
Lukas 19,41-48
10.Sonntag nach Trinitatis | Lukas 19,41-48 (dänische Perikopenordnung) | Von Eva Holmegaard Larsen
Die Tempelreinigung
An einem milden und schönen Spätsommertag wirkt es ganz unpassend mit diesem ohnmächtigen Zorn, der sich in diesem Evangelium findet. Jesus ist wütend, aber es ist der verzweifelte Zorn der Tränen über all das, was er sieht, und die absurde Weise, wie die Menschheit das Leben verwaltet – absurd, wenn man bedenkt, in welch eine große und schöne Welt uns Gott gestellt hat. Auch wenn man in Betracht zieht, welch eine relativ kurze Zeit wir hier sind und wie phantastisch das Leben gelebt werden könnte.
Ja, der zornige Jesus ist eine kalte Dusche an einem schönen Sonntag, wo niemand wütend sein sollte. Es ist aber nicht sicher, dass es den Leuten im Gazastreifen oder im Sudan oder der Ukraine – oder an allen Orten, sogar auch im friedlichen Dänemark genauso geht, überall wo man darum kämpft, den Glauben und die Hoffnung zu bewahren – weil das große schöne Leben zu einem Schlachtfeld geworden ist oder einem Kampf ums Überleben gegen die Arroganz gieriger und herzloser Menschen. An vielen Orten der Welt wartet man ungeduldig auf den Zorn und den Protest der Kirchen.
Wenn wir nämlich genau hinhören, dann redet uns das Evangelium nie nach dem Munde oder schmeichelt uns, wenn wir es satthaben, dazusitzen im Sonnenschein und halbe Hänchen liefern, wie ein Ober, wenn wir nach ihm rufen, wie das Kaj Munk in einer scharfen Predigt gegen den Nationalsozialismus im zweiten Weltkrieg formulierte. Evangelium ist Widerstand gegen das, was das Leben zerstört. Denn da ist etwas, was richtig ist, und etwas, was falsch ist. Und das Leben ist eine ernste Sache, und deshalb ist Jesus nicht gekommen, um die gute Stimmung zu bewahren, sondern um sie zu stören. Wie ein Stein im Schuh. Oder wie hier auf dem Tempelplatz wie eine Mutter, die heftig nach einem Kind greift, das vor ein Auto rennt.
Was war es denn, was er an diesem Tage sah? Vielleicht fiel sein Blick auf die vielen emsigen Verkäufer, die sich würdelos auf dem Tempelplatz stritten. Er sah, was, was für Menschen aus uns werden, wenn die Gier uns ergreift. Und was mit uns geschieht, wenn da nichts ist, was für uns heilig ist.
Der Tempelplatz solle ein Ort sein für Gebet und Andacht, wo sich Menschen begegnen, um mit Gott zusammen zu sein und Frieden zu finden mit sich selbst und den Mitmenschen. Aber hier ist niemand, der auf die Stimme Gottes hört in dem Chaos von emsigen Kaufleuten auf der Jagd nach einem guten Angebot.
Manchmal machen wir auch ein gutes Angebot auf dem Markt aus unseren Gottesdiensten, aber wir tun das mit den besten Absichten. Denn wir, die die Aufgabe haben, Menschen zum Gottesdienst zu versammeln, stehen vor den Kräften des Markts und der Wirklichkeit, dass die wenigsten Zeit haben, dem Wort Gottes zu begegnen und darüber nachzudenken, was es bedeutete, dass unser Leben ein Tempel ist, in dem Gott wohnt.
Wenn Jesus den Tempelplatz räumt von dem Geschrei des Marktes, sollen wir das vielleicht als eine Aufforderung hören, einen Platz für das Heilige freizumachen in unserem Leben.
Da sind drei Dinge, die einem auffallen, wenn man diesen Text hört.
Das erste ist, dass Jesus sagt, dass wir nicht wissen, was unserem Frieden dient. Das zweite ist, dass er sagt, dass wir nicht unsere Gelegenheit wahrnehmen. Und das dritte sind die berühmten Worte, die er, wie ich mir vorstelle, über die staunende Menge rief, während er umherläuft und sie mit großer Energie aus dem Tempelplatz vertreibt. Er sagt: Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus sein. Ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht.
Aber dann ist da auch ein vierter Aspekt zu beobachten, nämlich dass Jesus weint. Er ist zornig, und er weint. Er weint über Jerusalem, die geliebte Stadt. Er ist verzweifelt über sein Volk. Das kann man gut verstehen, was Jerusalem betrifft. Das war damals wie heute ein Chaos und Unfriede. Eine schöne Stadt voller Unversöhnlichkeit in einem Land mit Menschen, die nicht zueinander finden oder miteinander leben können.
Aber wenn Jesus über sein Volk weint, weint er über das Leben der Menschen überhaupt. Wir wissen nicht, was unserem Frieden dient. Diese Worte beziehen sich auf all das, was wir gerade erleben. Noch einmal müssen wir uns darüber wundern, warum Unfrieden auf der Erde herrscht. Warum lassen wir das zu, immer wieder? Warum ist das nicht zu beherrschen, warum überlassen wir noch immer die Macht den schlimmsten Menschen?
Selbst in Friedenszeiten ist Unfriede. Wenn nicht am Arbeitsplatz, so in Familien. Wir sind streitbare, konfliktsuchende Tiere, die Feindschaften kultivieren selbst mit engsten Familienmitgliedern jahrelang, vielleicht lebenslang. Gleichzeitig halten wir hartnäckig fest an unseren Vorstellungen darüber, was nötig ist, damit unsere Seele Frieden findet. Mehr Geld, mehr Komfort, mehr Aufmerksamkeit, gute Jobs, ewige Jugend. Es ist fast trivial, wie konstant unsere Ambitionen sind über die Zeiten hinweg. Es geht eine gerade Linie von denen, die nach irgendeinem neuen Ding suchen, das man besitzen müsste, bis zur Jagd unserer Zeit nach Verbrauchsgütern.
Es gibt einem vielleicht Frieden in der Seele für ein paar Stunden, aber dann fängt die Unruhe wieder an. Was aber ist es dann, was unserem Frieden dient? Vom Theologen Augustin, der im vierten Jahrhundert lebte, stammen die oft zitierten Worte: „Meine Seele ist unruhig, bis sie Ruhe findet in dir, mein Gott“. Sie stehen in den „Bekenntnissen“, seiner Autobiographie, wo er ja beschreibt, wie er als reicher verwöhnter junger Mann von der einen leeren Befriedigung zur anderen lief. Immer wieder spürte er die Sehnsucht nach etwas anderem, etwas was tiefer war und mehr wirklich.
Was Augustin suchte, kann man vielleicht eine grundlegende Identität nennen. Ein Ort, wo man hingehört, wissen, dass man jemand ist, bevor man etwas wird. Wissen, dass wir hier auf Erden wandeln mit einem unsichtbaren Band um uns, so dass wir immer zurückfinden – auch wenn wir noch so weit weg sind und in finstere Tage fallen und die größte Leere erleben. Wenn wir krank sind, wenn es uns schlecht geht, wenn alles gegen uns ist. Und wenn wir wieder erleben, dass Krieg in der Welt ist und dass das Spiel um die Macht mit denselben Repliken und Charakteren gespielt wird, die wir verzweifelt oft schon gesehen haben.
Und je mehr verzweifelt das ist, desto wichtiger ist es, aus dem Spiel auszutreten und daran zu glauben, dass Gottes Schöpfung seiner selbst im Menschen nach seinem eigenen Bild ungeschwächt besteht selbst nach all dem, was dann folgte. Die ganze Bewegung weg von der Welt, die Gott ursprünglich schaffen wollte. Wir sind geschaffen vom Guten, und deshalb sehnen wir uns stets nach Gott. Sehnen uns nach dem innersten Heiligen, das der Sinn des ganzen ist. Denn von dort kommen wir.
Aus dem 5. Buch Mose haben wir heute das jüdische Glaubensbekenntnis gehört – Schema – es lautet: Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
Und weiter steht da, dass du diese Worte festhalten und deinen Kindern weitergeben sollst, sie wiederholden sollst, wenn du zuhause bist und wenn du unterwegs bist, wenn du zu Bett gehst und wenn du aufstehst. Und du sollst sie auf deine Hand binden als ein Zeichen, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein. Und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore schreiben.
Das Gebot, Gott mit seinem ganzen Herzen und mit ganzer Seele zu lieben soll man nach jüdischer Glaubenspraxis nie vergessen.
Deshalb soll man sich darin üben und es seine Kinder lehren und kleine Kasten mit dem Schema-Gebet an den Türrahmen anbringen und andere kleine Kasten mit dem Gebet an seinen Kopf binden mit einem raffinierten System eines Gebetsriemens – so dass man buchstäblich gesprochen in das Glaubensbekenntnis eingewickelt ist.
Denn du musst dich darin üben, den Herrn deinen Gott zu lieben. Nicht alles andere, was wir für das Wichtigste halten und nach dem wir streben. In vielem, was wir begehren, kann unmittelbare Freude und Zufriedenheit liegen, aber kein Friede. Man würde sich wirklich wünschen, dass die Führer der Welt in einen Gebetsriemen gewickelt wären und immer auf die kleinen Kasten stießen, wenn sie durch eine Tür gehen!
Der Friede des Herzens liegt nicht in hohen Zensuren, Schönheit, guten Jobs und viel Bewunderung. Es ist gut zu streben, etwas zu wollen und ehrgeizig zu sein, denn das braucht die Welt. Aber Frieden schenkt das nicht. Manchmal ist es fast umgekehrt, je besser es geht, desto größer werden die Anforderungen und die Unruhe, dennoch durchzufallen und alles zu verlieren.
Das heutige Evangelium fordert uns heraus mit der Frage, was Frieden wirklich ist. Wo finden wir Frieden zu leben und zu lieben, auch wenn wir einmal sterben müssen und alles unsicher ist, verletzlich und flüchtig – und auch wenn wir all das verlieren können, was uns glücklich macht und woran unsere Herzen hängen.
Geht heute nach Hause und überlegt, was ihr unter dem Frieden des Glaubens v ersteht. Der Friede der Kirche hier drinnen, wo alles zusammen „geist“, wie es die dänische Liederdichterin Iben Krosdal formuliert. Mitten in dem schönen aber auch chaotischen Leben draußen gibt es diese Gotteshäuser, die in der Landschaft aufragen. Sie erinnern uns daran, dass wir in unseren Alltag gehören, wir gehören aber auch hierhin: Im Ewigen, im Guten, das unter uns läuft wie eine Quelle.
Friede ist, dass man Gott gehört. Friede ist mit dem Glauben zu leben, dass meine Kinder und Enkelkinder, mein Geliebter und meine Lieben, alle die, die meinem Herzen und meinen Sorgen nahestehen, unserem himmlischen Vater gehören, dessen Liebe ewig und unveränderlich ist.
Jesus ist empört darüber, dass wir das leicht vergessen können. Und er kann es uns ansehen! Was war das, was er an diesem Tag auf dem Tempelplatz sah? Vielleicht der Anblick eines gestressten verdrehten Gesichts. Der Anblick saure Verärgerung oder Verachtung. Unruhige Augen. Traurige Augen. Vielleicht sah er ein Paar, das bitter zankte über den Preis eines Teppichs. Kreischende Stimmen, beleidigte Eheleute in bitteren alten Streitigkeiten. Neidische Nachbaren. Der Geruch von Furcht, betrogen zu werden oder das Gesicht zu verlieren oder durchzufallen. Vielleicht spürte er durch den ganzen Tumult die stumme Sehnsucht, die in den Herzen aller Menschen liegt.
Seine Gelegenheit wahrnehmen, das bedeutet zu wissen, was unserem Frieden dient. Wo wir im Grunde hingehören. Jesus wird zornig, weil wir vergessen, wer wir sind, und nicht ein noch aus wissen und deshalb auch nicht wissen, was unserem Frieden dient.
Gottes Friede – das heißt den Mut zum Leben und die Hoffnung bewahren. Gottes Friede, das heißt wissen, dass wir nicht allein sind und dass wir nicht zufällig in diese Welt im Universum geworfen sind, um uns so gut wie möglich durchzuschlagen und uns abrackern, um das große Gefühl der Leere auf Distanz zu halten und die Angst, nichts zu bedeuten.
Friede
ist Vertrauen auf Gott, sich seiner Liebe und Wahrheit hinzugehen und allem, was das bedeutet an Verantwortung für unsere Mitmenschen und diese Erde, und alles, was das bedeutet an Aufforderung, im Geist Gottes zu leben und zu handeln. – liebevoll, offen und wach. Das Leben nicht zum Leerlauf werden lassen in schlappem Verbrauchsdoping, um die große Sinnlosigkeit zu betäuben.
Wenn Jesus den Tempelplatz räumt, räumt er den Raum um uns, so dass Platz wird für das Heilige. Platz für die Pause und die Ruhe, die notwendig sind, damit wir spüren können, dass das Leben heilig ist und wir der Tempel sind, in dem Gott wohnt. Amen.
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Pastorin Eva Holmegaard Larsen
Nødebovej 24, Nødebo, DK-3480 Fredensborg
E-mail: ehl(at)km.dk