Matthäus 15.21-28

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17. Sonntag nach Trinitatis | 22.09.2024 | Mt 15,21-28 | Cristina Scherer |

Liebe Gemeinde, Jesus war in einem fremden Land (Syro-Phönizien)[1], in der Region von Tyrus und Sidon, wo er eine Frau[2] traf. Im Evangelium[3] erscheint sie namenlos, aber mit einer Lebensgeschichte von großem Glauben und Mut.

Es gibt Schweigen, das uns herausfordert!

Siehe, eine kananäische Frau erscheint und bittet Jesus um Hilfe: „Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen.“ Sie folgt Jesus mit Mut und hat ein klares Ziel, bittet um die Heilung ihrer Tochter.

Es ist schwer, sich das Schweigen Jesu über den Appell der Frau vorzustellen. Sie ist eine Frau, die Hilfe braucht, und was sie bekommt, ist Stille. Vielleicht hat sich dieses Schweigen Jesu in dem Kontext bemerkbar gemacht, denn die kananäische Frau verehrte den Gott Baal.

Die Frau gibt sich mit der ersten Reaktion Jesu nicht zufrieden und verwandelt das Schweigen, das sie als Antwort erhalten hat: „Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Und seine Jünger traten herzu und baten ihn und sprachen: «Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her.»

Ja, es gibt Schweigen, das uns herausfordert, manche regen uns zum Nachdenken an, andere erfordern ein mutiges und konkretes Handeln.

Von der Stille zum Hören!

Die Beharrlichkeit der Frau führt dazu, dass der Dialog voranschreitet. Aber sie kam und sprach vor ihm und sagte: „Herr, hilf mir!“ Sie gib sich nicht zufrieden und suchte beharrlich nach Alternativen.

Jesus öffnet sich dem Dialog und der Lebensgeschichte dieser Frau und ihrer Familie. Siehe, etwas Neues geschieht: Jesus sagt: „Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hündlein hinzuwerfen.» v. 26.

Die Frau begrüßt Jesus zu Beginn der Begegnung mit den Worten: „Sohn Davids.“ Ob sie sich bewusst oder nicht an die gemeinsame Abstammung, die sowohl Jesus als auch sie haben, erinnert? In der Genealogie Jesu[4] gibt es drei fremde Frauen: Rahab, Tamar und Ruth. Die Vorfahren der Frau sind mit den Vorfahren Jesu verbunden. Indem sie Jesus den Herrn nennt, zeigt die Frau, dass sie ihre Macht und ihr Mitgefühl für alle, die ihn suchen, erkennt.

Wenn Jesus sich von der ausgeschlossenen Frau hinterfragen lässt und sich dem Dialog mit ihr öffnet, wird er für diese Wirklichkeit sensibilisiert und erkennt, dass „Brot“ das Recht aller Söhne und Töchter auch jenseits Israels ist.

Hier erscheint ein offener Jesus mit dem Wunsch, zu hören, zu sprechen, zu verstehen und mit Barmherzigkeit zu handeln. Vielleicht ist dies auch der Schlüssel zu unseren heutigen Beziehungen angesichts von Menschen, die in so vielen Kontexten und Momenten anders denken und handeln als wir. Jesus verändert seine Sicht, dass er der Messias war, der nur zum Volk Israel gesandt wurde.

Vom Hören zum Handeln

Die Reaktion der Frau ist bemerkenswert. Sie könnte mit verschiedenen Argumenten antworten oder einfach als Zeichen der Missbilligung schweigen, aber sie nimmt die Worte Jesu wieder auf, um ihn dazu zu bringen, seine Position der Ausgrenzung zu überdenken: Sie aber sprach: Ja, Herr; doch es essen ja auch die Hunde von den Krumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen(v.27).

Trotz all der Demütigung ging die Frau das Risiko ein, eine noch härtere Antwort zu erhalten. Sie nahm die Rede Jesu auf und reagierte mit ihrer argumentativen Kraft. Auch unter dem Tisch partizipieren die Welpen an der Fülle des Hauses. Die Frau kannte ihre Herkunft und ihren Zustand. Sie hatte nicht erwartet, Teil des Banketts zu sein, aber sie vertraute darauf, dass selbst die Krümel von Gottes Segen ausreichten, um ihre Tochter zu retten.

Diese Frau lehrt uns die wahre Bedeutung der Würde: nicht nur die Brosamen, von denen die Menschen leben wollen, sondern die Vollständigkeit des Lebens. Die Brosamen lassen sich hier auf verschiedene Kontexte ausweiten: Brosamen der Akzeptanz, des Überlebens, der Würde, des Zusammenlebens, der Gegenseitigkeit, des Teilens usw. Wir brauchen mehr als Brosamen oder Krumen in dieser Welt, und mit dieser Vollkommenheit möchte uns Gott erfüllen.

Ohne sich entmutigen zu lassen, tat die Frau, was in ihrer Macht stand. Das Leiden ihrer Tochter war groß und sie war überzeugt, dass es eine einzigartige Gelegenheit war, ihre Tochter befreit zu sehen. Vielleicht zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Angst und Zuversicht, kniete die Frau vor Jesus nieder und schrie um Hilfe. In ihrem Handeln erwies sich die Frau als Trägerin eines bemerkenswerten und verwandelnden Glaubens.

Durch den Charakter der fremden Frau fordern die Heiden Akzeptanz in der neuen Glaubensgemeinschaft. Die Haltung Jesu, der fremden Frau zuzuhören, ist also eine neue Haltung der Gemeinde.

Das Argument der Frau überzeugt dann Jesus und sie bekommt, was sie erbeten hat: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an“ (v.28).

Die Frau ist wagemutig. Wie viele anderen Frauen muss auch sie die harten und unsensiblen Worte erfahren haben. Als Mutter eines kranken Kindes muss sie viele Anschuldigungen und leere Antworten gehört haben. Das reicht ihr! Jetzt, vor dem Messias, beansprucht sie das Recht auf ein würdiges Leben. Sie beschließt, dass sie mehr wünscht als nur Krümel, die vom Tisch fallen, sie will ein erfülltes und würdevolles Leben, wie Jesus uns versprochen hat, vgl. Joh.10.10.

Von dem Schweigen zum Handeln: Worte, die heilen!

In ihrer Antwort auf Jesus verwandelte die Frau die Metapher, die sie ausschloss, in eine Metapher der Inklusion.

Jesus wurde herausgefordert, seine Worte und Einstellungen zu überdenken. Er ändert seine Meinung und heilt nicht nur ihre Tochter, sondern sorgt auch dafür, dass am Tisch immer Platz für die Bedürftigen ist.

Es ist interessant, dass Jesus nie sagt, dass ihre Tochter geheilt ist, sondern dass der Wille der Frau getan ist. Die Ausdauer und der Glaube der Frau veränderten die Situation. Der Glaube erzeugt Ausdauer und Beharrlichkeit, nährt den Glauben, damit sich die Menschen und die Welt verändern können.

Diese Perspektive verändert die Sicht Jesu, und er betont die Macht des Wortes und die Weisheit der Frau eines heidnischen Volkes. Jesus ist berührt von ihrer Wirklichkeit und erkennt, dass das „Brot“ der Erlösung und der Liebe Gottes ein Recht aller Töchter und Söhne außerhalb Israels ist.

Paradoxerweise wird die Krankheit der Tochter der fremden Frau, die in der vorherrschenden Mentalität des Judentums als böse und Unreinheit angesehen wird, zu einem Faktor, der vermenschlicht und mit Gegensätzen bricht. Es wird zu einem Symbol für Genesung und Heilung und Gemeinschaftsbindung.

In diesem Prozess der Begegnung mit verschiedenen Menschen, geleitet vom Geist Gottes, entstehen Befreiung, Nähe, Verständnis und neues Leben.

Schweigen, Worte und Taten heute!

Liebe Gemeinde,

Es ist schwer, sich das Schweigen Jesu über den Appell der Frau vorzustellen. Sie ist eine Frau, die Hilfe braucht, und was sie als erste Reaktion bekommt, ist Stille. Vielleicht hat sich dieses Schweigen Jesu in dem Kontext bemerkbar gemacht, in dem sich die Gemeinschaft des Matthäus befindet, wo er versucht, seine Bräuche, Gesetze und Traditionen angesichts verschiedener Konflikte, von denen einer religiöser Natur ist, zu bewahren. In diesem Moment erweitert sich die Frage, welches Volk und welche Menschen Gott richtig und wahrheitsgemäß anbeten.

Jesus wurde von einer fremden Frau herausgefordert, aber in Wirklichkeit war er auch ein Ausländer, als er von der Frau gesucht wurde. Diese Frau erkennt, dass Jesus der angekündigte Messias ist und bittet um Hilfe. Jesus dehnt seinen Dienst auf alle aus, die ihn brauchen.

Gottes Gnade und Liebe manifestieren sich dort, wo wir es am wenigsten erwarten. Während die Aufnahme von Fremden Angst und Unsicherheit verursachen kann, kann es auch eine Gelegenheit bieten, neue Kulturen und Traditionen kennenzulernen.

Mögen die notwendigen Verwandlungen in zwei Richtungen geschehen, immer, ohne Ausgeschlossene und Sieger, Herrscher und Beherrschte, in der Gewissheit, dass wir eins sein können in Christus Jesus, denn wer in Christus ist, ist ein neues Geschöpf, es gibt keinen Juden oder Griechen mehr, keine Sklaven, keinen Freien, keinen Mann und keine Frau, wir sind alle eins, mit Einheit, Liebe und Respekt. Amen.

[5]

[6]

[1] Die Phönizier gingen von Sidon, dem Sohn Kanaans, aus (Gen 10,15,19; ist 23.11, 12). Sie wurden als götzendienerisches Volk betrachtet. Ihre nationale Gottheit war Baal und sie verehrten auch Astarte und Aschera (1. Kön 11,5; 16,31; 18,19).

[2] Diese Begegnung Jesu mit der Frau wird auch im Evangelium von Markus 7,24-30 berichtet.

[3] Der Zweck des Schreibens des Matthäusevangeliums war, dass die Menschen der Gemeinde fest in den Fußstapfen Jesu stehen und nicht unter dem Druck der Pharisäer nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 verschwinden. Dafür wurde die ganze Geschichte Jesu so erzählt, dass seine Jünger fühlten, dass er der Messias, der neue Mose war und dass die Gemeinschaft Teil von Gott neuem und letztem Volk war.

[4] In Matthäus 1,1-16.

[5] Fotoquelle: https://propovidnyk.com.ua/komentar-yevangeliya-5-08-2015-sereda-xviii-zvy-chajnogo-ty-zhnya/

[6] Fotoquelle: Salvation Army Heritage Centre, Melbourne, Australia. https://ehive.com/collections/6553/objects/712130/syro-phoenician-woman-slide-512