
Matthäus 16
(Dänische Perikopenordnung)
Man hat gemeint, wenn Jesus dreimal nacheinander Petrus fragt, ob er ihn liebt, dann sei das ein Zeichen der Menschlichkeit Jesu, ein Zeichen, daß er wie wir ist, die immer Bestätigung brauchen, daß die, denen wir nahe stehen, uns auch wirklich gern haben. Er ist dann wie ein Ehemann, der nicht meint, daß es eine gute Antwort der Frau ist, wenn er sie fragt, ob sie ihn liebt, und sie dann antwortet: Ja, das habe ich dir ja heute vor 12 Jahren gesagt, als wir geheiratet haben, kannst du dich nicht daran erinnern…?
Es ist ja so menschlich, dieses Bedürfnis danach, daß die Liebe bestätigt wird. Das zeigt auch, daß die Liebe etwas Lebendiges ist, das man nicht wie gewöhnliche Tatsachen im Dasein behandeln kann. Zwei und zwei sind vier, da das ist eine Tatsache, von der wir nicht immer wieder überzeugt werden müssen. Wenn uns das erst einmal in der ersten Klasse eingebleut ist, daß es so ist, dann sitzt es. Es ist ein Zeichen für ein anderes Problem, wenn wir meinen, daß wir noch immer fragen müssen, ob zwei und zwei auch wirklich vier sind.
Mit der Liebe ist das etwas anderes. Sie ist etwas Lebendiges, das in Wirklichkeit immer im Werden ist. Man kann es so sagen, daß die Liebe eigentlich nicht als Begriff existiert, sondern erst in dem Augenblick, wo jemand liebt. Die Liebe ist nichts in sich, sie ist, daß jemand liebt.
Daß Jesus menschlich ist, wissen wir wohl. Wir bekennen ja in unserem Glaubensbekenntnis, daß er Gott und Mensch ist. Aber ich glaube dennoch nicht, daß seine drei Fragen an Petrus heute seine Menschlichkeit bestätigen. Ich glaube eher, daß sie die Menschlichkeit des Petrus und die Göttlichkeit Jesu bestätigen. Wie das zu verstehen ist, davon möchte ich heute in dieser Predigt sprechen.
Petrus hatte sich zum Verräter gemacht. Vor Ostern hatte er geschworen, Jesus bis zum Letzten treu zu sein. Mit ihm durch dick und dünn zu gehen. Ihn niemals zu verlassen, auch wenn andere ihn verleugneten. Schon damals hatte Jesus vorausgesagt, daß Petrus ihn dennoch verleugnen werde: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Unmöglich, antwortete Petrus. Aber es war nicht unmöglich. Als Jesus vor Gericht geschleppt, gefoltert und zum Tode am Kreuz verurteilt wurde, da wurde der Mut des Petrus wie Wasser, das man in den Sand gießt. Und als er Gefahr lief, als eine der Gefolgsleute Jesu erkannt zu werden, da wurde die Furcht, neben Jesus am Kreuz zu enden, zu groß, und er leugnete, daß er ihn überhaupt gekannt habe. Dreimal. Und dann krähte der Hahn. Und Peter erinnerte sich an die Worte Jesu und sah, wie tief er gesunken war, und ging hinaus und weinte bitterlich.
Man denke: Gerade dort, wo man am meisten leidet und am allermeisten Freude braucht, wird mann im Stich gelassen. Die, die einen großen Verlust erlitten haben, große Fehler begangen haben oder tiefes Leid erfahren haben, wissen, wie schmerzhaft es ist, wenn einem andere Menschen den Rücken zukehren gerade da, wo man am schwächsten ist. Und die, die schon einmal einen Freund in der Not verlassen haben – und wer hat das nicht – die wissen, wie mies man sich fühlt und wie viele Erklärungen man aufbauen muß, um sich selbst und seine eigene Schäbigkeit zu decken.
Beide Situationen, die des Verratenen und die des Verräters, kennen wir aus gewöhnlichen menschlichen Situationen. Daß ich mich verraten fühle, bedeutet nicht, daß ich ein ganz besonderes Opfer bin. Daß ich verrate, macht mich nicht zu einem schlimmen Monster. Beides reiht mich nur ein in die Reihe von ganz gewöhnlichen Menschen mit ganz gewöhnlichen menschlichen Erfahrungen.
Petrus war ganz menschlich, auch wenn er gerne in seiner Treue göttlich sein wollte. Aber er erfuhr, daß er nur ein Mensch war. Und es fällt schwer, seine eigene gebrechliche Menschlichkeit zu erkennen. Jesus hat das natürlich immer gewußt.
Was tut man, wenn man grausam verraten und verkauft ist? Wie reagiert man dem gegenüber, der einen verraten hat? Was wird aus der Enttäuschung? Bitterkeit? Kälte? Oder vielleicht gar Haß? Und was ist erforderlich, um das Vertrauen wieder herzustellen, wenn dies überhaupt möglich ist? Den anderen lange ansehen, bis er bewiesen hat, daß man ihm wieder vertrauen kann? Wieder: Ganz menschliche Reaktionen.
Aber wie reagiert Jesus angesichts des kolossalen Versagens von Petrus? Er tut etwas, das in Wahrheit göttlich ist. Er lehnt Petrus nicht ab, er verdammt ihn nicht. Er sieht ihn nicht einmal an. Statt dessen gibt er ihm gleich die größte Verantwortung, die einem Menschen zuteil werden kann, die Verantwortung, das Werk Jesu auf Erden weiterzuführen. Die Verantwortung für die Menschen, die zum Glauben an ihn gekommen sind. Die Verantwortung, eine Kirche zu bauen, einen Ort, an dem das Wort Jesu verkündigt werden kann. Dreimal überträgt er die Verantwortung auf Petrus: Weide meine Lämmer, sei Hirte für meine Schafe, weide meine Schafe! Die Antwort auf das fatale Versagen des Petrus sind drei gigantische Vertrauensbeweise. Die Antwort auf das größte Versagen ist das größte Vertrauen.
So reagiert der Göttliche. Die Fragen Jesu an Petrus sind gerade nicht Zeichen seiner Menschlichkeit, sondern Zeichen des Göttlichen, der vergibt, wenn wir richten, glaubt, wenn wir versagen.
Er fragt dreimal, und Petrus weiß sehr wohl warum und wird deshalb traurig bei der dritten Frage, weil dies eine Erinnerung an sein Versagen und ein Urteil über das Versagen ist. Aber er entdeckt auch, daß die drei Fragen ihm zugleich das vergeben, was er falsch gemacht hat. Jesus zeigt sein Versagen und richtet zugleich Petrus wieder auf in seinem Verhältnis zu ihm. Die drei Fragen sind eine Sündenvergebung und eine Liebeserklärung.
Die Freude des Petrus muß von himmlischen Dimensionen gewesen sein. Ein so großes Vertrauen empfangen und eine so große Liebe, nachdem man sich das so wenig verdient hat. Es ist eine große Freude, geliebt zu werden, obwohl man sich so wenig liebenswert verhalten hat. Die Liebeserklärung und die Übertragung von Verantwortung, die Petrus zuteil wurden, gaben ihm tatsächlich die Kraft, diese Verantwortung zu tragen, auch als dies bedeutete, daß er sein eigenes Leben dafür hingeben mußte. Die Tradition sagt, daß er während einer Christenverfolgung in Rom gekreuzigt wurde, nach eigenem Wunsch mit dem Kopf nach unten, weil er sich nicht für würdig hielt, so gekreuzigt zu werden wie Jesus. So kann die Liebe die Kraft geben, alles zu geben, selbst das Leben.
Die Geschichte vom dreifachen Versagen des Petrus und den drei Liebeserklärungen Jesu wäre nie mehr als nur eine Geschichte, wenn sie nicht von uns handelte. Und das tut sie. Die Liebeserklärung und der Vertauenserweis, die Jesus Petrus zuteil werden läßt, sind das, von dem wir Christen leben. Wir wissen selbst, wie das ist, daß man zuviel verspricht und dann versagt, und wir kennen bis ins Mark, wie tief man da fällt. Aber heute haben wir gehört, daß Gott unser Versagen sieht, zugleich aber uns Liebe erweist und neues Vertrauen schenkt, immer neues Vertrauen. Kierkegaard ist es, der einmal gesagt hat, daß Jesus Petrus in seinem Versagen so sah, wie eine Mutter ihr weggelaufenes Kind – mit einem Blick, der weiß, daß das Kind in höchster Gefahr ist und Hilfe braucht, und der dem Kind hilft, indem er ihm Vertrauen und Liebe entgegenbringt, wieder und wieder.
So leben wir in der Liebe Gottes zu uns, wir, die wir uns allzu oft anderen Menschen gegenüber lieblos verhalten. Wir leben davon, daß er uns wieder aufrichtet, wenn er uns seine Liebe immer wieder neu erweist. Amen.
Pastorin Kirsten Jørgensen
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