Markus 4,1-20

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Sexagesimae | 11. Februar 2007 | Markus 4,1-20 | Bent Arendt |

Eigentlich könnten wir uns heute eine Predigt sparen. Denn Jesu Gleichnis vom Sämann ist ja bereits im Text, den wir gehört haben, ausgelegt: ”Versteht ihr dieses Gleichnis? Der Sämann sät das Wort. Denjenigen, für die das Wort gesät wird, ergeht es so und so,” wie Jesus erklärte.

Es ist ganz ungewöhnlich in der Geschichte von Jesus, fast die einzige Stelle, an der eine solche Erklärung des Gleichnisses Jesu folgt. Warum tut er das? Es spaltet ja die Aufmerksamkeit zwischen zwei Botschaften: einem Gleichnis über einen Bauern, der überall sät – und auf der anderen Seite einer Erklärung, wie Menschen den Boden für die Saat bilden.

Ich möchte wetten, dass 90 Prozent der Menschen hier in der Kirche sich vor allem auf den letzten Teil des Gleichnisses mit der Erklärung konzentriert haben. Denn Erklärungen verlangen wir. Mit der Hilfe von Erklärungen verstehen wir die Welt und machen sie uns zu eigen, so dass wir uns nicht bloß mitreißen lassen wie kleine Kinder, sondern dass wir uns verhalten können zu dem, was wir hören und sehen, und zu dem, was mit uns geschieht.

Alle Erziehung und alle Ausbildung dient ja dem Zweck, Erfahrungen zu vermitteln, durch die wir mit der Welt umgehen können. In unseren Erklärungen steckt immer auch etwas von uns selbst – etwas von unseren Einstellungen und der Art und Weise, wie wir nun einmal das Leben gern handhaben möchten. Und vielleicht liefert Jesus deshalb eine solche Erklärung: um uns die Möglichkeit zu geben, dass wir selbst in der Botschaft irgendwie mit enthalten sind.

Zuerst erhalten wir die Botschaft: Das Gleichnis vom Sämann, der wild um sich säte. Und dann bekommen wir die Erklärung – genau wie wenn wir selbst die Dinge erklären wollten: ”Wo steckst du selbst in dieser Sache? Was willst du tun?” Das ist das Unverschämte oder Beunruhigende an der Verkündigung Jesu, dass wir sie nicht bloß hören können als etwas, was ”damals” oder ”den anderen” geschah, sondern dass wir selbst in die Geschichte mit einbezogen sind, indem wir sie hören und eine Erklärung erhalten. Es geht nicht um irgendeine fremde, unwirkliche Weltordnung, die wir übernehmen können oder auch nicht, sondern es geht immer um etwas Persönliches, um eine Geschichte, in der wir mit dabei sind: ”Wie siehsts du selbst das Leben? und wie erklärst du es?”

Hier stehen wir vor einem Gott, der sich offenbar selbst hemmnungslos verausgabt, überall, wo wir sind, und sich zu einem Teil des Lebens macht, das wir haben – gleichwie die Saatkörner, die im Frühjahr oder Herbst ausgestreut werden und zu einem Teil im Gang des Lebens werden.

Wir bekommen etwas in der Begegnung mit Gott. Unser Leben ist nicht bloß eine Ewigkeitsmaschine, die im Leerlauf läuft und läuft und das eine Leben nach dem anderen durchläuft, sondern eine Wirklichkeit, in der Gott etwas von uns will, wenn er das Korn so wild um sich wirft.

In dem Augenblick, wo wir sagen: ”Gott”, sind wir zusammen mit Ihm, der etwas will, in dem, was das Unsrige ist, und zwar ungeachtet, ob wir Frucht bringen oder brachliegen. Gott ist derjenige, der uns etwas will, auch wenn wir brachliegen und keine Frucht in unserem Leben bringen. Damit wir ihn erkennen können, aus unserem Leben, wie es jetzt ist.

Zu sagen: ”Ich weiß nicht, was Gott mir will!” – oder: ”Ich weiß nicht, was ich mit Gott anfangen soll” – ist dasselbe wie: ”Ich weiß nicht, wozu ich lebe.” Das ist ehrlich gesagt: vor allem die Menschen, die nicht wissen, was sie wollen, sind es, die Gott will – damit wir etwas wollen, so wie wir ihm in Jesu Leben begegnen.

Wir werden uns immer von selbst über all das ärgern können, was zu nichts wird. Aber weil Gott etwas mit uns will, egal ob wir Ihn annehmen oder nicht, genau deshalb können wir uns allzeit an das halten, was Frucht bringt. Auf diese Weise müssen wir eigentlich Gott voraussetzen, obgleich wir uns nach Belieben einbilden mögen, dass nur wir selbst es sind. Denn wenn es an uns selbst liegt, wo die Erklärungen und unsere eigene Handlungsweise herrschen, ja, dann werden drei Viertel unseres Lebens oder noch mehr verloren sein oder spurlos an uns vorrübergehen.

Aber das ist in Ordnung: Es sind ja gerade die Menschen, die mit ihrem Eigenen zu viel Raum einnehmen – was Sünde genannt wird, sie sind es, die Gott will, denen er die Möglichkeit geben will, die Sünde zu vergeben, die Vergebung der Sünden, um nach dem die Hand ausstrecken zu können, was er uns reicht. Die Liebe kann nur zu Wirklichkeit werden, wenn wir sie annehmen und von einem anderen Ort kommen lassen als von uns selbst. Wir können die Liebe Frucht bringen lassen, wenn wir das Leben ordentlich zusammenfügen, die Erde düngen mit uns selbst und so leben, dass wir mit allem, was wir erklären und handhaben wollen und können, um der Liebe willen leben und nicht umgekehrt. Wie Eltern oder Erwachsene, die nicht anders können als sich des kleinen Kindes annehmen, das ins Leben gekommen ist, um uns so viel zu geben, indem der Erwachsene mit sich selbst erst an zweiter Stelle kommen kann.

Die Barmherzigkeit ist nicht unser eigenes Produkt, etwas, was ich selbst leiste und du empfängst, sondern eine Wirklichkeit, die für uns entsteht und die uns das Leben teilen lässt ohne Unterscheidung zwischen dein und mein. Wir können der Barmherzigkeit Raum geben, wo ich nicht nur mich selbst, und mich selbst in deinem Spiegelbild, sehen will, sondern wo ich dich dort sehe, wo du bist, und du mich, wo wir uns begegnen, im gemeinsamen Leben. Wie an einem Tag, wo es gut für mich ist, dass ich mich deiner mit mehr annehmen kann, als du selbst kannst, ohne dass ich dafür Dank bekommen müsste.

Und die Freude, wie ist es möglich, dass sie uns unaufhörlich erfasst und sich ausbreitet und Wurzel schlägt, wenn nicht deshalb, weil sie offenbar unter uns verbreitet wird, auch wenn wir uns von selbst weit von ihr entfernt haben?

Den Menschen, der völlig in seiner eigenen Welt gefesselt ist, nennen wir deprimiert. Ebenso würde eine Menschheit ohne Gott unter einer großen, das Leben zerstörenden Depression leiden. Aber wir können uns von der Freude übermannen lassen, wenn wir das Leben annehmen, wie es zu uns kommt, im Vertrauen darauf, dass es jemanden gibt, der uns etwas will, was sehr wohl anders sein kann als das, was wir selbst wollen – und dass es gut ist, dass es so ist. So wie ein schlaftrunkener, finsterer und verdrießlicher Morgen, an dem die Sonne aufgeht und uns mit ihrer Flut von Licht überwältigt.

So kennen wir Gott als den, der für uns ein Leben will, das wir nicht erklären und verstehen können, das wir nur empfangen können, in dem Leben, das wir zu erklären und zu verstehen und zu handhaben versuchen und mit dem wir etwas wollen. Wie das Gleichnis vom Sämann mit seiner Erklärung zusammenhängt. Wenn Gott uns nicht genau so wollte, dann würden wir zugrunde gehen aus Verdruss über all den Schwund, der schon drei Viertel unseres Lebens bestimmt. Aber weil Gott so reichlich für uns will, dass die Frucht allen Schwund weit übersteigt, dürfen wir handeln wie Er: dürfen wir es dreingeben in der Vergebung, all das, was Gott uns obendrein gibt – 30, 60, ja, 100fach, wovon ein Bauer ja selbst heute nicht einmal zu träumen wagt. Das gibt uns eine gewisses Vertrauen, das Leben anzupacken.

Amen

Pastor Bent Arendt
Larsen-Ledets Gade 1
DK-8000 Århus C
Tel.: ++ 45 – 86 12 21 36
e-mail: brar@os.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier