
Lukas 6,36-42
4.Sonntag nach Trinitatis | 13.07.25 | Lukas 6,36-42 (dänische Perikopenordnung) | Von Poul Joachim Stender |
Der Balken und die Splitter im Auge
Es ist schön, dass die Leute Sport treiben, wenn es ihnen gefällt, auch wenn ich meine, dass viele dabei leidend aussehen. In meinen Augen ist da mehr Stil bei Kirchgängern als bei Motionsläufern. Man sagt, dass man in die Kirche geht und nicht in die Kirche läuft. Allein das ist beruhigend. Und dann haben Kirchgänger ein ganz anderes Ziel mit dem Kirchgang als die Motionsläufer mit ihren Läufen. Die Motionsläufer laufen, um drei bis vier Jahre länger zu leben. Die Kirchgänger streben nach dem ewigen Leben. Viele laufen auch um abzunehmen. Die Kirchgänger wollen auch gerne abnehmen, aber sie wollen ihr übergewichtiges Ego loswerden. Sie wollen kleiner werden, damit Gott und ihre Mitmenschen mehr füllen. Sie nehmen das Wort ernst, das Johannes der Täufer einmal gesagt hat: „Er – also Jesus – muss zunehmen und ich muss abnehmen“. Schön wenn es mehr Kirchgänger gäbe als Motionsläufer!
Ich besitze ein Sommerhaus am Deich auf der dänischen Insel Falster, wo es viele Motionsläufer gibt. Der Deich wurde zwischen 1873 und 1875 gebaut, um vor Sturmfluten zu schützen. Man hatte bittere Erfahrungen gemacht bei der Sturmflut am 14.November 1872. Viel Wasser wurde in die Ostsee gedrückt, und die Sturmflut verursachte viel Tod und Zerstörung. Aber es gibt andere Arten von Deichen als die Deiche gegen Sturmfluten. Zum Beispiel ist die christliche Kirche ein Deich. Ein Schutz vor dem Bösen, vor der Sinnlosigkeit, vor der Gleichgültigkeit, vor Leere und vor einer Ethik ohne Wurzeln im Christentum. In unserer Gesellschaft wird viel zu viel über Gesundheit geredet und darüber, dass man seinen Körper pflegen, die Umwelt verbessern und die Natur bewahren soll. Natürlich sollen wir das. Aber wir sollen uns auch auf unser geistliches Leben konzentrieren und de destruktiv en Kräfte, die uns zu überschwemmen drohen wie eine Sturmflut.
Im Matthäusevangelium findet man ein Gleichnis von einem Mann, der sein Haus auf losen Sand baut, und einem anderen Mann, der sein Haus auf einem Felsen baut. Und da steht: „Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet … Das Haus, das auf Sand gebaut war, hielt der Flut nicht stand.“
Der Krieg in der Ukraine wird immer brutaler. Die jungen Menschen werden immer abhängiger vom Handy und künstlicher Intelligenz. Immer mehr Leute in Dänemark sind ausgebrannt. Um uns herrschen Krankheit und Tod. Wir erleben Wolkenbrüche, die Flüsse steigen und Stürme rasen. Wir müssen deshalb feststehen und daran glauben, dass Jesus Christus mit uns ist als unser geistlicher Deich. Die Gesundheit kann uns nicht retten. Wie können nicht, wie uns das viele Motionsläufer einbilden, vom Untergang weglaufen. Der Glaube an den Sohn Gottes ist unsere Erlösung.
An diesem Sommer-Sonntag haben wir einen schönen Text, der vom Richten anderer handelt. Gott richtet uns, wenn es an der Zeit ist. Und weil der Herrgott diese unangenehme Aufgabe übernimmt, brauchen wir nicht so eifrig zu sein, einander zu verurteilen. Aber wenn das gesagt ist, sind wir dennoch genötigt, einander zu rich ten. Das tun wir in unseren Gerichten. Aber auch wir müssen Urteile fällen, wenn die Freiheit der Volkskirche, der christliche Glaube und unsere Demokratie bedroht sind. Dann müssen wir den Splitter im Auge unseres Bruders sehen, wohl wissend, dass wir einen Balken im eigenen Auge haben, und das Urteil fällen, dass wir nicht alles akzeptieren können. Man sich auch dafür entscheiden, den Splitter im Auge des Bruders oder des Staates oder der weltanschaulichen Lage zu übersehen. Aber ist dies gute christliche Ethik? Was, wenn der Splitter darin besteht, dass die Frauen in Afghanistan unterdrückt werden und die Unterstützung von Frauen aus christlichen Ländern brauchen, um für ihre Rechte zu kämpfen? Oder was, wenn der Splitter im Auge des Staates in der Gleichgültigkeit in Bezug auf unser christliches Erbe besteht? Es ist eine Tatsache, dass wir Menschen nicht fehlerfrei sind. Es ist auch eine Tatsache, dass wir den Fehler vor allem bei einander sehen können. Aber wenn man Menschen gerne hat, ist man auch genötigt, ihre Fehler zu sehen. Fehler soll man nicht übersehen, man soll sie berichtigen.
Früher war das das Gesetz des Moses im Alten Testament. Die Gebote waren einfach. Man war Mörder, wenn man jemanden tötete, ein Dieb, wenn man gestohlen hatte, ein Hurensohn, wenn man dem Ehepartner untreu war. Aber Jesus Christus verschärft das Gesetz des Moses. Er wird so radikal, dass wir das Gefühl haben, dass für ihn in der Volkkirche kein Platz ist. Man ist nicht nur Mörder, wenn man jemanden umgebracht hat. Man ist schon Mörder, allein weil man daran gedacht hat zu töten oder jemanden einen Idioten genannt hat. Man ist nicht nur seiner Liebsten untreu, wenn man ein Verhältnis zu einer anderen Frau oder einem anderen Mann eingegangen ist, es genügt schon, dass man einen lüsternen Blick auf jemand anderes geworfen hat. Wir sind alle gleich gut. Aber auch gleich schlecht. Es gibt unter uns niemanden, der nicht in Gedanken getötet hat oder nicht mit lüsternem Blick auf andere gesehen hat als den Ehepartner. Da sitzt ein Balken in unserem Auge. Aber gottseidank gibt es im Christentum eine Lehre von der Erbsünde. Es ist schwer zu verstehen, dass die Sünden der Väter in den Kindern wiederkehren. In Wirklichkeit aber ist diese Lehre für uns eine Befreiung. Sie macht es möglich, mit der Tatsache zu leben, dass man mit einem Balken im Auge herumläuft. Das Böse, das ich tue, tue ich, weil ich ein Mensch bin. Wir sind im Grunde nicht gut genug. Deshalb müssen wir unsere schlechten Neigungen bekämpfen, indem wir Jesus Christus annehmen und nach dem Vollkommenen streben. Aber auch wenn man einen Balken im Auge hat, ist man weiterhin in seinem guten Recht, den Splitter in den Augen seiner Mitmenschen zu sehen, wenn dieser Splitter eine Bedrohung ist für unsere Freiheit, unsere Demokratie, unser Recht, an Jesus Christus als dem Erlöser der ganzen Menschheit zu glauben.
Gott befohlen. Amen.
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Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
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