
Markus 16,1–8
Ostersonntag | 20. April 2025 | Markus 16,1–8 | Ulrich Nembach |
Der Herr ist auferstanden –
Er ist wahrhaftig auferstanden
Liebe Gemeinde,
wir feiern Ostern. Ein schönes Fest, ein freudiges Fest! Der Grund unserer Feier ist wahrhaftig ein freudiger. Wir feiern die Auferweckung Jesu von den Toten. Das Leben triumphiert. Das ist unvorstellbar; wir feiern etwas Unerhörtes. Der Herr ist auferstanden! Der Tod hat nicht länger das letzte Wort – Zeitenwende, die Wende aller Wenden.
Mit dem Tod werden wir Menschen nicht fertig. Er bleibt eine Zumutung für uns, und mögen wir auch noch so gelassen feststellen, er gehöre eben zum Leben dazu. Der Tod fordert uns heraus. Das ist so, solange es Menschen gibt. Wir denken, schreiben, reden und singen gegen den Tod an, heute wie vor Jahrhunderten, wie vor Jahrtausenden. Unsere Todesanzeigen legen ein beredtes Zeugnis davon ab.
In Gedichten und Prosa umkreisen wir den Tod und beklagen unsere Machtlosigkeit – eindrucksvoll wie in dem spätmittelalterlichen Streitgespräch, das ein böhmischer Bauer, der „Ackermann aus Böhmen“, mit dem als Person auftretenden Tod führt (um 1400, verfasst von Johannes von Saaz alias Johannes von Tepl). Tief berührt uns bis heute noch der griechische Mythos von Orpheus und Eurydike.
Er stammt ursprünglich aus dem 5. Jahrhundert [v. Chr.]. Seither ist er oft nacherzählt worden, zunächst auf Latein von Vergil und Ovid, dann in vielen anderen Sprachen. Der Stoff wurde mehr als einmal zur Vorlage für ein Opernlibretto. Es gibt zahlreiche Filme. Die Figur des Orpheus, dessen geliebte Frau jäh durch einen Schlangenbiss stirbt, geht uns zu Herzen.
Orpheus kann und will sich mit Eurydikes Tod nicht abfinden, er ist verzweifelt. Ohne seine Frau mag er nicht leben. Darum zögert er nicht, ihr in die Unterwelt, das Reich des Todes, zu folgen. Das ist bekanntlich nicht möglich. Die Toten leben in einer Welt, zu der nur Verstorbene Zutritt haben. Kein Lebender darf hinein. Kein Toter darf sie verlassen. Das Tor zu dieser Welt ist streng bewacht.
Davon aber lässt Orpheus sich nicht abschrecken. Er dringt bis an die Pforte der Unterwelt vor. Den Grauen erregenden Höllenhund besänftigt er mit seinem Gesang. Von Orpheus heißt es, sein Spiel der Lyra und sein Singen hätten bewirkt, dass die Bäume sich vor ihm verneigten, die wilden Tiere sich zahm vor ihm niederlegten und selbst die Felsen zu Tränen gerührt waren.
Und so können am Ende auch die Herrscher der Unterwelt der Schönheit dieses Gesangs nicht widerstehen. Ergriffen und bezaubert geben sie dem Flehen von Orpheus nach, ihm seine Frau zurückzugeben. Sie erlauben, dass sie ihm in die Welt der Lebenden nachfolgt, allerdings unter einer Bedingung: Er, der vorangeht, darf sich nicht nach ihr umdrehen.
Beglückt machen die beiden sich auf den Weg. Folgt sie ihm tatsächlich? Nichts spricht dafür. Er hört sie nicht atmen, er hört ihre Schritte nicht. Er braucht Gewissheit. Nur einen kurzen Blick will er riskieren. Er wendet den Kopf – und hat sie für immer verloren. Eurydike weicht in das Totenreich zurück. Es gibt keine Rückkehr ins Leben. Der Tod ist etwas Unabänderliches.
Wir hören das Evangelium des Ostersonntags, Markus 16,1–8:
Als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. 5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. 8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.
Es war noch früh an diesem Morgen, dem ersten Tag der Woche. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Den Frauen, von denen Markus erzählt, ist klar, was jetzt für sie an der Reihe ist. Sie sind auf dem Weg zu Jesu Grab, um ihm, wie es sich gehört, die letzte Ehre zu erweisen. Gerade zwei Tage ist es her, dass er am Kreuz verstarb und vor den Toren Jerusalems in ein Felsengrab gelegt worden ist.
Zu dritt haben die Frauen sich auf den Weg gemacht. An den großen Stein, der das Grab verschließt, haben sie in ihrer Trauer gar nicht gedacht. Ob ihnen vielleicht jemand zu Hilfe kommt, der den Stein beiseite wälzen kann? Sie gehen weiter.
Schließlich sind sie am Ziel und stutzen. Der Stein liegt nicht an seinem Platz. Er ist bereits beiseite gerollt, sie können ungehindert eintreten. Also gehen sie in das Grab hinein. Den Toten allerdings finden sie nicht. Bestürzt schauen sie sich um: Der Leichnam ist nicht da. Da sehen sie auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen. Er trägt ein langes weißes Gewand; so tun es die Boten Gottes. Die Frauen erstarren.
Der junge Mann seinerseits redet sie freundlich an: „Der Gekreuzigte ist auferstanden, er ist nicht hier.“ – Er ist auferstanden? Auferstanden? – Die Frauen sind verstört. Sie sind nicht etwa getröstet, erleichtert oder gar begeistert, sie sind entsetzt. Auf dem Absatz machen sie kehrt und suchen das Weite, schweigend, voller Furcht. Die Worte des Engels besagen schließlich nichts anderes, als dass der, dessen Sterben sie erlebten, lebt.
Er setzt nicht einfach sein Leben fort, als ob der Tod ungeschehen gemacht werden könnte, wie es sich so mancher und manche Hinterbliebene, Orpheus gleich, erträumt. Die Rede von der Auferstehung verkündet den Anbruch der Ewigkeit Gottes in unserer Welt oder, anders gesagt, das Ende der Welt, wie wir sie kennen.
Die drei Frauen erfassen das ohne jede weitere Erklärung. Sie erwarten, wie es ihren Glaubensvorstellungen entspricht, den Jüngsten Tag am Ende der Zeiten. An ihm sollen die Toten auferweckt werden zum Jüngsten Gericht (vgl. Dan. 12,2; Joh. 5,29; 6,40; 11,24). Die Worte des Engels deuten demnach unausgesprochen an, dieser sei nun gekommen, da Jesus, auferstanden, nicht mehr bei den Toten ist. – Wie soll, wie kann man darüber selbstgewiss wie selbstverständlich reden? – Die Frauen sagten niemand etwas.
Inzwischen feiern Christinnen und Christen auf der ganzen Welt jedes Jahr aufs Neue Ostern. Der Gegenwart des Auferstandenen gewärtig (vgl. Matth. 18,20; 28,20), feiern sie an einem jeden Sonntag Gottesdienst. Was die Auferstehung Jesu anbelangt, herrscht die anfängliche Sprachlosigkeit bei weitem nicht mehr. Recht bald schon hat die Freude über die Auferstehung das Zittern, das Entsetzen und alle Furcht vertrieben. Und doch tun wir uns mit der Auferstehung schwer. Nur selten gelingt es uns, die richtigen Worte zu finden.
Strittig ist die 2000 Jahre alte Auferstehungsbotschaft von jeher. Sie trifft auf Skepsis, offen wie insgeheim. Aktuell spielt das vielleicht gar nicht einmal eine so große Rolle. Gleichgültigkeit hat sich verbreitet und weitet sich aus. Was Jesu Auferstehung angeht, ist nichts bewiesen. Die vielfachen Bemühungen zu klären und wegzuerklären haben niemand überzeugt, und die Erfahrungsberichte des Neuen Testaments rufen allenfalls ein Schulterzucken hervor. Der Auferstehungsglaube, für viele ein „Narrativ“ unter anderen, behauptet nicht länger seinen Anspruch auf Verbindlichkeit.
Von ihm gehört haben hier zulande gewiss noch die meisten. Ostern steht in den Kalendern. In Stadt und Land rufen die Kirchenglocken zum Gottesdienst. Aber die wenigsten nur folgen ihrem Schall; von Jahr zu Jahr werden es weniger. Auf der anderen Seite ist es der Glaube selbst, der ihre bunt zusammengewürfelte Gemeinschaft – uns – nicht loslässt, an jedem neuen Tag, im Leben und im Sterben.
Wir haben einander an diesem Ostermorgen mit dem alten Gruß der Kirche begrüßt:
Der Herr ist auferstanden – Er ist wahrhaftig auferstanden!
Dazu stimmen wir unsere schönen alten (und neuen) Osterlieder an. Ihre Melodien ziehen uns in die Osterfreude hinein. Ihre froh, ja fröhlich stimmenden Texte wenden sich an Herz und Verstand.
Gleich im Anschluss singen wir das Lied EG 116, 1 – 5, „Er ist erstanden, Halleluja!“
[alternativ: EG 100, 1 – 5, „Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit …“]
Amen
Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen