Lukas 14,1-11

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17.Sonntag nach Trinitatis | 12.10.25 | Lukas 14,1-11 (dänische Perikopenordnung) | Von Anders Kjærsig |

Symposion und Anti-Symposion

Vor fast 2400 Jahren schrieb der griechische Philosoph einen Dialog mit dem Titel Symposion. Er handelt von einer Gruppe von intellektuellen Künstlern und Philosophen, die in einem kleinen geschlossenen Kreis zusammenkommen. Bei einem solchen Symposion isst und trinkt man, wohl gemerkt man trinkt bis man recht betrunken ist. Danach erhebt sich abwechselnd jeder Teilnehmer und beginnt über ein im Voraus gewähltes Thema zu meditieren und zu diskutieren. Im Symposion geht es um das Thema Liebe – die Frau, Eros und die Kunst.

Die Teilnehmer werden von Sklaven bedient. Es ist eine geschlossene Gesellschaft. Nur für die Eingeweihten und Ausgewählten. Man muss aus einer aristokratischen Familie stammen, reich und intelligent sein, um teilnehmen zu können. Das ist ein exklusiver Kreis. Sklaven, Dienstleute, Arme, Kranke, Aussätzige, die Ausgestoßenen und die Versager haben keinen Zugang. Sie haben nicht einmal eine Sprache. Niemand spricht von ihnen oder spricht ihre Sprache. Sie sind anonym, stumm, dumm, übersehen – fast nicht existent.

Fünfhundert Jahre später schreibt der Evangelist Lukas auch ein Symposion. Oder Symposion ist vielleicht zu viel gesagt, denn das Symposion des Lukas ist ein umgekehrtes Symposion – ein Anti-Symposion, das die ansonsten geltende unterdrückende Hierarche, die wir bei Platon finden, völlig umkehrt.

Das Anti-Symposion erstreckt sich über Lukas 14,1-24 und besteht einleitend aus einigen kleinen Lehrgeschichten. Die Geschichten handeln u.a. davon, wen man einladen soll und wo man sich am Tisch hinsetzen soll. Lukas warnt davor, Freunde einzuladen, denn da bekommt man nichts anderes als gegenseitige Selbstbestätigung – das kennen die meisten. Freunde sind schlimm zu Freunden, solange Freunde existieren.

Gleichzeitig warnt er auch davor, sich am Haupttisch an den obersten Platz zu setzen im Verhältnis zu den normal angewiesenen Plätzen. Nicht wegen einen Klassengesetzes, sondern weil Lukas kritisch ist gegen die Instrumente der Macht inklusiv der Verwendung von Essen und Mahlzeiten aus Exklusivität und Ausschluss. Davon wissen wir vielleicht heute etwas, wo selbst die Wetteraussichten eingepackt werden in lukullische und üppige Gastronomie.

Das Gleichnis vom großen Gastmahl ist der Höhepunkt im lukanischen Anti-Symposion. Es ist ein Gleichnis, das vom Reich Gottes handelt. Wer zum Fest auf der einen Seite eingeladen ist und wer auf der anderen Seite zum Fest kommt. Das sind nicht dieselben. Die Eigeladenen entschuldigen sich und kommen nicht wegen Unterhaltssorgen und anderen                 alltäglichen Problemen. Man könnte fragen, ob sie zu Platons Symposion gekommen wären, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten. Dafür kommen die, die nicht eingeladen waren. Sie haben nämlich keine Entschuldigungen.

Der König ist Gott selbst. Der Diener ist sein Sohn Jesus Christus. Er geht hinaus zu den Marginalisierten auf Straßen und Wegen ganz draußen hinter den dichten Wäldern und verbotenen Gebieten, um alle die einzuladen, mit denen niemand essen oder reden will. Einladung mitten im schlimmsten Viertel.

Auf diese Weise werden die Absagen der Eingeladenen zu Festmahlzeit der nicht Eingeladenen. Denn das Fest soll stattfinden – ganz gleich wer kommt.

Diese beiden Erzählungen haben auf je ihre Weise miteinander konkurriert in der Geschichte der europäischen Zivilisation. Die geschlossene und exklusive Gesellschaft Platons auf der einen Seite und die offene und inklusive Mahlzeit des Lukas auf der anderen Seite. Die Spannung zwischen Geschlossenheit und Offenheit, zwischen Exklusion und Inklusion hat somit Spuren hinterlassen in europäischer und dänischer Literatur und dem Interieur.

Ich nenne zwei bekannte Beispiele aus der dänischen Literatur.

Eine geschlossene Gesellschaft finden wir in Gustav Wieds Livsens ondskab[1], wo die dänischen Fresssäcke das Essen zu einer Loge von Gleichgesinnten gemacht haben. Hier existiert eine klare und ausdrückliche Exklusivität. Wie Redakteur Heilbunth – der selbsternannte Führer der Fresssäcke – es selbstironisch und imposant sagt: Wir sind „exklumpsiv“. Man muss nämlich mindestens 240 Pfund wiegen, um ein Teil des Klubs der Fresssäcke zu sein, eine relativ hohe Summe Geld bezahlen, das der Arme nicht hat, und über 50 Jahre alt sein. Die Fresssäcke sind also eine karikierte Ausgabe von Platons Symposion. Beide sind exkludierend. Sie sind geistlich und fleischlich Brüder.

Doch wie gesagt: Ein Symposion hat auch ein Anti-Symposion. In der dänischen Literatur ist Karen Blixen[2] ein herausragendes Beispiel. Nicht zuletzt in der Erzählung von Babettes Gastmahl.

Die Geschichte handelt von zwei Propst-Töchter in dem Dorf Berlevaag, die dank der französischen Köchin Babette Wirtinnen eines einmaligen Gastmahls werden. Als Babette eines Tages eine Prämie von 10.000 Franc gewinnt und die Gemeinde mit einem kostbaren französischen Mahl auf eigene Rechnung bewirten will, geschieht in Berlevang etwas, was nie zuvor geschehen ist. Sie bereitet nämlich ein Mahl für sie, das die Feindseligkeit und Kleinlichkeit, Exklusivität und Ausschließung versöhnt, die sich langsam in die kleine Gemeinde eingeschlichen haben. Kleine Gemeinschaften haben auch ihre Konflikte.

Wie Lukas erzählt sie vom Reich Gottes, aber sie tut das wohlgemerkt als Künstlerin. Die Mahlzeit von Blixen ist nämlich inkludierend. Sie ist ein Anti-Symposion. Da ist ja niemand in der kleinen Gemeinde, der ausgeschlossen ist. Im Gegenteil. Alle haben Teil an der Gemeinschaft. Auch die, die einander nicht mögen. Auf diese Weise sprengt Blixen die standesmäßigen Relationen, so dass die verschiedenen Platzierungen in der sozialen Hierarchie ausgeglichen werden.

In diesem Zusammenhang kein Wort vom Abendmahl in der dänischen Volkskirche. Aber im Gegensatz zu der Exklusivität, die wir in der heutigen gastronomischen Performance vorfinden, ist die kirchliche Mahlzeit sicherlich das am meisten inkludierende, was wir haben. Amen.

Pastor Anders Kjærsig

DK 5881 Skårup

Email: ankj(at)km.dk

[1] Deutsch: Bosheit des Lebens.

[2] Deutsch Tania Blixen.