Matthäus 11,16-24

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Vom Recht der Freude und dem Recht der Trauer | 10. Sonntag nach Trinitatis | Mt 11,16-24 (dänische Perikopenordnung) | Poul Joachim Stender |

Ich habe eine Woche zugebracht mit meinen drei Enkelkindern und ihren Eltern. Das sind ganz phantastische Kinder. Ich liebe das phantasievolle Universum, in dem sie leben. Jeder Tag scheint für sie frisch zu sein und neugeschaffen. Aber ich muss gestehen, dass sowohl die Eltern als auch ich selber sie behandeln wie Könige und Königinnen. Wenn das dreijährige Mädchen eine schusselige Zeichnung gemacht hat, wird es hoch gelobt, auch wenn alle denken, dass es sich mehr Mühe gemacht haben könnte. Wenn das jüngste Kind auf dem Topf war, hüpfen die Eltern vor Begeisterung, als wäre ein Wunder geschehen. Die Kinder haben heute die Macht. Jesus hat gesagt: Lasst die Kinder zu mir kommen. Er sagt nicht: Lasst die Kinder die Macht bekommen. Alles dreht sich um sie, und immer wieder werden sie gefragt: Wozu habt ihr Lust? Und so bleibt es vermutlich, bis sie von zuhause ausziehen. Man hat die Konfirmationspredigten von vor Jahren mit denen von heute verglichen. Früher predigten die Pastoren von den vielen kommenden Pflichten der Konfirmanden und ihrer Verantwortung als Christen und Bürger in der Gesellschaft. Heute geht es in den Predigten darum, dass die Konfirmanden einzigartig sind und phantastisch und dass sie nur an sich selbst und ihre vielen Fähigkeiten und Talente glauben müssen. Aber ich habe mir gedacht, dass ich am nächsten Sonntag, wo ich die neuen Konfirmanden begrüßen werde, auf ihre Pflichten verweise. In der Konfirmation geht es nicht nur darum, dass Jesus Christus noch einmal ja sagt zu ihnen wie bei der Taufe. Die Konfirmation handelt auch von dem Ja, das die Konfirmanden dazu sagen, dass sie im christlichen Glauben konfirmiert werden. Ein Christ, auch ein Teenager-Christ, hat in hohem Maße Pflichten und Verantwortung. Und da die Meinungsfreiheit zurzeit in vieler Hinsicht bedroht ist, werde ich nächsten Sonntag, bei der Begrüßung der Konfirmanden, an die Pflicht der kommenden Konfirmanden appellieren, für die Meinungsfreiheit zu kämpfen.

Im heutigen Evangelium steht: „Wir haben euch aufgespielt und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen und ihr habt nicht geweint“. Diese Worte sollten Alten wie Jungen zu Herzen gehen. Warum tanzen wir nicht mehr in Begeisterung für die Meinungsfreiheit und das Recht, an Jesus Christus als unserem Erlöser zu glauben? Warum klagen wir nicht mehr, wenn die Meinungsfreiheit verletzt wird, wie dies geschah, als der Schriftsteller Salman Rushdie 2022 überfallen wurde, weil er einige ironische Worte über den Islam geschrieben hatte? Als ich vor Jahren einen im Radio übertragenen Gottesdienst hielt, hatte ich in meiner Predigt festgestellt, dass Mohammed der erste Islamist war. Er führte den Islam in den arabischen Ländern ein mit Gewalt und Terror im Gegensatz zu Jesus, der nie Gewalt anwandte und daran appellierte, dass wir Gott und einander lieben sollten. Aber als ich auf der Kanzel stand, wagte ich nicht, das zu sagen, was in meinem Manuskript stand. Ich fürchtete die Gewalt, wenn irgendwelche radikalisierten Muslime hörten, was ich sagte. So weit ist es gekommen. Es beginnt damit, dass die Kinder in der Schule einige Dinge nicht zu sagen wagen, weil man wegen seiner Meinungen gemobbt werden kann. Das führt dann weiter dazu, dass man es als Erwachsener nicht wagt, sich frei zu äußern aus Furcht, politisch unkorrekt genannt zu werden, und das endet dann damit, dass da plötzlich viele Dinge sind, über die man nicht reden darf, weil man bedroht ist von Überfällen, Oppression, Verurteilung, im schlimmsten Fall Verletzung und Tod. Vor wenigen Jahren wurden 41 Kirchgänger in Ägypten während des Gottesdienstes lebendig verbrannt. Hunderte wurden verletzt. Der Brand war an der Tür entstanden. Die ägyptischen Behörden sprachen von elektrischen Kurzschlüssen. Aber tatsächlich werden Christen in vielen Ländern verfolgt. Unter anderem in Ägypten.

Nun könnte man einwenden, wenn man die Worte aus dem Evangelium dieses Sonntags beim Worte nimmt, dass Jesus auch ziemlich fanatisch klingt. „Wehe dir, Chorazin!“ ruft er, „wehe dir, Betsaida!“, „Wehe dir, Kapernaum“ – es wird euch schlimm ergehen am Tag des Gerichts. Ja, Jesus schilt uns. Aber er sagt nicht, dass er ein Heer zu den drei Städten schickt, um die Einwohner zu erschlagen, weil sie sich nicht zu seiner christlichen Botschaft bekehrt haben. Er überlässt Gott das Gericht. Es liegt im Wesen des Christentums, dass der Glaube an Jesus ganz freiwillig ist, so wie es freiwillig ist, sich konfirmieren zu lassen und seine Kinder taufen zu lassen. Es ist nicht verboten, gescholten zu werden, wenn da etwas ist, was man vergisst oder übersieht. Die Jungen erfahren viel Lob. Und das sollen sie auch haben. Aber es tut ihnen auch gut, gescholten zu werden, dass ihnen widersprochen wird, wenn sie zum Beispiel nicht vor Freude springen darüber, sich frei äußern zu können, und wenn sie nicht darüber trauern, dass Salman Rushdie verletzt wurde, weil er das schreibt, was er will. Die Jungen dürfen gerne gescholten werden, wenn sie es nicht beklagen, dass Christen lebend verbrannt werden, weil man in gewissen Ländern weder Atheist noch Christ sein darf. Dasselbe gilt für alle uns Erwachsene. Wir müssen die Meinungsfreiheit und die Glaubensfreiheit tief ernst nehmen. Sie sind angefochten. Lasst uns also tanzen vor Freude über das, an dem man sich gerade nun freuen kann, und trauern über das, was gerade zu betrauern ist. Wir haben im Christentum eine prächtige Religion, wo wir sehr wohl akzeptieren können, dass andere das verlachen, woran wir glauben. Wir rechnen damit, dass Jesus Sinn für Humor hatte, und als Gläubige tut es uns gut, nicht zu selbstherrlich zu sein. Lasst uns tanzen, weil Gott gnädig ist, das Christentum schön ist, Dänemark ein Land mit Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit. Und lasst uns trauern und klagen und protestieren gegen all das, was unsere Freiheit begrenzt, zu glauben, zu denken und zu sagen, was wir wollen.

Gott befohlen. Amen.

Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
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