Lukas 17,20-24

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Wann und Wo kommt das Reich Gottes? | Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr | 06.11.2022 | Lk 17, 20- 24 | Klaus Wollenweber |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Text: Lukas 17, 20-24 ( NGÜ )

20 Die Pharisäer fragten Jesus, wann das Reich Gottes komme. Darauf antwortete er: »Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Anzeichen erkennen kann.

21 Man wird auch nicht sagen können: ›Seht, hier ist es!‹ oder: ›Es ist dort!‹ Nein, das Reich Gottes ist mitten unter euch.«

22 Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Es wird eine Zeit kommen, da werdet ihr euch danach sehnen, auch nur einen Tag der Herrschaft des Menschensohnes zu erleben, aber euer Sehnen wird vergeblich sein.

23 Wenn man zu euch sagt: ›Seht, dort ist er!‹ oder: ›Seht, er ist hier!‹, dann geht nicht hin; lauft denen, die hingehen, nicht nach.

24 Denn wie der Blitz aufleuchtet und den Himmel von einem Ende zum anderen erhellt, so wird es an dem Tag sein, an dem der Menschensohn kommt.

Liebe Gemeinde,

eine klare Frage erfordert eine klare Antwort. Die Pharisäer fragen und Jesus antwortet. Aber ist alles so klar? Bis heute fragen viele Menschen und hoffen auf eine Antwort: „Wann kommt endlich das Reich Gottes?“ Und die Antwort lautet weiterhin klar und deutlich: „Man wird nicht sagen können: `Seht, hier ist es!` oder: ́Es ist dort!` Nein, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“

Trotz dieser klaren biblischen Aussagen gibt es seit 2000 Jahren innerhalb der christlichen Religion Menschen, die historische Ereignisse bemühen, um eine Antwort für sich zu finden und zu begründen. Religiöse Fanatiker legen den Beginn des Reiches Gottes gerne fest – meist mit dem Hinweis: nur für die Auserwählten! Wenn dann solche Vorhersagen nicht eintreten, wird verkündigend nachgeschoben: Gott gewährt uns noch eine Zeit der Buße und Erneuerung. Häufig sind diese Festlegungen mit einer Weltuntergangsstimmung verbunden. Ich kann auch sagen: Weltweite, schreckliche Ereignisse wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, Klimawandel und anderes mehr werden zum Anlass genommen, den Weltuntergang und die Wiederkunft Christi mit dem Beginn des Reiches Gottes zu prophezeien. Dabei können diese Menschen auch auf biblische Texte hinweisen, die in dem jeweiligen Zusammenhang nicht hinterfragt werden, z.B. apokalyptische Passagen wie in der Offenbarung des Johannes.

„Seht, hier ist es nicht! Es ist nicht dort!“ – Liebe Gemeinde, es gibt keine Begrenzung auf „hier“ oder „dort“; eine Zeit- und Ortserwartung der Wiederkunft des Menschensohns ist einfach falsch. Eindeutiger kann es uns heute – wie damals – nicht gesagt werden. Und dennoch fragen auch wir Christenmenschen bewusst oder unbewusst nach dem Wann der Wiederkunft Christi. Denn das Warten und die Ungewissheit der Ankunft Christi beschäftigen uns in unserem Verhalten und lassen uns nicht zur inneren Glaubensruhe kommen. Wir möchten so gerne wissen, ob wir selbst es noch erleben oder nicht. Insofern gehört Ungeduld ebenfalls zu unserem christlichen Glauben; wer von uns will sich davon freisprechen? Ich persönlich nicht.

Ich denke, es gehört zum christlichen Glaubensverständnis, dass mit Jesus Christus damals das Reich der Liebe Gottes sichtbar angebrochen ist. Gott ist Mensch geworden in Jesus von Nazareth. In dieser einzigartigen, vollkommenen Sohn-Vater-Beziehung konnte Jesus Merkmale dieses Reiches Gottes leben: Barmherzigkeit, Vergebung, Nächstenliebe, Feindesliebe, Heilung, Zuneigung – alle Lebensweisen waren und sind Zeichen des Reiches Gottes. Der Tod Jesu machte diesem sichtbaren Beginn der Herrschaft Gottes unter uns erst einmal ein Ende. Aber dann das nicht Vorstellbare, die Auferstehung Jesu, das ganz neue Leben, ein weiteres Leben in der Nähe Gottes. Da entsteht eine christliche Lebendigkeit, die vom Heiligen Geist, der wirkmächtigen Kraft Gottes, in unserem eigenen Verhalten hier und dort zum Ausdruck kommt. Die Zukunft ragt in unsere Gegenwart des Glaubens hinein. Allerdings leben wir hier auf Erden in einem gewissen Spannungsfeld zwischen alltäglich-irdischer Realität und der Verbindung zum Reich Gottes. Unser Leben sollte dem Leben Jesu in seiner Verbindung zu Gott entsprechen. Das schaffen wir Menschen jedoch nicht. Unsere Lebenssituation ist weithin geprägt im Hin und Her von Angst und Zuversicht, von Vertrauen und Zweifel, von Liebe und Abneigung, von Eigenliebe und Nächstenliebe, von Demut und Machtstreben. Sterben und Tod werden als letztgültiges Ende des spannungsreichen Lebens gesehen und erwartet. Das Reich Gottes unter uns mit der bergenden Hand Gottes über den Tod hinaus! – wer vertraut darauf? Wer glaubt daran? Wen interessiert das überhaupt?

Viele Menschen unter uns legen Wert darauf, das eigene Leben im Hier und Jetzt zu gestalten, ohne sich über das Leben in der Nähe Gottes, im Reich Gottes, Gedanken zu machen. Es fällt ja wirklich oft schwer, zugleich mit der Realität der Welt, die uns mit Krieg, Terror, Flucht und Machtausübung jeden Tag in den Medien vor Augen geführt wird, an das Gute im Miteinander in der Wirklichkeit der Herrschaft Gottes unter uns zu glauben. Es ist nicht leicht, darauf zu vertrauen, dass die Liebe Gottes schon jetzt die Herrschaft unter uns angetreten und seit Jesus Christus im Heiligen Geist fortgesetzt hat. Auch mit unserem christlichen Glauben leben wir in einem weiten Spannungsfeld des Reiches Gottes: Mit Jesus Christus hat die Herrschaft der Liebe und Versöhnung Gottes begonnen; jetzt leben wir gleichsam in einem Zwischenstadium der Hoffnung und warten auf die Wiederkunft Christi, die dieses Reich Gottes vollends sichtbar machen wird. Jesu Kommen ist nicht in menschlichen Begriffen vorzustellen; doch die Hoffnung bewirkt, dass wir auf diese Begegnung hin entsprechend leben.

Für dieses, unser christliches Leben in der Zwischenzeit gibt Jesus noch eine warnende Mahnung weiter an seine Jünger und somit an uns alle. Vorher hatte er den Pharisäern auf deren Frage hin die klare, absagende Antwort erteilt: Keine und keiner kann sagen, wann und wo das Reich Gottes kommt! Jetzt wandte er sich den Jüngern zu; ich möchte sagen: fast seelsorgerlich, weil er wusste, wie sehr sich seine Jünger – und wir uns auch heute – immer nach Gottes Anwesenheit sehnen. Jesus spricht: „Wenn man zu euch sagt: `Seht, dort ist er! oder: Seht, er ist hier!` dann geht nicht hin; lauft denen, die hingehen, nicht nach!“ Die Jünger Jesu hören aus diesen Worten: Es gibt also Menschen, die den falschen Prophezeiungen Glauben schenken; es gibt Menschen, die dem Gerede von der schon jetzt vorhandenen Sichtbarkeit des Reiches Gottes nachlaufen. Ja, dieses menschliche Handeln gehört auch in das Spannungsfeld in unserer christlichen Religion. Und zugleich weist Jesus seine Jünger – und entsprechend uns heute – darauf hin, dass sie und wir in seiner Nachfolge das weithin sichtbare Aufleuchten eines Blitzes erleben werden, wenn der Menschen- sohn Jesus wiederkommt. Das Leuchten eines Blitzes reicht von Horizont zu Horizont, umfasst somit die ganze Erde, alle Völker – nicht nur begrenzt ein Land und ein Volk. Unser Sehnen nach dem Kommen Christi ist ein weltweites, lebendiges, spannendes, wartendes Geschehen im Hier und Jetzt.

In den Gottesdiensten an den letzten Sonntagen des Kirchenjahres liegt es nahe, dass wir im Blick auf unsere Vergänglichkeit das Sehnen nach bleibender Geborgenheit bei Gott nicht verdrängen. Dann sinnen wir nach über Werden und Vergehen, über Sterben und Tod und nicht zuletzt über die Hoffnung auf das weitere Leben in der Hand Gottes. Wenn Jesus verkündet: „Das Reich Gottes ist in euch“ oder: „das Reich Gottes ist mitten unter euch“, dann hinterlässt er mit seinem Tod und seiner Auferstehung eine herausfordernde Botschaft an uns: Nehmt ernst und wahr, dass die Herrschaft der Liebe und bergenden Bewahrung Gottes durch den Tod Jesu am Kreuz nicht beendet wurde. Mit der Sendung des Heiligen Geistes betont Christus seine Gegenwart. Die Herrschaft der Barmherzigkeit Gottes hat nicht aufgehört; sie existiert weiter in seinen Worten und in unserem lebendigen Verhalten und Handeln. Wir müssen heraus aus der Haltung der Beobachtung mit dem Fragen nach dem Wann und Wo. Wir leben bereits das Reich Gottes in unserem Miteinander, im Singen, im Beten, im Hören und Tun des Wortes Gottes. Wir wachsen im Glauben und leben zeichenhaft schon im Bereich der Liebe Gottes. Das ist eine herausfordernde und spannende Antwort Jesu auf unsere bleibende Frage nach dem Wann und Wo seiner Wiederkunft: Ich bin bei euch schon jetzt und hier in eurem Glauben! In der Gegenwart ist das Reich Gottes in und mit euch lebendig! Geht hin in Frieden; „denn siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ So sagt Jesus es uns heute zu. Das ist gewisslich wahr!

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn. Amen

Lied EG Nr. 152 „Wir warten dein, o Gottes Sohn, …“


Bischof em. Klaus Wollenweber
53129 Bonn
E-Mail: Klaus.Wollenweber@posteo.de

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin ( heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover ); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße (heute: „Ev. Kirche Berlin- Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) ); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.


Als Baustein zum Nach-Denken:

„Die Gabe und die Gegenwart des Heiligen Geistes ist das Größte und Wunderbarste, das uns, der menschlichen Gemeinschaft, allen lebendigen Wesen und dieser Erde widerfahren kann. Denn im Heiligen Geist ist nicht irgendeiner unter den vielen guten und bösen Geistern gegenwärtig, sondern Gott selbst, der schöpferische und lebendig-machende, der erlösende und seligmachende Gott. Wo der Heilige Geist ist, da ist Gott auf besondere Weise gegenwärtig, und wir erfahren Gott durch unser Leben, das von innen heraus ganz lebendig wird. Wir erfahren das ganze, volle, geheilte und erlöste Leben mit allen unseren Sinnen. Wir fühlen und schmecken, wir tasten und sehen unser Leben in Gott und Gott in unserem Leben. Es gibt viele Namen für Gott den Heiligen Geist. Unter ihnen sind die Namen des Trösters und der Quelle des Lebens für mich am schönsten.“

Aus Reiner Strunk „Hoffnungszeichen – ein Jürgen Moltmann-Brevier“, Seite 209