
Lukas 7,13-14
Ein großer Sprung ist das, seit wir das letzte Mal von dem priesterlichen
Vater von Johannes dem Täufer gehört haben. Das war vor neun
Monaten, und da war er stumm. Jetzt aber strömen die Worte nur so
aus ihm.
Damals im März – als Zacharias hörte, daß der sehnlichste
Wunsch seiner Frau Elisabeth, ein Kind zu bekommen, in Erfüllung
gegangen war, wagte er nicht, daran zu glauben. So lange hatten sie geträumt
und so oft gehofft, daß Elisabeth schwanger sei, und immer waren
sie enttäuscht worden. Das hatte Zacharias skeptisch gemacht und
er hörte auf zu hoffen – und deshalb erstarrt Zacharias völlig,
als es schließlich doch Wirklichkeit wird.
Nun kann man ja sagen, daß er ja auch darüber neun Monate
lang gebrütet hat – und nun bei der Geburt des Jungen zerbricht
sein Schweigen.
Er selbst wird befreit und kommt aus seiner Eingeschlossenheit, in die
ihn sein Mißmut und seine Freudlosigkeit gebracht hat. Er fühlt
wirklich, daß sein fehlender Glaube ihm vergeben ist, und er hat
sich selbst mit seinem Dasein versöhnt.
Und in prophetischer Weise überträgt Zacharias seine persönliche
Erfahrung auf das ganze Volk. Die Befreiung, die er selbst erlebt hat,
sollen die Völker der Erde erleben. An der Freude, die ihn nun erfüllt,
sollen alle Menschen teilhaben. Es gibt Vergebung in der Welt, so daß ein
Mensch nicht mehr in altem Mißmut und alter Verschlossenheit hängenbleiben
muß, und das soll alle Welt wissen.
So wie er gemerkt hat, daß in ihm etwas Neues unterwegs ist, ist
auch etwas Neues in der Welt im Kommen: „Der Aufgang aus der Höhe
wird uns besuchen, auf daß er erscheine denen, die da sitzen in
Finsternis und Schatten des Todes“. Und Zacharias sieht, wie sein
Junge an dieser neuen Bewegung teilhat; er soll mit dazu beitragen und
dazu helfen, daß Gott und das Reich Gottes in der Welt mehr wirklich
werden: Das Licht soll sich ausbreiten, mehr Menschen sollen den Weg
des Friedens gehen.
„Und das Kindlein wuchs und ward stark im Geist. Und er war in
der Wüste, bis daß er sollte hervortreten vor das Volk Israel“.
Von Zacharias aber hören wir nichts mehr. Man muß fast hoffen,
daß er die Entwicklung und das Schicksal seines Sohnes nicht mehr
erlebt hat.
Denn Johannes wurde ein Extremist, der der Welt nur Verachtung entgegenbringen
konnte. Mir ist es immer so vorgekommen, daß Johannes in seinem
Sinnen und Denken durch die Wüste geprägt und bestimmt war.
Sein Denken ist hart und steril. Als könne er nur die Finsternis
und den Tod und die Schatten in der Welt sehen. Die Welt ist in der Sicht
des Johannes faul, und deshalb ist es nur gut, daß sie zugrunde
geht, damit eine neue und bessere Welt kommen kann.
Zacharias hatte an seinem eigenen Leibe erlebt, wie das ist, keine Erwartungen
an das Dasein zu haben, und was für eine Befreiung das ist, wieder
hoffen und glauben zu können. Deshalb kann sich Zacharias für
das Dasein öffnen. Er ist mit seiner eigenen Unvollkommenheit versöhnt
und kann deshalb mit der Unvollkommenheit anderer leben – sein Sohn aber
wurde zu einem Fanatiker.
Vor zwei Jahren sah ich auf einem Lehrgang über den Islam einen
englischen Film, der in seiner Weise die Geschichte von Johannes und
Zacharias nachdichtet. Der Film heißt: „My son, the fanatic“, „Mein
Sohn, der Fanatiker“. In dem Film begegnen wir einem gutwilligen
Muslim, der versucht, das Dasein für seine Frau und seine Kinder
so gut wie möglich zu machen, auch für die Menschen, denen
er begegnet. Er ist Taxifahrer und lernt die englische Gesellschaft sozusagen
von ihrer Vorderseite und ihrer Kehrseite kennen, aber er ist imstande,
den einzelnen Menschen hinter religiösen und sozialen Fassaden zu
erkennen. Er ist nicht blind für seine eigenen Fehler und hat deshalb
Verständnis für andere.
Er engagiert sich für seinen Sohn, daß der eine gute Ausbildung
erhält und am liebsten auch ein englisches Mädchen bekommt.
Selbst geht er treu zum Freitagsgebet, paßt aber sonst seine muslimischen
Regeln der englischen Gesellschaft an. Der Sohn aber distanziert sich
von dieser Gesellschaft, die er für verdorben und gottlos hält
– und wird zu einem Fanatiker, der versucht, sowohl sein Familienleben
als auch die Gesellschaft in feste Formen zu pressen. Er verdammt den
Vater und dessen versöhnliche Haltung.
Der Vater bewahrt in dem Film seine Menschlichkeit, aus meiner Sicht ähnelt
er Zacharias – so wie der fanatische Sohn Johannes dem Täufer ähnelt.
Die Stärke des Johannes liegt daran, daß er den Mut hat,
konkrete Unmoral, Doppelmoral und Gottlosigkeit im Allgemeinen zu
kritisieren.
Seine Schwäche ist, daß er nicht vergeben kann und daß er
meint, man müsse die Fäulnis radikal ausrotten, ehe etwas Neues
werden kann.
Er verwies auf den Weg des Friedens, er ging ihn aber selbst nicht.
Er verwies auf das Licht, blieb aber selbst im Dunkel. Er predigte die
Barmherzigkeit Gottes, konnte aber selber nicht barmherzig sein.
Nun ist das nicht ganz richtig, was ich sage. Denn Johannes kamen selbst
Zweifel – über sein Projekt, ob er Recht hatte.
Wenn er länger gelebt hätte, wären seine Predigten vielleicht
weniger verurteilend gewesen. Vielleicht hätte er sehen können,
daß das entscheidend Neue, für das er gerne den Weg bereiten
wollte, eben eine Vergebung enthält, daß man sich aus dem
Dunkel herauswagt – hinein in das Licht, in dem unsere Schwächen
zwar an den Tag kommen, wo wir aber deshalb nicht verworfen werden.
Denn das Licht, das auf uns leuchtet, ist ein gnädiges Licht.
In diesem Licht ist Segen, so daß wir darin leben können.
In diesem Licht ist Gnade, und deshalb können wir die sein, die
wir sind – in diesem Licht.
In diesem Licht ist Friede, daß wir glauben und hoffen können,
daß die Finsternis zwar nicht abgeschafft und verschwunden
ist, aber das Licht dennoch stärker ist. Amen.
Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
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