Lukas 15,1-10

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Finden und gefunden werden | 3. So. n. Trinitatis | 06.07.2025 | Lk 15.1-10 | verfasst von Mikkel Tode Raahauge

Das liegt wohl in der Natur der Sache, das unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Je nach dem wie, wann und unter welchen Umständen es geschieht. Aber sicher ist es, dass sich jeder von uns im Laufe seines Lebens in irgendeinem Umfang der sehr wesentlichen und entscheidenden Frage stellen muss: Wer bin ich? Und die endgültige Antwort auf diese Frage, die ist tief davon abhängig, wie man auf eine andere sehr wesentliche Frage antwortet, und darauf werde ich sicher zurückkommen. Lasst uns aber zunächst etwas bei der ersten Frage danach bleiben, wer wir jeder für sich im Grunde sind.

Auch wenn es nämlich durchaus möglich ist, darauf sicher und unzweideutig zu antworten: In einer Welt, wo wir überall hören, dass wir uns selbst finden sollen – als wäre das irgendetwas, was verlorengegangen ist – so kann es sehr wohl schwierig sein zu beurteilen, wo in aller Welt man beginnen soll. Denn die Möglichkeiten sind fast unendlich. Und wenn das Gefühl der Verlorenheit sich erst tief im Herzen eingeschlichen hat, so lässt einen das verzweifeln, und dann geht es nur darum, mit dem Suchen zu beginnen.

Ich kenne eine Frau, die lange Zeit in ihren jungen Jahren für einen Galerie-Besitzer in Århus gearbeitet hat. Mit der Zeit war der Galeriebesitzer im Dasein wohl festgefahren – er hatte jedenfalls dieses wohlbekannte und unangenehme Gefühl, das etwas Entscheidendes verloren gegangen war, und er beschloss, in den fernen Osten zu reisen, eben um sich selbst zu finden. Und als die Frau ihm einige Jahre später auf der Straße begegnete, fragte sie ihn natürlich, ob er sich selbst gefunden habe auf seiner Reise – worauf er antwortete: „Ja, aber das war eine zweifelhafte Bekanntschaft …“.

Das ist vorbildlich ehrlich gesagt, und ich habe oft an diesen Galeriebesitzer gedacht, auch wenn ich ihn nie selbst getroffen habe. Denn seine Antwort zeigt, wie schnell das schief gehen kann, wenn man sich selbst einbildet, dass Identität nicht nur etwas ist, was man hat, weil man von Gott geschaffen ist und ihm gehört, sondern etwas, was man selbst finden oder schaffen muss. Und man braucht ja nicht den ganzen Weg in den fernen Osten zu reisen, um sich darauf einzulassen.

Einige wollen sicher damit beginnen, in der Bank-Box zu suchen. Denn hast du Geld, dann kannst du alles bekommen, und es ist fast nur die Phantasie, die Grenzen setzt für die Möglichkeiten, die Geld einem gibt. Man sagt zwar, dass man davon nicht glücklicher wird, in einem Mercedes zu weinen statt auf einem Fahrrad. Aber man denke nur, was das Geld ansonsten mit sich bringen kann an Geborgenheit, Sicherheit, Einfluss … Und dann kann man versuchen, auf die Frage zu antworten: „Wer bin ich?“ – indem man einen Blick auf das Bankkonto wirft und sagt: „Ich bin der, der im Überfluss lebt“. Oder umgekehrt, wenn das Konto nun leer ist: „Ich bin der, der nichts weiß“.

Andere wiederum wollen auf die feine Gesellschaft setzen. Denn in der richtigen Gesellschaft findet man die richtigen Leute – mit einem guten Netzwerk, wie es heißt – da lässt sich vieles machen. Es ist wesentlich kürzer zur Spitze und zu dem Status, den viele von uns brennend wünschen, und jeder, der sich jemals in einem Schulhof befunden hat oder in den sozialen Medien wie Linkedin, wird wissen, dass es sich sehr wohl lohnt, mit Leuten befreundet zu sein, die populär sind. Und dann kann man ja auf die Frage: „Wer bin ich?“ antworten: „Ich bin der, der zum engsten Kreis gehört“, oder umgekehrt: „Ich bin der, der außenvor steht“ – und das kann man seine Identität sein lassen.

Und auf derselben Weise kann man sich auf die Suche begeben im Studium, am Arbeitsplatz oder sogar in der Familie – an allen möglichen und unmöglichen Orten. Wir wissen am besten bei uns selbst, wo wir eifrig herumlaufen und uns selbst finden wollen. Ich glaube aber, die allermeisten von uns haben eine Ahnung davon, dass die Antwort wohl vor allem tief in uns selbst verborgen ist. Und so können wir dann versuchen, alle die Seiten in uns selbst zu untersuchen und zu erforschen, die ein Mensch erreichen kann: Psyche, Erbe, Umwelt, Voraussetzungen – was weiß ich.

Die Frage ist jedoch die, ob man überhaupt erwarten kann, sich selbst an all diesen Orten zu finden, ob man nicht – wenn es tatsächlich gelingt – Gefahr läuft zu entdecken, dass sich das zu einer zweifelhaften Bekanntschaft entwickeln kann. Denn auch wenn das zweifellos ein gewisses Erfolgsgefühl vermitteln kann, wenn man selbst etwas findet, an das man seine Identität binden kann – was dann, wenn etwas plötzlich schief geht – wegen eigener Dummheit oder einem Schicksal? Was, wenn das Geld aufgebraucht ist? Wenn das Gedächtnis plötzlich beginnt nachzulassen? Wenn alle Freunde einen plötzlich im Sich lassen? Was wenn der Tod einmal kommt, um das Seine zu fordern, ohne irgendetwas zu hinterlassen? Wer ist man dann?

Um auf diese Frage zu antworten, müssen wir, wie erwähnt, auf die andere Frage antworten, nämlich die Frage: „Wer ist Gott?“ Und Gott, hören wir im Evangelium, wie wir es heute gehört haben, ist der, der uns unermüdlich und unaufhörlich mit seiner Liebe folgt und verfolgt, um zu finden und zu „erlösen, was verloren war“, wie es an anderer Stelle im Lukasevangelium heißt. Das ist es, was Gott uns offenbart hat in seinem Sohn, der das Hohe und Heilige verließ, um bei denen zu sein, deren Herzen gebrochen sind und deren Geist darniederliegt. Der Sünder annimmt und mit ihnen zu Tisch sitzt, um den gebeugten Geist aufzurichten und das gebrochene Herz zu heilen. Der mit seinem Leiden und Tod sein Leben hingab, um das entlaufene Schaf und den verlorenen Groschen zu finden, der mit seiner Auferstehung ein für alle Mal deutlich machte: Ganz gleich wie verloren wir uns auch hier in der Welt finden, für Gott sind wir niemals verloren.

Das bedeutet ja natürlich nicht, dass wir nun in magischer Weise davon befreit wären, das Gefühl der Verlorenheit in uns selbst oder die Verzweiflung zu erfahren, die das mit sich bringt. Aber vielleicht kann es sein, dass wir damit besser leben können, weil wir schon hier und jetzt hören können, dass wir von Gott gewollt und geliebt sind und dass wir deshalb auch nicht umherzulaufen brauchen, um uns selbst an allen möglichen und unmöglichen Orten zu finden. Dass wir vielmehr hier – im Lichte der Gnade Gottes – schließlich uns selbst gefunden haben. Uns selbst gefunden haben, ja – und gefunden worden sind.

Im Namen Jesu, Amen.


Pastor Mikkel Tode Raahauge
Skovshoved, DK 2930 Klampenborg
Email: mitr(at) km.dk