Lukas 13,10-17

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Aufrecht – nicht mehr aussichtslos | 12.Sonntag nach Trinitatis | 18.08.2024 | Predigt zu Lk 13,10-17 | von Sabine Handrick |

Liebe Gemeinde

Wir Menschen heutzutage – ich beziehe mich selbst durchaus mit ein – wir machen uns selber das Leben schwer.

Wo man auch hinkommt, sieht man Leidensgefährtinnen/en, denen enorme Lasten auf den Schultern liegen.  Gebeugt stehen sie da. Der Kopf auf der Brust, die Schultern hängen nach vorn. Der Blick gebannt auf das kleine Gerät in der Hand. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf den flackernden Bildschirm mit seinen wichtigen Informationen, erheiternden Filmchen, musikalischer Unterhaltung. –  Ihr wisst wovon ich rede, von jenem wenige Gramm wiegenden Wunderding, das uns als mobiles Büro, Fotoapparat, Videokamera, Bibliothek, Kalender, Adress- und Notizbuch, Stereoanlage, Playstation, Zahlungsmittel dient … Ach ja, ein Telefon kann es auch noch sein. 99 % aller Erwachsenen von 16-74 Jahren in der Schweiz benutzen ein Smartphone (2023).

Nein, ich will keine kulturkritische Polemik starten, nur unser Augenmerk auf etwas richten, was jede/r sieht, der sich selbst und die Mitmenschen beobachtet: Handynutzung führt vielfach zu krummem Rücken und Haltungsschäden. Ein Gerät, das uns das Leben leichter machen sollte, macht es uns schwer! Mediziner erklären, dass ein zu 45 Grad gebeugter Nacken mit mehr als 20 kg an den Muskeln zerrt. Je weiter sich der Kopf nach von beugt, desto höher ist die Belastung. Verspannungen und Schmerzen sind die Folge. – «Ich habe Rücken!», heisst es dann.

Also legen wir mal (innerlich) das Handy zu Seite!

Liebe Gemeinde – können wir uns mal selbst in den Blick nehmen, uns (selbst)kritisch anschauen? Gegebenenfalls wird eine gebeugte Person sichtbar, wenn wir in den Spiegel sehen? Und wir können uns selber fragen: Wieviel Last liegt mir auf den Schultern? …

Jede/r unter uns sei eingeladen, heute morgen einmal in sich hinein zu spüren. (Seid unbesorgt – niemand soll sich äussern!) Aber frage dich selbst: Wie geht es mir? Bin ich wohl in meiner Haut? Oder drückt mich ein Schmerz? Sitzt mir Angst im Nacken, oder irgendeine Wut oder ein Ärger, oder ein Kummer, den ich einfach nicht loswerde?

Nehmen wir uns ein paar Atemzüge Zeit, darüber nach zu sinnen …

Meine Lieben, mit der Wahrnehmung des eigenen Körpers und des eigenen Erlebens möchte ich uns hineinführen in unsere biblische Geschichte. Wir ahnen die metaphorische Bedeutung, die mit einem gebeugten Rücken verbunden ist. Eine schwere Last wird der Frau von den Schultern genommen. Doch eines nach dem anderen:

Die Situation ist gar nicht so anders als heute Morgen hier im Gottesdienst:

Menschen sind zusammengekommen, um Jesus zu hören. Er lehrt in einer Synagoge, heisst es bei Lukas. Das Ganze spielt sich irgendwo in Galiläa ab, der Ort, ist nicht entscheidend. Es könnte überall sein. Es ist ein ganz gewöhnlicher Samstag, kein Festtag sondern ein durchschnittlicher Sabbat, an dem die Glaubenden den 7. Tag, den von Gott gegebenen Tag heilighalten.

Wollen wir es wagen und uns in die Versammlung derer mischen, die Jesus zuhören, liebe Gemeinde?

«Und siehe», beginnt Lukas zu erzählen. Er stösst uns drauf: Schaut hin!

Unter ihnen ist eine Frau, die ist so verkrümmt, dass einem bereits der Anblick wehtut. Die Leute wissen: Es ist vergeblich, ihr aufhelfen zu wollen, wäre schlicht aussichtslos. Man kann an ihrem Zustand nichts machen. Es ist, wie es ist…

So kommt es, dass die Frau meist links liegen gelassen wird und von den meisten unbeachtet bleibt. Sie will auch niemandem zur Last fallen. Nun aber werden wir aufgefordert: «Seht (hin!), dort war eine Frau, die litt seit 18 Jahren an einem Geist, der sie schwach machte. Sie saß zusammengekrümmt und konnte den Kopf überhaupt nicht heben.» (BigS)

Liebe Gemeinde: Seht ihr sie? Ihr verkrümmter Rücken ist mehr als ein Smartphone-Nacken. Es ist eine deutlich sichtbare Krankheit, die sie stark einschränkt.

Woran die Frau leidet, wissen wir nicht. Ist es eine Behinderung, sind es Unfallfolgen, ist es ein Trauma oder eine psychische Erkrankung? Ich kann keine Ferndiagnose stellen. Aber vor mehr als zweitausend Jahren genügte dem Arzt Lukas als Erklärung, dass der Zustand jener Frau durch einen „Krankheitsgeist“ verursacht war. Es gab offensichtlich eine Macht, die stärker war als die Frau.

Gleichwie ob es sich um ein körperliches und/oder seelisches Problem gehandelt haben mag – wir verstehen, dass die Frau sehr gelitten hat: 18 lange Jahre trägt sie schwer an ihrer Last.

Kaum vorstellbar! Bei ständiger Rückenkrümmung lasten immer 40 – 50 kg Druck auf ihr, ohne Pause! Nie kann sie sich ausstrecken und erleichtert aufatmen, im Gegenteil: Tag für Tag Schmerzen, Einsamkeit, Kummer und – im wahrsten Sinne des Wortes – Aussichtslosigkeit. Ihr Blick geht ausschliesslich nach unten. Sie unterscheidet die Leute angesichts der Füsse, am Saum der Kleider, am Klang der Stimmen.

Der Evangelist erzählt vom Wirken Jesu, der den Menschen Gott auf vielfältige Weise nahe gebracht hat. Im Gegensatz zu den Mächtigen dieser Welt, die Andere mit Füssen treten und jede Schwäche des Gegners gnadenlos ausnutzen, verkörpert Jesu den Ewigen, der barmherzig handelt.

Unser Gott ist der, der «das geknickte Rohr nicht zerbricht, und den glimmenden Docht nicht auslöscht.» (Jesaja 42,3). Positiv ausgedrückt: «Gott richtet die Gebeugten auf.» (Ps. 37,24; 146,8; 147,6) Viele Psalmen besingen genau diese Erfahrung. Seht hin, Gott wird Euer Vertrauen nicht enttäuschen.

Man könnte die heutige Begebenheit als Illustration dazu betrachten: Endlich – die seit Jahrzehnten gekrümmte Frau kann sich ent-krümmen. Jesus ignoriert die Frau nicht, sondern holt sie in die Mitte der Versammlung. Er widmet sich ihr, persönlich und direkt. Das flackernde Lebenslicht facht er in ihr wieder neu an. Lukas erzählt es schlicht: «Als nun Jesus sie sah, rief er sie herbei und sagte zu ihr: Frau, du bist von deiner Krankheit erlöst. Und er legte ihr die Hände auf. Und auf der Stelle richtete sie sich auf und pries Gott. » (Lk.13,12f.- Zürcher Bibel)

Wir, die wir zuschauen und alle, die das miterleben, staunen und können mit ihr aufatmen. Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen … strahlender Jubel bricht aus ihr heraus. —

Doch nicht alle Anwesenden mögen in den Lobgesang miteinstimmen. Es ist wie so oft. Den besonderen Augenblick grosser Freude trüben die Bedenkenträger. Hier ist es der Synagogenvorsteher, der den heiligen Moment unterbricht. Er mahnt die Sabbatruhe an und bezieht sich dabei auf das dritte Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen! … «aufgebracht über diese Heilung an einem Sabbat, sagte zu den Leuten: Sechs Tage sind es, an denen man arbeiten soll; kommt also an diesen Tagen, um euch heilen zu lassen, nicht an einem Sabbat!» (Lk.13,14 – Zürcher Bibel)

Nun liebe Gemeinde, was meint ihr zu diesem erbosten Kritiker?

Es ist Samstag, zweifellos. An einem Sabbat wird nicht gearbeitet. So sind die Regeln. Punkt. Aus. Ende. Heilen ist Arbeit. Ausnahmen werden nicht gemacht – und damit klar ist, wer hier das Sagen hat, belehrt der Vorsteher die versammelte Menschenmenge: «6 Tage habt ihr Zeit, aber nicht am Sabbat!»

Und man kann sich vorstellen, wie einige der Anwesenden bestätigend nicken, «Recht hat er, der Vorsteher.»

Nicht alles, was Jesus tat, stiess auf Zustimmung. Auch hier: die Korrekten, die Frommen, die Sorgsamen, die Rechtschaffenen fangen untereinander an zu diskutieren. In das entstehende Gemurmel hinein hebt Jesus seine Stimme. «Ihr Heuchler!» – Laut und deutlich wird er, seine Stimme bekommt einen scharfen Unterton.

Die Leute zucken zusammen. Was ist nun? Erst so viel Freude und Jubel und nun lautstarke Diskussion und Streit?

Was Jesus dann sagt, können sie aber durchaus nachvollziehen. In einer bäuerlichen Gesellschaft ist es völlig normal, dass die Tiere versorgt werden müssen. Rinder, Esel, Ziegen … brauchen zu fressen und zu trinken – auch am Sabbat. Es wäre Tierquälerei, dies nicht zu tun. Wer sich um das Wohl von Tieren kümmert, muss diesen Arbeitsrhythmus einhalten, jeden Tag, egal ob Samstag oder Sonntag. Und die dafür notwendigen, einfachen Handgriffe – das Losbinden des Tieres, um es zum Tränken zu führen, stellt niemand in Frage.

Jesus überträgt nun solch einfache Handlungen auf das Heilwerden der Frau: Seit Jahren war sie eingeschränkt durch die Erkrankung, gebunden an ihr verkrümmtes Rückgrat, wie gefesselt, gequält und unfrei. Sie «loszubinden» ist das Selbstverständlichste, was Jesus angesichts ihrer Qualen tun konnte.

Mit der Berührung seiner Hände fällt von ihr ab, was sie so lange gefangen hielt. Die göttliche Macht des Erbarmens erweist sich als stärker. Die lebensfeindlichen Kräfte haben keine Macht mehr über sie. Nun steht sie aufrecht da, gelöst und erlöst – seht doch. Wie könnt ihr daran zweifeln!

Christus kam, um Gottes Liebe in unsere Welt zu tragen und sie zu heilen. Mag uns das Wort «Heiland» antiquiert vorkommen, es ist dennoch klangvoll und so sprechend: Unser Heiland heilte und heiligte die Menschen. Die namenlose Frau steht für die Vielen, die Kranken, die Übersehenen, die Leidenden, die in Ausweglosigkeit Gefangenen.

Der geheilten Frau heute wird ein besonderer Name verliehen: «Tochter Abrahams» nennt Jesus sie.

Er würdigt sie als eine, die in die unzählbare Schar von Menschen gehört, die mit Abraham gesegnet sind. Nun kann auch sie Gottes Zuspruch und Verheissung sehen, die auf ihr liegen. Sie kann sogar selbst den Kopf heben und einen Blick in den Sternenhimmel werfen… und staunen und sich freuen!

Liebe Gemeinde: ‘Den Feiertag heiligen’ – ist mehr als «nicht arbeiten».

Heilen und heiligen liegen sprachlich wie inhaltlich eng beieinander. Jesus hat es auch an anderer Stelle betont: «Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht – und nicht der Mensch um des Sabbats willen.» (Mk.2,27) Jesus unterlief in keiner Weise das Sabbatgebot. Im Gegenteil, er würdigte und heiligte diesen Feiertag, indem er heilte und jener Frau den Himmel öffnete.

Meine Lieben! Mit dem Beispiel jener Frau vor Augen, sehen auch wir: Heil sein an Leib und Seele – das ist, was Gott für uns will.

Gott hat Dir das Leben geschenkt. Du darfst sein, so wie Gott dich gemeint hat. Du bist nicht nur ein Arbeitstier, eingebunden in den erbarmungslosen Rhythmus hochtechnologischer Produktionsprozesse und Arbeitszwänge. Jeder Sonntag erinnert uns daran: Mensch, Du darfst zu Deiner Bestimmung zurückkehren: aufrecht und frei leben, erlöst und befreit aufatmen. Du hast Zeit, für dich selbst, für andere. Du kannst in Kontakt treten mit anderen Menschen. Du schaust in das Gesicht deines Gegenübers und siehst den Menschen, die Schwester, den Bruder neben Dir, die Dich nicht kalt, sondern dich solidarisch und mitfühlend werden lassen.

«Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht.» (Lk 21,28). Dieser Vers geht mir immer wieder durch den Sinn.

Und wenn ich mich selbst ertappe, wie ich über dem Handy hänge, gibt mir dieser Gedanke den nötigen Impuls. Ich hebe meinen Kopf, lege das Gerät zur Seite, richte mich auf, Wirbel für Wirbel, entspanne die Schultern und wachse dem Himmel entgegen. Amen

Pfarrerin Sabine Handrick

Reformierte Kirchgemeinde Düdingen

pfarramt@refdue.ch

Fundstück:

https://margmowczko.com/jesus-and-infirmed-bent-over-woman-luke-13/