchte man, ob uns das Schöne ergreifen kann, wenn es uns an Stellen begegnet, wo wir es nicht erwarten. In diesem Zusammenhang erzählt man diese ergreifende und wahrhaftige Geschichte:

An einer Metrostation in Washington stand ein Mann an einem kalten Dezember-Morgen und spielte etwa 45 Minuten lang Geige. Im Laufe dieser Zeit gingen etwa 2000 Menschen vorbei. Einer blieb ein paar Sekunden stehen und warf einen einzelnen Dollar in seinen Hut und ging weiter. Mehrere Kinder gingen hin zu ihm, wurden aber sofort von ihren Eltern zurückgeholt und gingen weiter. Nach etwa einer Stunde hörte er auf zu spielen. Niemand bemerkte das. Keine klatschte, es war als hätte es nie stattgefunden.

Der anonyme Geiger war Joshua Bell, einer der tüchtigsten Musiker, der an diesem Tag umsonst spielte. Er spielte auf einer Geige, die 2½ Millionen Dollar wert war Zwei Wochen vorher hatten die Leute 100 Dollar für eine Eintrittskarte ausgegeben, um ihn in einem vollen Konzertsaal dieselben schönen Stücke von Bach spielen zu hören. Die Leute, die das Experiment gemacht hatten, sagten: „Wenn wir nicht einen Augenblick stehen bleiben können, um einen der besten Musiker zu hören, der etwas von der schönsten Musik spielt, die je komponiert wurde, auf einem der wunderbarsten Instrumente, die je geschaffen wurden – wie viele andere Dinge versäumen wir dann nicht, während wir durch das Leben jagen?“

Nun ist es wohl so, dass der, der mit schweren Schritten geht – wer schwere Lasten trägt – der muss oft stehen bleiben. Vor einigen Jahren traf ich eine Frau, die oft stehen bleiben musste – und die Kirche war ja da, sie konnte genauso gut hineingehen und sich ausruhen. Ehe sie wieder hinausging, ging sie immer an einem kleinen Ostfenster vorbei, wo die Wände damals sehr verschmutzt waren. „Komm und siehe!“ sagte sie eines Tages. Und tatsächlich, an der am meisten verschmutzten Stelle stand nun: „Friede Gottes“. Diese Worte leuchteten. War hatte wohl seinen Finger in dem Schmutz schreiben lassen, so dass die weiße Farbe des Kalks zum Vorschein kam? Alle die, die in den kommenden Wochen hineingingen und das sahen, wurden andächtig, und niemand wusste, wer das geschrieben hatte. Eines Tages sagte jemand: „Das muss ein Engel gewesen sein – denn nur ein Engel kann so sauber im Dreck schreiben!“ Und das wurde nun unsere Geschichte in der Kirche, dass ein Engel mit seiner Flügelspitze die Worte „Friede Gottes“ geschrieben hatte, so dass dies uns leuchtend erzählte von dem, der kam mit dem Frieden Gottes und der Gottes Licht ist. Vielleicht benutzte der Engel die Hand eines Menschen, um seine Botschaft weiterzubringen. Das Wort wurde also lebendig, konnte gesehen und gespürt werden und den Gesang der Engel hören lassen. Wir hätten vorbeigehen können, ohne dass die Worte an der Wand etwas bedeuteten. Aber es kam zu einem: „Bleib stehen und sieh“ für uns. Heute ist die Wand weiß gekalkt – aber in meinem inneren Auge sehe ich noch immer die Worte „Friede Gottes“ – leuchtend geschrieben im Schmutz – von dem Flügel eines Engels.

Das Wort leuchtete in der Finsternis – und wurde in diesem Jahr das stärkste Weihnachtsevangelium. Und eben dies, was Paul Gerhardt veranlasste, mitten in der Finsternis sein Weihnachtslied zu dichten, dass Christus geboren ist. Dass die Liebe Gottes ein Licht ist in der Finsternis, ein Sternenlied, ein himmlisches Lied – das am besten von dem gehört wir, der die Finsternis kennt, am besten von dem gehört wir, der stehen bleibt, Bleib stehen und höre!

„Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat‘s nicht begriffen“, haben wir gehört. Das ist auch der Trost für uns. Den gibt es. Es gibt Worte, die leuchten im Schmutz, in den Schrecken des Krieges, der bedrohten Welt – und in einem armen und traurigen Herzen.

Bleib stehen und höre! Hier beginnt es. Im Gesang der Engel. In dem Wort, das Fleisch und Blut wurde. In Christus, der Mensch wurde, Es ist mitten unter uns. Bleib stehen und höre! Amen.


Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Email: ti(at)km.dk

[1] EKG 36,7, im Dänischen übersetzt mit ”Seht und hört“

[2] Nach der dänischen Übersetzung.