
Lukas 10,23-37
13. So. n. Trinitatis | 14.09.2025 | Lk 10,23-37 | Poul Joachim Stender |
Der barmherzige Samariter
Zurzeit sind Kirche und Staat verheiratet. Käme es zu einer Scheidung zwischen Staat und Kirche, würde das dieselben Probleme bei der Teilung bedeuten wie bei allen anderen Scheidungen. Wer würde bei einer Scheidung von Staat und Kirche die Beerdigungen übernehmen und die Erhaltung der alten Kirchen? Wenn ich die Ehepaare bei einer Trauung frage: Willst du die Person, die bei dir steht, haben … Willst du sie lieben und ehren …., betone ich das Wort willst. Es ist eine Sache des Willens, dass man zusammenhält. Gefühle sind wichtig. Aber der Wille ist am wichtigsten. So ist es auch mit dem Verhältnis der Kirche zum Staat. Auch wenn der Staat irritiert sein kann über die Kirche, und das im höchsten Maße war unter einigen Kirchenministern, sollen wir zusammenbleiben. Warum? U.a. weil die wir Dänen den öffentlichen Institutionen mehr vertrauen als den privaten. Die Sozialdemokraten haben den Wohlfahrtstaat nicht geschaffen, in dem wir leben. Das hat das Christentum mit seinen Ideen vom Schutz des Schwachen. Der dänische Sozialstaat beruht auf dem Gleichnis des barmherzigen Samariters. Internationale Gesetze und Menschenrechte sind tief verwurzelt im Christentum. Aber man hat vergessen, dass es Paulus war und nicht eine politische Partei, der gesagt hat: „Hier ist nicht Jude oder Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr sein allesamt einer in Christus Jesus“ (Gal. 3,28). Die internationalen Gesetze und Menschenrechte werden allmählich verwässert, weil man die Beziehung zum Christentum vergessen hat. Das Evangelium vom barmherzigen Samariter ist eine der ganz entscheidenden Erzählungen unserer Kultur, die uns erzählt, wie ein ordentlicher Staat handeln soll. Der Staat soll die Leute nicht im Graben liegen und an ihren Wunden sterben lassen. Er ist verpflichtet, den Notleidenden zu helfen. Die Ehepartner gleichen sich mit den Jahren. So wie in einer Weise allmählich auch ihrem Hund ähneln. Es wäre gut, wenn der Staat der Kirche ähneln würde. Oder anders gesagt: Wenn der Staat mit der Kirche weiterhin verheiratet ist, weiß er, woher seine Werte kommen sollen.
Die Liebe zum Nächsten kann aber nicht allein durch die Steuererklärung realisiert werden. Wir sind jeder für sich Nächste für die Person, der wir begegnen. Und vor vielen Jahren habe ich, wie so oft zuvor, einige Menschen im Stich gelassen, für die ich ein Nächster hätte sein sollen. In meinem Ort wohnte ein aparter Maurer. Er hatte langes blondes Haar und einen enormen blonden Bart, der geflochten war und den er an einem Ring befestigen konnte, den er am Ohr trug. Das ganze Jahr ging er barfüßig umher in seinen Sandalen. Er konnte während des Gottesdienstes eine Zigarette rauchen, ohne dass die Gemeinde es bemerkte. Er hielt die angezündete Zigarette in seiner Hosentasche, und unter dem Bart nahm er einen ordentlichen Zug und steckte die Zigarette wieder in die Tasche. Den Rauch ließ er höflich und aus Respekt vor dem Raum in der Lunge. An einem Samstagabend, am Tage bevor ich über den barmherzigen Samariter predigen sollte, regnete es heftig. Ich war in Kopenhagen gewesen. Am Rande des Ortes sah ich aus meinem Auto zwei junge Männer, die standen und trampten. Ich bemerkte sie, weil sie ein Schild in der Hand trugen, auf dem in englischer Sprache stand: „Hilfe. Flüchtlinge auf der Flucht nach Deutschland“. Vor mir fuhr ein Wagen mit einer Nonne. Sie sah auch die beiden Männer, senkte die Geschwindigkeit, gab dann wieder Gas und fuhr vorbei. Ich erwog einen kurzen Augenblick anzuhalten. Aber die beiden Männer waren klatschnass – und es war sicher irgendwo ein Ort, wo die Behörden ihnen helfen konnten. Aber als ich zu Bett gehen wollte, klingelte es an der Tür. Draußen stand der Maurer barfüßig mit Sandalen mit dem Bart gebunden an das Ohr und neben ihm die beiden jungen Männer. Er erzählte, dass er unterwegs gewesen war am Nachmittag aus Kopenhagen in dem fürchterlichen Regen. Zwei Männer hatten dagestanden und getrampt. Er hatte sie mitgenommen. Sie waren, erzählten sie, vor dem polnischen Regime geflohen und wollten zu Verwandten nach Deutschland. Und als er hörte, dass sie kein Geld hatten, hatte er sie mitgenommen nach Kirke Saaby, ihnen etwas zu essen gegeben und Übernachtung angeboten, und am nächsten Morgen wollte er sie nach Rødby fahren, so dass sie mit der Fähre nach Deutschland kommen konnten. Nun wollte er den Schlüssel zur Kirche leihen, damit er ihnen zeigen konnte, wie schön unsere Kirche ist. Und da stand ich. Meine Predigt war fertig für den Sonntagmorgen und der Text bittere Wirklichkeit.
Das ist das erschütternde an den Erzählungen der Bibel. Das sind keine fiktiven Geschichten. Wie in einem Spiegel … Immer sind wir in derselben Situation wie die biblischen Personen und offenbaren durch unser Verhalten und Reden, welchen von den biblischen Personen wir am meisten gleichen. Als Flüchtlingsströme einst über die dänische Grenze kamen und auf der Autobahn nach Kopenhagen gingen, sagte ein Kollege, dass alle Flüchtlinge, die Asyl in Dänemark beantragten, dies erhalten sollten. Und dann war es gleichgültig, ob das 100.000 oder 200.000 waren. Natürlich soll den Flüchtlingen geholfen werden. Aber die Barmherzigkeit schließt nicht aus, dass sowohl Staat als auch Bürger besonnen handeln und in Betracht ziehen, was das Beste für unser Land ist. In den letzten Jahren ist eine einseitige Barmherzigkeitsindustrie aufgekommen, die man Samaritismus nennen könnte und die auf eine missverstandene Auslegung zurückgeht, wo man sich einbildet, sich durch gute Werke die Sympathie Gottes sichern zu können. Aber Paulus setzt das in der Epistel ins rechte Licht. Wenn wir uns einbilden, durch gute Werke das Heil sichern zu können, wären Jesus Tod und Auferstehung total gleichgültig. Wir werden erlöst durch den Glauben an den Sohn Gottes, der uns liebte und sich für uns hingab, Gott befohlen. Amen.
Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
pjs(at)km.dk