
Lukas 19,1-10
3. Sonntag nach Trinitatis | 1. Juli 2001 | Lukas 19,1-10 | Joachim Goeze |
Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
die eben gehörte Geschichte ist uns vom Hören bekannt, sicher haben wir sie auch schon ausgedeutet gehört oder sogar selbst eine Anwendung mit ihr verbunden: Du sollst keinen ausschließen, auch oder gerade den oder die nicht, die es in Deinem Urteil nicht verdient hat, von Gott angenommen zu werden. Wer sich an seinen Kindergottesdienst erinnert oder an die Konfirmandenzeit hat vielleicht noch die Warnung im Ohr, niemand dürfe wegen bloßem Anderssein ausgeschlossen werden samt der Ermahnung:“ und wenn zu Weihnachten wer in die Kirche kommt, der schlecht gekleidet ist und riecht, da dürfe man sich nicht wegsetzen !“
So kleinformatige und doch auch richtige Übersetzungen der Zachäusbotschaft verdecken aber doch eher deren Provokation wie ich meine. So lohnt es sich schon, sich auch mit Einzelzügen unserer Geschichte zu befassen, um einen mehr als moralischen Zugang zu ihr zu bekommen. Wir lesen ja oft über bekannte Geschichten hinweg. Also fangen wir mal bei was ganz äusserlichen an: hier steht: „Er stieg auf einen Baum, um Jesus von ferne zu sehen, denn er war klein. Wie so muß Zachäus auf einen Baum steigen? Läßt man nicht wie selbstverständlich, wenn der Schützenumzug kommt und die Musik, die Kleinen vor – seien es nun Kinder oder Erwachsene? Und wenn sich eine erwartungsvolle Kulisse zum Einzug der Stars aufbaut, wieso geben die Längeren dem Kleinen keinen Platz zum Sehen?
Dafür kann es zwei Gründe geben: es war wirklich so ein Gedränge, dass sich keiner mehr rühren konnte oder Zachäus wollte gar nicht nach vorn gehen.
Für die zweite Annahme gibt es gute Gründe: Zwar von kleiner Statur, war Zachäus doch ein
Großes Charakterschwein. Mitten im verzweifelten Kampf seines Volkes arbeitet er mit der Besatzungsmacht zusammen und bereichert sich auch noch dabei, ja hat es bereits zum Oberzolldienstkommissar gebracht. So einer kann und darf gar nicht in die erste Reihe, ja aufgrund der allgemeinen Abneigung wegen seiner unkontrollierbaren Abzockerei beim Zoll muß er mit Tätlichkeiten gegen sich rechnen. Und er wusste ja, was er tat. Ob es nun seine Kleinheit war, die ihn seit Kinderzeiten einen Ausgleich suchen ließ, wie viele Ausleger meinen? Wenn ich schon nicht geliebt werde und mich keiner beachtet, dann will ich wenigstens gefürchtet werden. War das das Lebensziel des kleinen Zachäus, der zuviel übersehen und seiner Körperlichkeit wegen gehänselt wurde? Wenn mich keiner beachtet und liebt, dann will ich wenigstens gefürchtet werden. Ein Lebensmotto, das ihn zum Komplizen der Römer, der Besatzungsmacht, werden ließ. Ein einsichtiges Motto- auch heute noch oft. Nicht erkanntes Motiv so mancher Chefs auf allen Etagen unserer Gesellschaft- einer, der sich selbst nicht leiden kann, will dann auch nicht mehr gelitten werden und sucht sich eine Arbeit. Die ihm den nötigen Ausgleich durch Geld und Macht verschafft. Und so einen, der sich selbst verloren hat an das Geld, die Macht und den Betrug, den sucht sich Jesus aus:“ Steig herunter, ich will heute bei Dir einkehren.“
Das Charakterschwein wird uns vorgezogen so müssen doch die anderen denken und fühlen. Und erst auf diesem Gefühlshintergrund wird klar, wie herausfordernd sich Jesus benimmt. Die Leute, die sich bemühen rechtschaffen zu bleiben, sich um ihren Lebensunterhalt schinden müssen um durchzukommen, sie werden von Jesus übersehen. Ist es nicht verständlich, dass sie gereizt und ärgerlich urteilen: „mit dem Sünder isst er“. Bitter also die erste Einsicht unser Begegnungsgeschichte: Jesus zeigt in seiner Person, dass Gott gerade den sucht, der es in unsern Augen nicht verdient hat.
Und hinter dieser Herausforderung folgt gleich die nächste: die satten Worte Jesu, als er nun die Luxusvilla des Oberzöllners betritt: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren: schön schon, wie unsere Geschichte in jedem Wort ausgefeilt ist: die erste Silbe vom Namen des Hausherrn, die Silbe Zak, heißt hebräisch der „Reine“. Er nun wieder. Der Ortsbetrüger nennt sich der Reine und in dessen Haus kommt der sehnsüchtig Erwartete, der Gesandte Gottes, der große Meister, der Heiler – der Star, zu dessen Empfang sich alles versammelt hatte.
Und dann feiern sie zusammen ein Abendmahl der besonderen Art.
So wendet sich die Geschichte von der Enttäuschung der Leute draussen zum Geschehen im Haus. Aber es wird nichts einzelnes geschildert. Es wird nur von einem Resultat berichtet:
Ein Mensch, der sein Leben auf Geld und gekauftes Ansehen ausgerichtet hatte, der sich rächt. An seinen Mitmenschen für das viele Übersehenwerden, indem er sie fürchten lehrte und sie folgenlos betrügen konnte, ohne dass sie sich wehren konnten. Ein Mensch, der unbeachtet nun die Verachtung auf sich nahm und sich selbst verloren hatte – der ändert sich.
Und ändern nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.
Noch einmal Jesus: heute ist diesem Haus Heil widerfahren.
Ein Kaputter ist da ganz geworden. Gottesbegegnung ist immer möglich, das ist das zweite, was uns diese Begegnung zeigt. Wenn wir Gott begegnen, können wir wieder heil werden – bis hin zu neuen Taten und Zielen. Wer sich zu den Verlorenen zählen muß, kann neu anfangen – aus den Bruchstücken unseres Lebens kann Gott etwas ganzes schaffen; mitten im Alltag kann sich in der Begegnung mit Jesus eine Kehrtwendung vollziehen. Die eigentliche Schwelle für eine Wende ist ja in unserem Vaterlande heute die Tat. Gerede haben wir genug.
Und so ist denn auch hier wieder etwas zu lernen: Zachäus rechtfertigt auf einmal seinen Namen, er wird nun neu ‚rein‘, gibt wie vorgeschrieben vierfaches zurück, denen, die er betrogen hat. Und er teilt mit den Armen.
Lukas zeigt damit bis heute ein untrügliches Anzeichen dafür,ob wir es ernstmeinen mit dem Christsein. Ein ganz unaltlutherisches Beharren auf der Tat: Nicht: ‚ ich habe mein Leben lang geglaubt und auch keine guten Werke getan‘, sondern ein tätiges Lindern der tatsächlichen Verwüstungen, die er angerichtet hat.
Am Ende unserer Geschichte kommentiert Jesus seine eigene Absicht in der Begegnung mit dem Sünder: er will dessen Umkehr und tätige Wende im Alltag. „Ich bin gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“
Schwierig für uns Rechtschaffene, da einzustimmen. Stellen wir uns nur einmal vor, dass Zachäus ja tatsächlich der Besatzungsmacht zugearbeitet und die Leute schwer geschädigt hat. Erfahrungen mit der Wende haben ja auch heute viele von uns. Und da sollen wir dann Zachäus auf die Wendehälse anwenden, auf all die, die heute für ihr Unrecht Rente kriegen?
Diese ehemals a-sozialen sollen jetzt mit den Worten Jesu selig werden?
Ja, auch sie sind Menschen, wie Zachäus, die ihren Gott da gesucht haben, wo sie mit dem Herzen sind. Ja, wir alle können verloren sein vor Gott, den Mitmenschen und uns selbst. Können uns verlieren und tun es auch immer wieder an das Geld, die Macht und das Ansehen, den Ruhm vor den Leuten. Wo dein Herz ist, da ist dein Gott.
Und dann müssen wir uns also gefallen lassen, aus so alten Geschichten aufs Neue die Zumutung Gottes herauszuspüren: was seid ihr, wenn ihr nur euresgleichen liebt?
Was also, wenn nicht ein Nachgehen der Spuren Jesu, der in unsere Wirklichkeit gekommen ist, bedeutet es, zu bedenken, : zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Darum ziehen wir noch eine dritte Lehre aus unsere Geschichte: jederzeit sollen wir achtsam sein auf das Kommen Gottes in unserem Leben und in dem anderer Menschen.
Begegnung mit Gott ist immer möglich, haben wir an Zachäus und für uns selbst gelernt, wenn wir uns entschließen können, von unseren Vorurteilen Abstand zu nehmen, eine neue Achtsamkeit für Gott in unserm Leben zu entwickeln, zu begreifen, dass es Gott gefallen hat, in diese unsere widersprüchliche und leidensvolle und ungerechte Welt zu kommen. Vielleicht ist es auch schwierige, aber im Blick auf Gott lösbare Aufgabe, damit fertig zu werden, Gott kann auch Charakterschweinen begegnen und sie ändern und lieben, die es in unsern Augen nicht verdient haben. Und vielleicht ist sein Urteil auch über uns selbst entscheidender als unserer eigenes, vielleicht gerade dann, wenn wir uns schuldig fühlen.Wie die Arbeiter im Weinberg, sie alle bekommen als gleichen Lohn ihr Leben und im Blick auf die Güte Gottes überwinden sie ihren Neid und ihre falschen Maßstäbe. So können wir zu Gott immer zurück, weil er immer neu in unser Leben kommt und uns heil macht. Zu neuer Achtsamkeit für die Begegnung mit Gott möchte uns zum Schluß die Kurzgeschichte ermuntern:
Ein Mann erfuhr, dass Gott zu ihm kommen wollte. „Zu mir?“ schrie er, „In mein Haus?“ Er rannte durch alle Zimmer, er lief die Stiegen auf und ab, kletterte zum Dachboden hinauf, ging in den Keller. Er sah sein Haus mit anderen Augen. „Unmöglich!“ schrie er. „In diesem Dreckstall kann man keinen Besuch empfangen. Alles schmutzig! Voller Gerümpel! Kein Platz zum Ausruhen, keine Luft zum Atmen!“ Er riss Fenster und Türen auf, „Brüder, Freunde! Helft mir aufräumen, irgendeiner, schnell!“ Er begann sein Haus zu kehren, durch dicke Staubwolken sah er, dass ihm einer zu Hilfe gekommen war. Sie schleppten das Gerümpel vors Haus, sie schruppten Stiegen und Böden, sie brauchten viele Eimer Wasser, u die Fenster zu putzen, und noch immer klebte der Dreck. „Das schaffen wir nie“, schnaufte der Hausbesitzer. „Das schaffen wir“, sagte der andere. Sie plagten sich den ganzen Tag.
Als es Abend geworden war, gingen sie in die endlich saubere Küche und denkten den Tisch. „So“, sagte der Mann, „jetzt kann der Besuch kommen, jetzt kann Gott kommen. Wo er nur bleibt?“ – „Aber ich bin doch da,“ sagte der andere, „komm iss mit mir.“
Joachim GoezeE-Mail: joachim.goeze@web.de
Exegetische Entscheidungen
Das Zusammentreffen Jesu mit dem Sünder, der sich ändert, rechne ich zu den klassischen
Begegnungsgeschichten des NT. Sie spiegelt zudem sehr deutlich die lukanischen Betonungen der Christologie, Jesus sei für die Armen und Verlorenen gekommen, wider, vgl. Schlussvers. Ausserdem illustriert sie die Warnung vor den Gefahren des Reichtums und deren positive Überwindung im Verlauf einer Lebensgeschichte. Zum dritten deutet und zeigt
Lukas mit seiner Begegnungsgeschichte die Warnung vor vorschnellem menschlichen Urteilen und setzt dem die tabubrechende Hilfe Jesu entgegen – einschließlich der tätigen Reue des ehemals Verlorenen.
Homiletische Überlegungen
Da die Zachäusgeschichte zum eisernen Bestand in Schule und Kirche gehört, ist sie m.E.im
Überwiegend moralischen Sinne einer Solidarität mit Aussenseitern, schuldigen oder nicht schuldigen, im Vorverständnis der Predigthörerinnen und – hörer präsent. So war mein erster Impuls, eine Geschichte zu schreiben “ von dem Mann, der die Zachäusgeschichte beherzigt hatte.“ Aber meine Erfahrungen als Pastor mit Aussenseitern und der Reaktion mancher Mitmenschen, die Enttäuschungen samt massiven Konsequenzen, wobei mich oft nur der Amtsbonus geschützt hat, lassen mir die homiletische Aufgabe, damit zum Gemeindeaufbau beizutragen, nicht erreichbar erscheinen. Darum will ich mich für die Predigt auf die inkarnationstheologischen Schwerpunkte begrenzen dass
- Jesus gerade den sucht, der es in unseren Augen nicht verdient hat
- Gottesbegegnung immer möglich ist
- Die Achtsamkeit auf das Kommen Gottes uns frei macht zu Umkehr und für neue
Ziele.