
Lukas 13,1-9
Es ist nie zu spät | 21. Sonntag nach Trinitatis | 20.10.2024 | Lk 13,1-9 (dänische Perikopenordnung) | Rasmus Nøjgaard |
Das Evangelium dieses Sonntags fällt in zwei Hauptteile, erst die zwei Geschichten über Umkehr und dann eine Geschichte über Fürbitte. Beide Teile sind Teil der Ermahnung Jesu vom rechten Leben (10,25–11,13 und 12,1–13,21), und es liegt nahe, dass jedes Stück nicht ohne des andere zu verstehen ist, sie stellen eine Lebensanschauung dar, vielleicht sogar ein Gottesbild.
Das lukanische Geschichtswerk enthält mit dem Leben Jesu und den ersten Gemeinden eine Bewegung von Jerusalem zur Welt, eine Eschatologie für das jüdische Volk und dann für alle Völker. Hier ist Jesus gerade auf dem Weg nach Jerusalem, und er konzentriert sich darauf, seine Botschaft den Jüngern zu vermitteln, und diese Kapitel sind eine Kette von Erzählungen, Gleichnissen, Weisheitsworten und Ermahnungen. Meistens geht es um das ewige Leben. Aber hier geht es darum zu leben, zunächst indem man das Leben gewinnt durch Buße und Umkehr, und dann darum, dass einem alles geschenkt wird durch die Fürbitte des Gärtners. Das Leben gewinnt man mit anderen Worten nicht mit eigener Hilfe, sondern ein anderer kommt einem zu Hilfe. Vielleicht ist der Feigenbaum für uns eine exotische Frucht, aber hier im Orient ist das ein verbreiteter Baum. Der Feigenbaum kann mehrmals im Jahr Früchte tragen und eine enorme Ernte bringen. Die Fürsorge des Gärtners für den armseligen Feigenbaum, der wie ein Fremdling zwischen den Weinranken steht, ist mit anderen Worten überraschend und deshalb so rührend fürsorglich. Man kann den Gärtner schwerlich als jemand anderes sehen als Jesus selbst, als ein Bild für die Barmherzigkeit und Fürsorge des Sohnes auch für den, der nichts leisten kann. Das verdeutlicht das Bild von den hingerichteten Galiläern und den Jerusalemern, die durch einen zufälligen Einsturz eines Stadtturms sterben, denn sie sollen nicht für ihr eigenes Schicksal verantwortlich gemacht werden, sie sind nicht mehr schuldig als all die anderer, deren Schicksal nicht durch eigene Sündigkeit bestimmt war, sondern durch die Bosheit des Pilatus und den Einsturz des Stadtturms. Das betrifft direkt die verbreitete Vorstellung, dass wir selbst für unser eigenes Schicksal verantwortlich sind, und weist die Vorstellung zurück, dass wir die Blutvermischung und das zufällige Unglück als Schande für die Toten und ihre Familien betrachten. Sie werden freigesprochen. Sollten wir die geringsten Zweifel hegen, so folgt die Geschichte vom Feigenbaum, den der Gärtner mit einer lebensrettenden ersten Hilfe schützt. Die Erzählung ist eine Befreiung von der Schuld am eigenen Schicksal, eine Hilfe aus dem Denken der Schande und eine Anweisung für den Weg zurück in das Leben.
In einer vom Krieg bestimmten Wirklichkeit ist es gut, daran erinnert zu werden, dass wir nicht die Folgen der Schande Ablehnung, Isolation und Wut unseren weiteren Weg durch das Leben bestimmen lassen. Das gilt nicht nur für die Landschaft des Krieges, sondern auch für unsere eigenen persönlichen Kämpfe mit der Familie, der Arbeit und dem Umgangskreis. Wir sollen uns nicht dafür schämen, ein fremder Vogel zu sein, der nichts beitragen kann, sondern uns darüber freuen, dass wir in der Begegnung mit Christus die Barmherzigkeit finden, die uns emporhebt und uns zu neuem Leben aufbaut. Die Erzählungen handeln von der Begegnung mit dem barmherzigen Gott, der sich mit unserer Menschlichkeit versöhnt, und wenn das Leben zusammenbricht und wir nichts ausrichten können, wird uns die Vergebung der Sünden zuteil als Erneuerung und Mut zu neuem Leben.
Hier könnten wir die Lektüre beenden. Aber damit würden wir den Geschichten kaum gerecht werden. Denn das Gottesbild Jesu enthält mehr als Barmherzigkeit. Hier ergeht auch eine Forderung. Zwei Mal wiederholt Jesus dieselben Worte, die also als rhetorische Figur bedeutungsvoll sein müssen. „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen“. Ohne Buße und Umkehr wird es allen gehen wie den Galiläern und den Jerusalemern. Keiner ist besser oder glücklicher gestellt als die Opfer der Übergriffe des Pilatus oder des einstürzenden Turms, keiner hat einen Vorrang und kann eigene Reinheit und die Schuld und Unreinheit anderer behaupten. In diesem Sinne sind wir gleichgestellt, und es wird uns allen gehen wie diesen, es sein denn, wir tun Buße. „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen“. Ich lese das als eine Ermahnung, die Toten zu ehren und sie in Ehren zu begraben, so dass die Schande nicht die Seele verfinstert. Es erfordert Buße, sich von dem Gericht und der Rache abzuwenden. Jesus fordert einen neuen Weg, der nicht an der Schande und der Forderung nach Rache festhält, Auge um Auge, Zahn um Zahn, aber auch fordert, den anderen Menschen nicht zu verurteilen für das, was er vermocht hat, sondern ihn zu lieben für das, was er an Leben und Zukunft in sich hat. Das ist die Umkehr zur Befreiung, sowohl für den, der frei gestellt wird, als auch für den, der Freiheit schenkt. Denn wir sehen den Tod und das Gericht nicht mehr als unsere einzige Beziehung zu unserer Umwelt, sondern Vergebung und Liebe. Versöhnung ist die Sprache der Barmherzigkeit.
Das entspricht dem Gleichnis vom Feigenbaum, wo der Gärtner ihm eine Chance gibt. Er versöhnt sich damit, dass er unfruchtbar ist. Er hält Fürbitte für ihn, dass ihm eine Chance erhalten und gegeben wird, dann wird er ihn in all seiner Liebe zeigen. Der Gärtner steht immer in Beziehung zum Besitzer des Weinbergs, denn der Gärtner weiß, dass der Weinbergbesitzer das Recht hat, den Baum zu fällen. Aber bis dahin wird der Gärtner ihm all seine Barmherzigkeit erweisen.
Als Christenmenschen haben wir die Gabe erhalten, Gott durch Jesus zu kennen. Das ist der Gott der Barmherzigkeit, unser Erlöser und Versöhner. Wir wenden uns an Gott durch Jesus, denn Gott hat sich in seinem Sohn offenbart, so dass wir Gott erkennen können. Jesus befreit uns von der Schande über den Tod mit all dem heftigen Zorn und Schmerz. Zugleich fordert er, dass wir uns dem Leben zuwenden und der Welt begegnen wie er. Sonst, sagt er, ergeht es uns wie allen anderen, die vom Zorn der Welt verschlungen werden, und wir werden gefangen von der Logik der Sünde und der Schande. Jesus weist mit anderen Worten darauf hin, dass man sich nur ganz für andere hingeben kann, wenn wir ihn annehmen und sein Leben auf uns nehmen. Dann wird er stets der Gärtner sein, der für uns sorgt, sonst aber muss er uns seinem Vater, dem Weinbergbesitzer, überlassen. Wohl deshalb wiederholt er das Gebot der Buße und Umkehr, wo wir vertrauensvoll seine Liebe und seine Auferstehung empfangen, so dass wir nicht zurückfallen in den Lärm der Welt mit alle ihrer Wut, Schande, Rache, ihrem Krieg und innerem und äußerem Unfrieden.
Das Bild Gottes ist facettenreicher als es unmittelbar aussieht, denn Jesus steht immer in Beziehung zu seinem Vater. Das ist die Spannung der Dreieinigkeit, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist denselben Gott darstellen. Es liegt eine Ohnmacht darin, noch nicht Gott von Angesicht zu Angesicht sehen zu können, und mit dieser Demut müssen wir als Christen leben, ohne uns selbst einzubilden, Gottes Haus ganz zu kennen. Unser Glück ist, dass Gott Mensch wurde, so dass wir das offenbarte Wort Gottes hören und demütig auf seinen Weg begeben können im Vertrauen darauf, dass wir ihm folgen.
Es ist nie zu spät.
Seht, das ist Barmherzigkeit.
Amen
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Pastor Rasmus Nøjgaard
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