
Lukas 13, 1-5
Buß- und Bettag | 19. November 2003 | Lukas 13,1–5 | Marlies Stähler |
Liebe Gemeinde,
der heutige Predigttext im Lukasevangelium (13,1-5) steht quer zu allem,
was wir normalerweise im Alltag hören. Denn er schleudert uns einem
Bußruf um die Ohren. Ungewohnte Töne sind das, was wir hier
hören:
„Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von
den Galiläern,
deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte.
Und Jesus antwortete
und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer
mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das
erlitten haben?
Ich sage euch: Nein, sondern wenn ihr nicht Buße
tut, werdet ihr alle auch so umkommen.
Oder meint ihr, dass die achtzehn,
auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen
sind als alle anderen Menschen, die in Jerusalem wohnen?
Ich sage euch:
Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr
alle auch so umkommen.“
Was dagegen hören wir im Alltag?
Kindergeschrei, Lachen, Wetterberichte, Nachrichten mit Schreckensberichten
aus aller Welt und katastrophalen Wirtschaftsmeldungen aus unserem Land.
Unternehmenspleiten und eine schon lange nicht mehr dagewesene Perspektivlosigkeit,
besonders für junge Menschen, säuseln aus dem Äther, Fernseher
oder PC. Schulden des Staates, eine hohe Verschuldung der privaten Haushalte
und der Abbau sozialer Errungenschaften runden das negative Gesamtbild
ab. Diese wirtschaftliche und politische Situation wird von vielen Menschen
als Bedrohung empfunden. Existenzangst macht sicht breit.
Hier ist nicht eine Angst gemeint, die im persönlichen Lebensbereich
seine Ursachen hat, sondern die Angst, die durch unsere momentane politische
und wirtschaftliche Situation hervorgerufen wird. Zwei Themen hören
wir fast täglich: das Gerangel um die Rentenversicherung und die
Gesundheitsreform.
Mit diesen Diskussionen schreitet eine große Verunsicherung der
Menschen einher.
Diese Verunsicherung und daraus resultierende Unzufriedenheit, zeigte
sich Ende Oktober in der Wahlbeteiligung im Land Brandenburg. In Potsdam
beispielsweise folgten lediglich 45,7 Prozent der Wahlberechtigten dem
Aufruf. Man muss wohl die Frage stellen, wem Politik und Wirtschaft,
so wie sie sich jetzt darstellen, noch dienen?
Setzt der Bußruf in dieser Situation nicht eine weitere Nadel
in unser eh‘ schon bedrohtes Leben? Oder zeigt er eine vergessene Chance?
Heute am Buß- und Bettag richtet sich die Verkündigung der
Kirche traditionell an die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft.
Auf diesem Hintergrund gewinnt Jesu Umkehrruf eine ganz brisante Bedeutung,
denn er stellt die aktuelle politische Entwicklung, die gesellschaftlichen
Ströme und Gepflogenheiten in Frage. Eine radikale Umkehr wird in
unserem Predigttext gefordert. Umkehr setz voraus, dass der jetzige Standort
falsch, lebensfeindlich und veränderungsbedürftig ist. Was
müssen wir verlassen werden und wohin sollen wir uns wenden?
Diese Frage lässt sich sicher nicht pauschal beantworten.
Verlassen werden müssen lebensfeindliche Strukturen. Diese nehmen
den Menschen alle Hoffnungen und zerstören Existenzen. Nicht wirtschaftliche
Interessen wie zum Beispiel Oster Shopping Nächte in Berlin,
dürfen politisches Handeln primär leiten. Sondern im Rahmen
unserer wirtschaftlichen Strukturen müssen Wege gefunden werden,
die die Fundamente unserer Gesellschaft stärken. Dazu gehört
in besonderem Maße die Familie. Ehe und Familie stehen unter Gottes
besonderem Schutz. Ihrem wirtschaftlichen Wohlergehen gebührt besondere
Aufmerksamkeit. In diesen Zusammenhang gehören auch alle Bemühungen
um Bildung und Ausbildung.
Geschaffen werden müssen Strukturen, die die Menschen befähigen
mutig und beherzt für ihr Leben zu Sorgen. Ihre Eigenverantwortung
muss gestärkt werden. Dazu ist Hoffnung vonnöten. Ohne Hoffnung
lässt sich das Unternehmen Leben nicht bewerkstelligen. Diese allerdings
lässt sich nicht per Gesetz verordnen und offenkundig sind politische
Rahmenbedingungen nicht geeignet, diese entstehen zu lassen.
Also müssen wir uns dorthin wenden, wo die Hoffnung
zu finden ist. Es ist in unserem Predigttext nicht explizit formuliert,
aber BUSSE meint immer Umkehr zu Gott und die Orientierung an seinen
Geboten.
Bei Gott allein finden wir Hoffnung und Ermutigung für unser Leben.
Allein im Dialog mit Gott erfährt menschliches Leben seine Bestimmung.
Damit ist nicht das Ende einer Entwicklung, sondern erst der Anfang gesetzt.
Wie ein Schneeball setzt sich diese Bewegung in andere Bereiche fort.
Im Dialog zum Nächsten, zum Übernächsten, der Gemeinde
und der Gesellschaft. Die Hoffnung rollt wie ein immer größer
werdender Schneeball durch das Land und gewinnt an Gewicht. Immer mehr
Bereiche werden von ihr infiziert.
Dies geschieht langsam. Eine Lawine vernichtet in Sekunden. Mit diesem
Tempo und mit dieser Wucht jedoch müssen wir uns abwenden von dem,
was die Menschen aus diesem dialogischen Geschehen herausreißt
und was die Menschen am Menschsein hindert.
Ungewohnte Töne wird man dann hören können!
Sind es nicht hehre demokratische Postulate: die Politik möge für
den Menschen Dasein?
Ist die Wirtschaft für den Menschen da, oder der Mensch für
die Rentabilität des eingesetzten Kapitals?
Die Mechanismen des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen
Lebens sind komplex. Diese Komplexität unseres Gesamt-Lebensgefüges
scheint undurchdringbar und erschwert damit unsere Lebensorientierung.
Hier zeigt sich die Chance des Schneeballes, weil er im Dialog mit Gott
seinen Anfang hat.
Indem er sich aufrollt bahnt er einen sehbaren und gehbaren Weg für
andere. Diesen Weg kann man gehen, er kann der Orientierung dienen. Für
beide Seiten.
Ich wünsche uns allen Mut bei ungewohnten und unbequemen Tönen
hinzuhören. Ich wünsche uns allen den Mut, sie anzunehmen und
auszuhalten.
Allein in der Umkehr liegt die Chance und die Kraft
zur Veränderung des Bestehenden!
Wir sehen dem Gang der Dinge zu und fürchten, es geht nicht gut.
Wir
können aber nicht aussteigen.
Ach Gott, bewege uns, dass wir die
Hoffnung, die Du uns eröffnest,
gebrauchen und einsetzen
für unser bedrohtes Land.
Wir bekennen dich als den Herrn der Welt
Und dienen fleißig anderen
Herren.
Ach Gott, ändere unseren Sinn,
dass wir befähigt durch Hoffnung
den Mächten widerstehen,
die unser Leben zerstören. Amen
Dr. Marlies Stähler, Potsdam
Dr.Marlies-Staehler@t-online.de