Lukas 11,14-28

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Okuli | 23.03.35 | Lukas 11,14-28 (dänische Perikopenordnung) | Von Tine Illum |

Hier waltet Gott

Da ist eine Finsternis, eine mächtige Finsternis,

sie begegnet der Welt in Fleisch und Blut

und geht mit Flüstern durch das Leben

und lockt Menschen heraus mit ihren Wurzeln.

 Das ist eine Finsternis mit schwarzen Engeln,

ihre Flügel schlagen wie ein Schreckenswind,

und die sie berühren, verschwinden lautlos

in ihrem eigenen gequälten Sinn.

Da ist eine Finsternis hinter vier Wänden,

das ist eine Finsternis, die zurückkommt

und die Freude raubt von offenen Mündern

und bläst Lebenslügen in sie hinein.

So schreibt die dänische Liederdichterin Iben Krogsdal – so herzzerreißend, dass wir spüren können, wie teuflisch böse das ist. Wie das allem widerspricht, was gut ist. Das Böse ist eine Finsternis, dichtet sie, die flüsternd die Menschen entwurzelt, die zerstört und verdreht und verdrängt und verführt.

    Und wenn wir an die Engel Gottes denken – leuchtend weiß und Bilder der göttlichen Fürsorge und des göttlichen Schutzes – dann ist das Böse der direkte Gegensatz: Schwarze Engel – und wenn einen deren Flügel berühren, verschwindet man lautlos in seine gequälte Seele.  Das ist es, was wir die Dämonie der Stummheit nennen – weit weg von der gesegneten vertrauten Stille, die über einen kommen kann. Das ist die Hölle der Depression, wir können von Glück sagen, wenn wir sie nur andeutungsweise erlebt haben.

   Und hier geschieht es, dass die Finsternis uns Lebenslügen einbläst – so ganz im Widerspruch zu der Erzählung, dass unser Leben begann, als Gott seinen Lebensgeist in uns blies.

Das Böse gibt es. Es ist nicht eine Illusion. Es ist real.

Einst bildete man es ab auf Kirchenwänden als Teufel mit Hörnern auf der Stirn – heute formulieren wir das anders.

   Man kann das Böse nicht wegfegen. Oder lächerlich machen. Oder bagatellisieren. Und in unserer sprachlosesten Finsternis müssen wir erkennen – das Böse ist eine Kraft, die wir zuweilen als „Besetzung“ bezeichnen können. Da sind Kräfte am Werk, die stärker sind als wir.

  Und wenn wir dann die verfinsterte böse Stummheit spüren – oder das Flüstern der bösen Nachrede – die verlockenden Verdrehungen der Lüge, und merken, wie sie die Welt und uns ergriffen hat und die, die wir lieben, an wen können wir uns dann wenden? Wo ist die Erlösung? Der Trost? Die Befreiung? Das, was wir oft das „Heil“ nennen?

Wir könnten damit beginnen, auf das zu hören, was andere vor uns in der Hoffnungslosigkeit getan haben. Davon haben wir heute gehört und gesungen, als wir in die Kirche kamen.

   „Befiehl du deine Wege“, haben wir gesungen. Während dunkle Wolken über der Welt hängen, wie wir das kennen, wenn machtgierige Tyrannen lügen und verdrehen und wüten. Und wo wir jeder von uns unsere Dämonen haben, mit denen wir zu kämpfen haben in unserem eigenen Leben und in uns selbst.

   Was sollen wir mit einem solchen Lied in unserer Zeit anfangen? Ist es nicht einfach hoffnungslos naiv?

   Fühle ich wirklich das, was ich da singe? Denke ist das wirklich … oder sind es bloß fromme Worte. Ich bis es ja gewohnt, dass das, was ich singe, das ausdrücken soll, was ich fühle.

   Aber was, wenn das zu wenig ist – nur das zu singen, was mir so authentisch erscheint – was nun, wenn es auch umgekehrt so ist, dass das Lied mir in Fleisch und Blut zu Herzen geht, dass es meinen Puls und mein Leben bestimmt.

Wir können uns an den wenden, der dieses Lied geschrieben hat, Paul Gerhardt, der mitten im 17. Jahrhundert als Pastor in eine kleine Stadt kam, nach Mittenwalde. Die Stadt war so von der Pest geplagt, vom 30-jährigen Krieg und Hunger, dass die Einwohnerzahl in wenigen Jahren von 1000 auf 250 gefallen war. Er selbst verlor vier seiner fünf Kinder.

  Wie konnte er so ein Lied dichten? Denn bei so einem Elend – so viel Leid müssten die Leute – und er selbst -ja entweder aufhören, an Gott zu glauben – oder glauben, dass Gott all das Böse schickt. Fühlen, dass sie von Gott verlassen waren und alles sinnlos war. Und dann dichtet er so ganz anders: Glaub an Gott, er wird dich durch all das führen. Er wird dich heilen. Du kannst getrost ihm vertrauen. Du gehörst ihm. Glaube das und singe das. Und in den letzten 400 Jahren ist dieses Lied in vielen Sprachen als Trost und Ermutigung gesungen worden.

Heute würden wir vielleicht sagen, dass er eben nicht das Lied intuitiv und aus einem Gefühl heraus schreibt, wie wir das oft tun – wir würden es wohl eher kontra-intuitiv nennen. Es wird als Trost geschrieben, als Hoffnung und Gewissheit, dass alles anders werden kann. Um einen Trost herbeizusingen, wo er so weit weg zu sein scheint – Glauben und Lebenskraft dort herbeizusingen, wo das ganz unmöglich erscheint. Unter finstersten Bedingungen. Ein Trost und eine Lebenskraft, die nicht von uns selbst kommen. Die uns Kraft geben. Kraft von Gott.

    In der Hoffnungslosigkeit ist das das Einzige, was wir haben. Die Worte annehmen, die von außen kommen und nicht aus unserem eigenen Herzen. Haben wir das vergessen? Wagen wir es, uns hinzugeben, loszulassen und uns dem Trost zu übergeben … und eben dann zu spüren, wie glaubwürdig und lebensspendend das ist. Trost und Kraft und Leben kommen zu uns von außen. Von Christus. Und sie werden in uns hineingesungen und werden so eine Kraft. Das wusste Paul Gerhardt – nicht nur in der Theorie, sondern von sich selbst.

Dass Trost und Lebenskraft und Leben zu uns unter dem Vorzeichen des Widerspruchs kommen, wird vielleicht für uns am deutlichsten in der Taufe. Dort, wo das Kreuz nicht mehr Zeichen des Bösen und des Todes ist – sondern der Befreiung und des Lebens.

    Hier soll das Böse keine Macht haben. Hier hat man sich entschieden: „Nimm hin das heilige Zeichen des Kreuzes an deinem Gesicht und deiner Brust“. Wir sehen es. Und wir hören, dass dies ein „Zeugnis ist dafür, dass du dem gekreuzigten Herrn Jesus Christus gehören sollst“. „Wir entsagen dem Teufen. Wir glauben an Gott“, heißt es in der Taufe[1].

So weit, so gut – und dennoch …

Wir hören davon, dass Jesus einen stummen Dämon austreibt; der Dämon hat einen Jungen stumm gemacht, und als er ausgetrieben ist, ist der Junge geheilt und kann wieder sprechen. Das klingt fremd für uns. Vielleicht sogar unheimlich und zynisch. Zu denken, dass jemand vom Teufel besessen ist.

   Da war jedoch – und ist – jedenfalls ein Trost in diesem Gedanken: Krankheit oder was es nun sein mag, das ist nicht meine Identität, das bin nicht ich selbst – das ist etwas, was von woanders herkommt.

   Und auch wenn wir das nicht so zu sagen pflegen – so kommen wir nicht um den Gedanken herum: Woher kommt das Böse? Ist es meine eigene Schuld – weil ich nicht positiv genug gedacht habe? Oder nicht genug Spinat gegessen oder grünen Tee getrunken habe? Oder nicht genug geglaubt habe!

Ganz zu schweigen davon, dass es dann auch die glücklicher Weise die Schuld der anderen ist, wenn sie von Unglück oder Krankheit heimgesucht werden. Das geht mich nichts an. Das habe ich nicht zu verantworten.

All dies interessiert Jesus überhaupt nicht. Er erklärt das Böse nicht. Er bagatellisiert es nicht. Er mischt sich ein. Er handelt. Denn so ist Gott, der Feind des Todes, der Gleichgültigkeit und des Lebensüberdrusses.

Das Gute kommt von Gott, sagt Jesus. Und das Böse kommt vom Teufel. Es gibt keine neutrale Zone zwischen beidem. Da ist nichts, was gleichgültig ist. Du sollst dich auf die Seite des Lebens und des Guten stellen. Ja, du bist schon dort hingestellt, als du getauft wurdest und wo Gotts Finger ein Kreuz auf deiner Stirn schlug. Eine Liebeserklärung. Du bist eingedeckt von dem Kreuz, an dem Jesus starb. Du bist einbezogen in seine Auferstehung und das österliche Leben. Das ist gut zu wissen. Nun bist du auf die Seite des Lebens gestellt. Du sollst hören, was Gott sagt, und danach handeln. Gottes Wille geschieht in der Welt.

Es ist nicht leicht, das zu glauben. Wir müssen stets daran erinnert werden – und wir werden so leicht irre daran.

Luther – selbst ein guter Seelsorger – wusste sehr wohl, wie schwer das sein kann. Und wir müssen uns ganz einfach jeden Morgen daran erinnern.

Luther sagt deshalb: Am Morgen sollst du das Vateruser beten, das Kreuz schlagen und dich froh an die Arbeit machen. Und am Abend sollst du das Vaterunser beten und das Zeichen des Kreuzes machen und dich getrost schlafen legen.

Glaube es. Hier leuchtet Christus. Hier waltet Gott.

Iben Krogsdal sagt es so:

Und gib uns Stimme und Lebenszeit,

und gib uns Wärme und fülle uns aus,

dass wir leuchten können, wenn die Finsternis kommt,

und still antworten: Hier waltet Gott.

Amen

Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Email: ti(at)km.dk

[1] Dänische Taufliturgie.