Lukas 2,1–20

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Christvesper | 24.12.2024 | Lk 2,1–20 | Ulrich Nembach |

Liebe Gemeinde,

wir feiern Weihnachten, alle Jahre wieder. Wir feiern. Ein Weihnachtsfest gleicht bei uns dem anderen. Wir feiern wie im letzten Jahr, im vorletzten, im Jahr davor. Wir schmücken unsere Wohnungen und Straßen. Wir haben unsere Traditionen und Requisiten. Der Baum gehört zum Fest, ein gutes Essen, Kerzen, Lichterketten, weihnachtliche Musik, der Glühwein und vieles andere mehr. Weihnachten ist ja doch mehr als die gelegentliche Glühweinparty, mag diese auch auf dem Weihnachtsmarkt vor der Kirche stattfinden.

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Ich lese wie an jedem Heiligen Abend die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums, Lukas 2,1–20:

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5 auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

15 Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

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„Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Wir haben die Worte der Engel, wie eben gelesen, wohl noch im Ohr. Im Kopf haben wir sie mit Sicherheit eher gesungen, nach welcher Melodie auch immer. Weihnachten erschallt das „Ehre sei Gott in der Höhe“, Gloria in excelsis Deo!

– sei es vom Oratorienchor aufgeführt wie in der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach, der hier für das Gloria auf eine zuvor komponierte Weihnachtskantate zurückgriff (BWV 191). Oder schlichter, hinreißend mitreißend, populär, wie im Refrain des Weihnachtsliedes „Hört der Engel helle Lieder“ (EG 54). Es entstand im 18. Jahrhundert in Frankreich und wurde inzwischen in viele Sprachen übersetzt. Immer, wenn ich es höre, habe ich sogleich ein kleines Mädchen vor Augen, das ich einmal in einem Weihnachtsgottesdienst singen sah. Es sang begeistert, ja es schmetterte aus voller Kehle: „Gloria! In excelsis Deo!“

Warum dieser Jubel? Die Antwort ist einfach. Sie lautet: Jesus kam zur, er kam in die Welt. Paulus sagt es so: Als es an der Zeit war, als die Zeit reif war, wörtlich: „als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau“ (Gal. 4,4). Von einer Frau geboren, ganz so wie jeder andere Mensch auch. Und doch, Gottes Sohn. (Im Glaubensbekenntnis nennen wir ihn „Gottes eingeborenen Sohn“. In ihm eine Art Halbgott, ein Idol, zu sehen, käme wohl niemandem in den Sinn.)

Gott erwählte Maria, ein unbedeutendes Mädchen aus dem belanglosen Nazareth in Galiläa, in der jüdischen Provinz. Sie legt ihren neugeborenen Sohn in eine Futterkrippe in einem Stall bei Bethlehem, einem damals kleinen Ort in Palästina. Gut 30 Jahre später stirbt dieser Sohn dann in Jerusalem am Kreuz, geschunden, kommentiert mit den Worten „Sieh da, der Mensch!“, Ecce homo (Joh. 19,5). Aber er, dieser Mensch, ist Gottes Sohn, „Gottes Held“, wie wir mit Paul Gerhardt bis heute singen: „Gottes Held, der die Welt / reißt aus allem Jammer. / Gott wird Mensch / dir, Mensch, zugute…“ (EG 36, 2) – das ist Weihnachten.

Die gelehrten Theologen der Alten Kirche haben lange darum gerungen, das Wesen dieses Gottessohnes zu erfassen und immer neue Bekenntnisformeln kreiert. Sie wirken kirchenpolitisch und kirchentrennend bis in unsere Zeit hinein, von Interesse für Historiker und Spezialisten. Im Übrigen scheinen sie vor allem zu belegen, dass Paulus es mit gutem Grund bei der Feststellung belässt: „Gott sandte seinen Sohn.“ Es geschah damals und dort, „als die Zeit erfüllt war“, so, wie Gott es für richtig befand. Ort, Zeit und Umstände der Geburt Christi bleiben uns ein Rätsel. Welcher Mensch hätte dies alles für naheliegend gehalten und es Gott empfohlen? Wer wäre denn auch sein Ratgeber gewesen!?

Eine Aussage machen können wir allerdings. Denn das Warum von Gottes Handeln können wir uns erklären. Wir erkennen in ihm Gottes Liebe. Gott handelte aus Liebe zu uns. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf das alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden (oder: verloren gehen), sondern das ewige Leben haben.“ So lesen wir es im Johannesevangelium (Joh. 3,16).

Was Liebe ist, wissen wir recht gut. Unsere Eltern haben sich geliebt, sonst wären wir nicht geboren. Sprachlich etwas holprig erklärt die Wikipedia, Liebe sei „eine Bezeichnung für stärkste Zuneigung und Wertschätzung“. Liebe ist Zugewandt-sein und Zuwendung ohne Kalkül, möchte ich konkretisieren. Liebe hat keinen sich wirtschaftlich oder in sonst irgendeiner Weise als nützlich erweisenden Hintergrund. Liebe ist frei, ungebunden, aber verbindlich. Liebe ist schön. Liebe ist Bindung und Freiheit. Das gilt unter den Menschen. Nicht anders ist es auch bei Gott.

Wir haben heute wie an jedem Heiligen Abend von seiner vor 2000 Jahren in die Welt gekommenen Liebesgeschichte gehört; wir hören sie immer wieder gern. Wir hören auf sie, besonders jetzt, in unseren oft als bedrückend erlebten Tagen. Wir hören sie ohne Furcht vor der Welt. „Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“ (1 Joh. 4,18).

Um mit den Engeln auf dem Feld vor Bethlehem das Lob Gottes anzustimmen, sind wir an diesem Abend in die Kirche gekommen. Gloria in excelsis Deo! Wir singen zum Schluss, wie es bei uns Brauch geworden ist, noch einmal das Lied Nr. 44:

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!“

Amen


Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen