
Lukas 15,1–3.11b–32
| Crescendo der Liebe | 3. Sonntag nach Trinitatis | 16.06.2024 | Lk 15,1–3.11b–32 | Paul Wellauer |
| Lesung Altes Testament | Psalmgebet | Psalm 53 | Lutherbibel 2017* |
| Die Torheit der Gottlosen |
1 Eine Unterweisung Davids, vorzusingen, zum Reigentanz. 2 Die Toren sprechen in ihrem Herzen: »Es ist kein Gott.« Sie taugen nichts; ihr Treiben ist ein Gräuel; da ist keiner, der Gutes tut. 3 Gott schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, dass er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage. 4 Aber sie sind alle abgefallen und allesamt verdorben; da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. 5 Wollen denn die Übeltäter sich nichts sagen lassen, die mein Volk fressen, dass sie sich nähren, Gott aber rufen sie nicht an? 6 Da erschrecken sie sehr, wo kein Schrecken ist; doch Gott zerstreut die Gebeine derer, die dich bedrängen. Du machst sie zuschanden, denn Gott hat sie verworfen. 7 Ach dass die Hilfe aus Zion über Israel käme! Wenn Gott das Geschick seines Volkes wendet, freue sich Jakob und sei Israel fröhlich! Amen
| Lesung Predigttext Lukas 15,1–3.11b–32 | Die Zürcher Bibel, 2007** |
| Die Geschichte vom verlorenen Sohn |
1 Alle Zöllner und Sünder suchten seine Nähe, um Jesus zuzuhören. 2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten: Der nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.
3 Er aber erzählte ihnen das folgende Gleichnis: […] 11b Ein Mann hatte zwei Söhne.
12 Und der jüngere von ihnen sagte zum Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht. Da teilte er alles, was er hatte, unter ihnen. 13 Wenige Tage danach machte der jüngere Sohn alles zu Geld und zog in ein fernes Land. Dort lebte er in Saus und Braus und verschleuderte sein Vermögen. 14 Als er aber alles aufgebraucht hatte, kam eine schwere Hungersnot über jenes Land, und er geriet in Not. 15 Da ging er und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Felder, die Schweine zu hüten. 16 Und er wäre zufrieden gewesen, sich den Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Schweine frassen, doch niemand gab ihm davon. 17 Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot in Hülle und Fülle, ich aber komme hier vor Hunger um. 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19 Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heissen; stelle mich wie einen deiner Tagelöhner. 20 Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Er war noch weit weg, da sah ihn sein Vater schon und fühlte Mitleid, und er eilte ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sagte zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heissen. 22 Da sagte der Vater zu seinen Knechten: Schnell, bringt das beste Gewand und zieht es ihm an! Und gebt ihm einen Ring an die Hand und Schuhe für die Füsse. 23 Holt das Mastkalb, schlachtet es, und wir wollen essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an zu feiern.
25 Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Und als er kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Tanz. 26 Und er rief einen von den Knechten herbei und erkundigte sich, was das sei.
27 Der sagte zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederbekommen hat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm zu. 29 Er aber entgegnete seinem Vater: All die Jahre diene ich dir nun, und nie habe ich ein Gebot von dir übertreten. Doch mir hast du nie einen Ziegenbock gegeben, dass ich mit meinen Freunden hätte feiern können. 30 Aber nun, da dein Sohn heimgekommen ist, der da, der dein Vermögen mit Huren verprasst hat, hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet. 31 Er aber sagte zu ihm: Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. 32 Feiern muss man jetzt und sich freuen, denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden.
Selig ist, wer Gottes Wort hört, in seinem Herzen bewahrt und danach lebt. Amen
Predigt | Crescendo der Liebe |
Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern durch die Liebe und Gnade Gottes
«Crescendo der Liebe» habe ich meine Predigt überschrieben. In der Musik meint Crescendo «an Tonstärke zunehmend», das heisst eine allmähliche Steigerung der Lautstärke. Zum Beispiel werden am Ende eines fröhlichen, lebendigen Stücks an der Orgel alle Register gezogen und die Schlussakkorde erklingen in voller Lautstärke. Das Gegenteil heisst übrigens Diminuendo und bedeutet verringern der Lautstärke. Es gibt ein berühmtes Musikstück des Komponisten Maurice Ravel, Boléro: Die ganze Komposition ist ein einziges, rund 17 Minuten langes Crescendo, eine langsame, stetige musikalische Steigerung bis zu einem Höhepunkt. Offenbar ist Boléro eines der meistgespielten klassischen Stücke und hat für einige Skandale gesorgt.
Was aber ist ein Crescendo der Liebe? Unser heutige Bibelabschnitt erzählt von zwei Brüdern und ihrem Vater. Wie sich im Verlauf der Geschichte zeigt, ist dieser Vater ausserordentlich liebevoll und barmherzig. Unser Bericht hat im Lukasevangelium eine Vorgeschichte: Jesus erzählt zwei weitere Gleichnisse, die davon erzählen, wie etwas verloren geht und wiedergefunden wird und wie gross die Freude und Begeisterung bei denen ist, die fündig wurden. Zuerst spricht Jesus seine Zuhörer/-innen ganz direkt mit einer etwas suggestiven Frage an: «Wer von euch, der hundert Schafe hat und eines von ihnen verliert, lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?» (Vers 4) In der heutigen Konsum- und Überflussgesellschaft liegt die Reaktion nahe: «Ich habe ja noch 99 andere Schafe, weshalb soll ich mich um das eine abmühen, das sich verlaufen hat? Am Ende gehen noch weitere verloren, wenn ich die 99 in der Wüste stehen lasse!»
Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, seid ehrlich: Wenn eines von Hundert verloren geht, sucht ihr es dann und macht ein Fest, wenn ihr es gefunden habt?
Jesus aber macht deutlich, wie wertvoll und wichtig dieses einzelne Schaf ist: «Und wenn er es findet, nimmt er es voller Freude auf seine Schultern und geht nach Hause, ruft die Freunde und die Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein verlorenes Schaf gefunden.» (Verse 5-6) Die Freude über eines von hundert Schafen ist so gross, dass der Finder es seinen Freunden weitererzählt und sie einlädt, sich mit ihm zu freuen. Jesus erklärt auch gleich, wofür dieser Vergleich steht: «Ich sage euch: So wird man sich auch im Himmel mehr freuen über einen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keiner Umkehr bedürfen.» Im Himmel herrscht Freude, wenn ein Sünder sich Gott zuwendet: Jesus will diese Freude und Begeisterung in den Herzen und Gedanken seiner Zuhörer/-innen wecken. Er möchte in ihnen ein «Crescendo der Liebe» entfachen.
Dies scheint allerdings noch nicht zu gelingen, so erzählt er eine weitere verloren-und-wiedergefunden-Geschichte: «Oder welche Frau, die zehn Drachmen besitzt und eine davon verloren hat, zündet nicht ein Licht an, kehrt das Haus und sucht eifrig, bis sie sie findet?» Nun ist nicht mehr ein Hundertstel, sondern bereits ein Zehntel des Besitzes, der verloren geht. Stellen dir vor, 10% deines Vermögens seien im Begriff, verloren zu gehen. Da würdest du wohl kaum mehr sagen: «Ich habe ja noch 9/10 meines Besitzes, das genügt. Was ist schon ein Zehntel?» – Du würdest vielmehr wie die Frau in der Erzählung von Jesus alle Hebel in Bewegung setzen, um das Verlorene wiederzufinden. Und ja: Du würdest dich wohl riesig freuen, dein Eigentum wiederzuhaben! Die Reaktion der Frau im Gleichnis von Jesus beschreibt er so: «Und wenn sie die Drachme gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte.» (Vers 9) Die glückliche Frau will ihr Freude mit ihren Freundinnen und Nachbarinnen teilen, so sehr freut sie sich über das wiedergefundene Geld. Wie gesagt: Es ist ein Zehntel ihres Vermögens. Das Crescendo der Liebe steigert sich: Von einem Hundertstel zu einem Zehntel des Eigentums. Je grösser der Anteil am Besitz, desto grösser dürfte auch die Freude sein, wenn es wiedergefunden wird. Und wieder deutet Jesus die Freude über das Widergefundene: «So, sage ich euch, wird man sich freuen im Beisein der Engel Gottes über einen Sünder, der umkehrt.» Die Engel jubeln über einen einzelnen Sünder, der zu Gott umkehrt. Diese gemeinsame Freude über die Umkehr eines Sünders will Jesus bei den Zuhörer/-innen entfachen. Doch sie scheinen noch kein Feuer gefangen zu haben, daher setzt er noch einen drauf: Nun geht es nicht mehr um Besitz, sondern um zwei Söhne. Einer davon geht verloren, so beschreibt es das Gleichnis. Nicht mehr ein Prozent der Schafe oder 10 Prozent des Eigentums, sondern 50 Prozent der Söhne gehen verloren. Und wer würde nicht einen Sohn höher achten, mehr lieben, stärker vermissen als ein Schaf oder Geldstück?
Diese dritte Geschichte hat zwei Enden: Gut Neuhochdeutsch würde man wohl sagen ein Happy End und ein Open End, ein glückliches und ein offenes Ende. Das Happy End erlebt der jüngere Sohn: Obwohl er den halben Besitz des Vaters verjubelt hat, wird er von diesem herzlich empfangen. Er hat sein Erbe bezogen in einer Zeit, in der erst nach dem Tod der Eltern geerbt wurde. Eigentlich machte er seinem Vater deutlich: «Du bist für mich gestorben, gib mir, was mir nach deinem Tod zusteht.» Trotzdem erinnert er sich in der Ferne an die Grosszügigkeit und Fairness seines Vaters. Diese Hoffnung lässt ihn zurückkehren: Er will als Arbeiter bei seinem Vater Unterschlupf finden. Doch er muss sich nicht als Knecht seinen Lebensunterhalt verdienen, wie er sich das gedacht hat, sondern wird wieder als Sohn willkommen geheissen und es wird ein besonderes Fest gefeiert. «Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden.» (Vers 24) Wer würde nicht ein riesiges Fest feiern, wenn ein Totgeglaubter lebendig auftaucht? Der Vater verwendet starke Worte: Sein Sohn war nicht «nur» verloren, sondern tot, ist nicht wiederaufgetaucht oder gefunden, sondern wieder lebendig! Das Crescendo der Liebe hat seinen vorläufigen Höhepunkt erfahren in diesem rauschenden Fest. [Kleine Nebenbemerkung zum Glasfenster des Künstlers Carl Roesch: Die Mutter des Sohnes betrachtet die Szene, wie der Vater den Sohn in die Arme schliesst. Sie sieht eher kritisch und etwas distanziert aus. Meine Erfahrung als Seelsorger im Sune-Egge-Spital für Menschen mit Suchtmittelabhängigkeiten und HIV-Erkrankungen (AIDS) war eine andere: Oft haben Eltern den Kontakt abgebrochen, abbrechen müssen – weil sie von ihrem Sohn, ihrer Tochter so oft belogen, betrogen, bestohlen wurden. Wenn wir sie kontaktierten, waren es meist die Väter, die kritisch auf Distanz blieben und die Mütter machten sich auf den Weg zu ihren «verlorenen Söhnen und Töchtern.]
Auf dem Weg zu diesem «finale furioso» im Crescendo der Liebe sind allerdings einige «Misstöne» auszuhalten: Wir haben dieses Gleichnis vor einigen Jahren als Grundthema für ein grosses christliches Jugendtreffen gewählt. Der Slogan des Jugendtreffs hiess: «Zur Sau». Dieser Titel hat einige kritische Reaktionen ausgelöst, u.a. haben die mehrheitlich älteren Mitglieder des Gebetskreises, die treu und fürsorglich für den Anlass beteten, empört reagiert. Als wir ihnen aber die Hintergründe erläuterten und den Zusammenhang mit dem verlorenen Sohn, haben sie umso engagierter und freudiger für das Suchen und Finden von verlorenen Söhnen und Töchtern gebetet. «Zur Sau» beschreibt die Situation des jüngeren Sohnes in der Fremde kurz und knapp, sein Leben war «zur Sau». Für jüdische Ohren, die auf Grund ihrer Reinheits- und Speisevorschriften einen grossen Bogen um Schweine machen, ist das die unterste Stufe der Verlorenheit. Und dann noch der Wunsch des Sohnes, vom Schweinefutter essen zu dürfen. «Iiiiii und Pfui! – Welche ekligen Vergleiche mutet Jesus uns da zu?» Oder will uns Jesus aufzeigen: Wahre Liebe umarmt auch den Sohn, der nach Schweinen stinkt, echte Vergebung schenkt ein reines Kleid, dass dem «Verlorenen» Festlichkeit und Zugehörigkeit schenkt, umfassende Versöhnung steckt den Ring an den Finger, der zeigt, dass der Sohn weiterhin anerkannt und erbberechtigt ist, umfassende Gnade zieht dem Sohn Schuhe an, welche in dieser Zeit Freiheit bedeuten: Slaven tragen keine Schuhe. So klingt das Crescendo der Liebe mit den Instrumenten, die Jesus spielt: Liebe, Vergebung, Gnade und Barmherzigkeit.
Doch die noch schieferen Misstöne gehen vom älteren Sohn aus: Er mag nicht einstimmen in die Melodie der Liebe. Aus ihm spricht der selbstgerechte Pharisäer, der die überschwängliche Gnade des Vaters als ungerecht empfindet. Mal ehrlich und direkt: Würdest du zum Fest gehen, wenn dein Bruder den halben Besitz der Eltern aus dem Fenster geworfen hat und dann reumütig zurückkehrt? Der grosse Bruder, der doch «alles recht gemacht hat», ist empört, enttäuscht, zornig, will auf keinen Fall am Fest teilnehmen und bleibt draussen. Dort könnte ihn der gütige Vater stehen lassen und warten, bis sich seine Wut und Selbstgerechtigkeit, sein Trotz und Neid gelegt haben. Möglicherweise müsste er da allerdings lange warten. Sind es die lauter werdenden Klänge im Crescendo der Liebe, dass der Vater zum trotzigen und selbstgerechten Sohn hinausgeht? Oder ist es eine leise Nebenmelodie, die sich hier entfaltet?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir nochmals zurück zum Anfang der drei Berichte. Auf einem Notenblatt würde dies heissen: Welche Vorzeichen hat unser Musikstück, in welcher Tonart ist es geschrieben? Moll oder Dur? Welche Instrumente sind vorgesehen? Da heisst es im Biblischen Text: «Alle Zöllner und Sünder suchten seine Nähe, um Jesus zuzuhören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten: Der nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.» (Verse 1-2) Jesus hat offenbar zwei sehr unterschiedliche Personengruppen besonders angesprochen: Zöllner und Sünder auf der einen und Pharisäer und Schriftgelehrte auf der anderen Seite. Erstere erwarten von Jesus, worüber Letztere murren: Jesus nimmt sie an und isst mit ihnen. Ihr Lied mit Jesus ist in Dur komponiert, fröhlich und unbeschwert. – Da liegt der Vergleich nahe: Der verlorene Sohn steht für die Zöllner und Sünder, denn dieser erlebt umfassende Annahme und ein Festessen. Und der ältere Sohn murrt wie die Schriftgelehrten und Pharisäer. Für ihn klingt die Melodie in Moll-Tönen: Düster und ernst.
Wie gesagt hat das dritte Gleichnis ein Happy und ein Open End: Wenn der ältere Sohn für die Pharisäer und Schriftgelehrten steht, stellt Jesus ihnen mit dieser Erzählung die direkte Frage: «Wollt ihr draussen stehen bleiben – selbstgerecht, stolz und eigensinnig? Oder wollt ihr miteinstimmen ins Crescendo der Liebe und mit eurem «wiedergeborenen» Bruder mitfeiern?» So hätte auch ihre Geschichte ein Happy End. Es ist und bleibt ihr Entscheid, wie die Geschichte für sie endet. Sicher ist: Der Vater wartet auch auf den älteren Sohn mit offenen Armen, ja, er geht ihm sogar nach draussen entgegen, um ihn einzuladen. Bestimmt hat der ältere Sohn auch schon Schuhe an den Füssen und einen Ring am Finger – und im Schrank ein schönes, sauberes Gewand hängen, das er zum Fest tragen könnte. Zu Gottes Crescendo der Liebe gehört, dass er die Schriftgelehrten und Pharisäer zu nichts zwingt. Liebe kann nicht erzwungen werden. Sie haben die Freiheit, sie haben die Wahl.
Und welche Fragen stellt Jesus uns mit diesen drei Gleichniserzählungen? Ich befürchte, in jedem und jeder von uns steckt ein Zöllner und ein Pharisäer: Auch wir reagieren gerne stolz, selbstgerecht, neidisch und voller Unverständnis, wenn es anderen besser ergeht, obschon sie sich weniger Mühe geben als wir. Viele Gemeinden überlegen sich, wie sie gastfreundlicher und «suchersensibel» werden können, aufmerksam für Menschen, die suchend sind. Jesus lässt seinen Vater in der Erzählung weit mehr als gastfreundlich und suchersensibel handeln: Mit einer umfassenden Vergebungsbereitschaft, Liebe und Fürsorge. Der Vater umarmt – spitz formuliert – das Schwein in uns. Handeln wir auch so in unseren Gemeinden, dass wir Menschen umarmen, auch wenn sie «bis zum Himmel» nach Sünde und Verlorenheit stinken, ein in unseren Augen «schweinisches» Leben führten?
Jesus spielt das Lied der Liebe, das sich zum Crescendo steigert, den verlorenen jüngeren Sohn umarmt – und zum ebenso verlorenen älteren Sohn hinausgeht und ihn zum Fest des Lebens einlädt.
Ob das Crescendo der Liebe für uns persönlich in einem festlichen «finale furioso» endet, liegt daran, wie der Pharisäer in unserem Herz sich entscheidet.
Amen
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RW 89 Wer bittet dem wird gegeben
RW 98 Vater unser, Vater im Himmel
RW 100 Unser Vater / Bist zu uns wie ein Vater
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Warum feiern wir nicht? Florence Joy | Götz von Sydow | Jonathan Enns | Marco Michalzik | Thomas Enns © 2017 Koenige & Priester Records
*) Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
**) Die Zürcher Bibel, Ausgabe 2007, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich
ERG = Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich 1998
RW = Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, Theologischer Verlag, Zürich 2017
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Bild
Fenster der Kirche Amriswil, Glasbildhauer Carl Roesch, Foto P. Wellauer, vgl. https://vitrosearch.ch/de/objects/2688524
Pfr. Paul Wellauer, Bischofszell, Schweiz
E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch
Web: www.internetkirche.ch | www.internetkirche.ch/livestream
Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer und Mitglied im Kirchenrat der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in der Stiftung Sozialwerke Pfr. Ernst Sieber, Zürich