
Lukas 16,19-31
”Das ist ungerecht” | 1. Sonntag nach Trinitatis | Lk 16,19-31 (dänische Perikopemordnung) | Lasse Rødsgaard Lauesen |
Kennt ihr das Gefühl? Das Gefühl, dass man nicht das Leben führen kann, das andere leben, nicht den Reichtum erlangen kann, den man in gewissen Vierteln blühen sieht, dieses Leben. Die meisten Städte haben Viertel, wo die Leute einfach nur das Leben zu genießen scheinen, das genießen, was die Essenz unseres Lebensstils ist: Große Autos, klimatisierte Wohnungen, Mahlzeiten zubereitet in Designergärten von Gärtnern. Im Überfluss leben. Die Güter des Lebens genießen, solange sie da sind.
Für viele geht es gerade darum: Das Leben genießen, solange man es hat. Viele meinen in der Tat, dass das heutige Gleichnis eben für die Reichen erzählt ist, dass sie ihre Gelder in der richtigen Weise gebrauchen, so dass sie allen zugutekommen und alle ihr Leben genießen können.
Das führt mich zu dem kleinen Wort genießen.
Ein Wort, das wir ständig verwenden – es bedeutet ursprünglich einen Vorteil oder Nutzen von etwas haben. Heute bedeutet es, sich über etwas zu freuen, Zufriedenheit und Wohlbehagen.
Etwas genießen ist nicht nur Verbrauch. Es bedeutet einzuhalten und der Freude Raum geben. Es verlangt Gegenwart. Es erfordert Zeit. Es erfordert vielleicht sogar Dankbarkeit. Man kann nicht etwas genießen, was man für selbstverständlich hält.
Es ist nicht falsch, dass man etwas genießt. Im Gegenteil! Genießen heißt Gottes Gaben empfangen. Das Leben schmecken und Danke sagen. Aber wenn wir vergessen, warum wir genießen – wo wir es herhaben – dann wird der Genuss hohl. Dann werden wir wie der reiche Mann, der genoss, aber nicht Lazarus und dessen Leiden sah.
Hier entsteht das Gefühl, dass es ungerecht ist, dass jemand so viel genießen kann und andere so wenig. Eben diesem Gefühl begegnen wir im heutigen Evangelium.
Wir hören von einem reichen Mann, gekleidet in Purpur und feinem Leinen in einem Leben im Überfluss. Und wir hören vom armen Lazarus, der vor seiner Tür lag, voller Wunden – und sicher auch den Blicken der Leute ausgesetzt.
Wer ist Lazarus? Er ist der, der nicht genießt. Der nicht dazugehört. Der draußen liegt.
Und was tat der reiche Mann? Nichts.
Nicht einmal ein altes Brot wurde ihm zugeworfen.
Es war, als wäre Lazarus unsichtbar.
Dann sterben beide. Und hier werden die Dinge völlig auf den Kopf gestellt. Der Reiche endet in Qualen und Feuer, währen Lazarus in Abrahams Schoß getragen wird – ein Bild für Geborgenheit und Trost.
Es war ungerecht vorher – und wird es nun wieder.
Der reiche Mann ruft: „Vater Abraham, sende Lazarus, damit er die Spitze ins Wasser tauche und kühle meine Zunge!“
Das erste Mal in dieser Geschichte, dass er überhaupt Lazarus als Menschen anerkennt, nicht wahr? Plötzlich sieht er ihn deutlich, wenn es brennt – buchstäblich.
Und beachtet: Der reiche Mann hat keinen Namen.
Es könnte jeder sein.
Lazarus dagegen hat einen Namen – der bedeutet: Gott hilft.
Vielleicht ist das gerade die Pointe: Der reiche Mann vertraute auf sich selbst, während Lazarus nur Gott hatte.
Was wollte Jesus eigentlich mit dieser Geschichte?
Sowohl der reiche Mann als auch Lazarus dürfen genießen – aber in umgekehrter Reihenfolge. Das ist ein starker und erschütternder Text. Nicht weil der reiche Mann etwas Böses direkt gegen Lazarus tut. Er schlägt ihn nicht. Er verhöhnt ihn nicht.
Er ignoriert ihn nur. Sieht ihn nicht, verschießt sein Herz und seine Augen.
Er genießt – aber er teilt nicht.
Die Pointe ist nicht die, dass Reichtum sündig ist oder dass man in einem Pappkasten wohnen muss, um in den Himmel zu kommen. Sondern dass Jesus uns herausfordert und sagt: Siehe die Leute um dir. Nicht nur die, die auf Instagram sind, sondern auch die, die nicht gesehen werden. Denn die Rollen könnten genauso gut umgekehrt verteilt sein.
Eigentlich eine gute Regel: Hilf dem, mit dem du nicht tauschen willst.
Vielleicht sollen wir uns selbst fragen: Wer sitzt vor unserer Tür?
Ist das ein Obdachloser auf der Straße, ein Nachbar, der einsam ist? Oder ist es jemand, den wir nur ignorieren, weil es bequemer ist?
Wir sollen den Mut haben, dem Leiden in die Augen zu sehen – uns nicht abwenden, auch wenn es unseren Genuss stört. Vielleicht können wir damit beginnen, die Leute mehr zu sehen, wie Gott sie seiht – als jemand, der wertvoll ist, auch wenn sie unseren Komfort beeinträchtigen und beschwerlich sind.
Mitten in dem heutigen Evangelium sehen wir etwas Größeres: Christus selbst – der der wahre Lazarus wurde.
Er, der verlassen, verachtet und übersehen wurde.
Er wurde gequält, verurteilt und gekreuzigt ohne Mitleid.
Aber in dem Augenblick als er darnieder lagt, war es Gott, der dort lag.
Gott, der nicht nur die Lazarusse der Welt sieht – sondern sich an ihre Stelle begibt.
Er geht den Weg, den alle anderen nicht gehen wollen. Nicht nur um uns zu verstehen, sondern um unsere Schuld, unsre Blindheit, unsere verschlossenen Herzen auf sich zu nehmen.
Jesus setzt sich selbst an die Stelle von Lazarus – um an unsere Stelle zu treten und uns Platz zu geben am Tisch Gottes.
Das war auch ungerecht – aber er fand einen neuen Weg, auch weil der reiche Mann – dessen Namen niemand kennt, aber alle wissen, wer er ist – und für uns andere – wieder in den Himmel.
Jesus ruft uns nicht dazu auf, die Freude und den Genuss zu meiden, sie sind Gottes Gaben.
Er ruft uns dazu auf, sie zu öffnen. Unseren Genuss nutzbar zu machen.
Den Tisch zu teilen mit Lazarus – nicht nur an ihm vorbeizugehen.
Die zu sehen, die vor unserer Tür liegen – ob sie nun arm sind an Geld, Gesundheit, Hoffnung oder Mut.
Wer ist heute unser Lazarus?
Er liegt vielleicht nicht physisch vor unserer Tür – aber er lebt in unserer Welt, in unserem Land, in unserer Stadt.
Vielleicht denkst du schon an jemanden.
Einen, dem du heute die Hand reichen könntest. Ein Blick. Ein Lächeln. Ein Telefonanruf. Das sind kleine Schritte – aber die Nächstenliebe beginnt hier.
Wir leben in einer Periode des Kirchenjahres, wo die großen Festtage vorbei sind.
Weihnachten mit dem Kommen Gottes. Ostern mit dem Opfer Gottes. Das Feuer von Pfingsten mit der Gegenwart des Heiligen Geistes. Und nun – der Alltag.
Eine Zeit, wo wir als Gemeinde nicht nur von den Mysterien des Glaubens hören sollen, sondern sie im Alltag leben sollen.
Es geht darum, die Zeit mit dem Heiligen Geist zu genießen und den Alltag zu füllen mit dem, was wichtig ist – was der reiche Mann zu spät lernte.
Es geht darum, das Leben zu genießen als die Aufgebe, die uns gestellt ist.
Wenn wir heute das Abendmahl feiern, kommen wir alle als Lazarus, der Gottes Hilfe braucht. Wir sollen nicht daran gemessen werden, wie gut wir es geschafft haben – sondern daran, wie sehr Gott uns liebt. Und das tut er. Ungerecht sehr. Diese Gnade dürfen wir durchaus etwas genießen – auch wenn das ungerecht ist. Amen.
Lasst uns beten:
Gott, wir danken dir für deine Gaben.
Hilf uns, unsere Augen und Herzen zu öffnen für die, die übersehen werden.
Gib uns den Mut, das zu teilen, was wir haben, und unseren Nächsten zu lieben, wie du uns liebst.
Wir bitten darum, dass wir als Menschen leben dürfen, die das Leben mit Gnade genießen – und das weitergeben, was wir empfangen. Amen.
Pastor Lasse Rødsgaard Lauesen
Paarup
DK-5000 Odense
E-Mail: lrl(at)km.dk