
Matthäus 16,13-17
Pfingstmontag | 09.06.2025 | Mt 16,13-17 | Hansjörg Biener |
Was sagen die anderen? Das ist eine Frage, die spätestens als Teenager interessiert. Wie komme ich an? Mag man mich? Warum werde ich – nicht – eingeladen? Das sind Fragen – und Katastrophen – der Jugendzeit. Das ist schon schlimm genug. Schlimmer wird es, wenn man im Berufsleben nicht so ankommt, wie man’s braucht. Manchmal ist man nicht mal schuld. Ohne zu ahnen, hat man schon einen Ruf. Man kennt das ja: Promis und Politikerinnen, Lehrkräfte und Mitschülerinnen, Nachbarn und wer-auch-immer werden bequatscht. Im echten Leben und zunehmend auch online. Offenbar war das auch schon in der Jesus-Zeit so. Gut, online nicht, aber in echt. Im heutigen Predigttext geht es – natürlich – um Jesus.
Predigttext
Mt 16,13–19 Petrus spricht aus, wer Jesus ist
13 Jesus kam in die Gegend von Cäsarea Philippi.
Er fragte seine Jünger:
»Für wen halten die Leute eigentlich den Menschensohn?«
14 Sie antworteten:
»Manche halten dich für Johannes den Täufer,
andere für Elija.
Wieder andere meinen, dass du Jeremia
oder einer der anderen Propheten bist.«
15 Da fragte er sie: »Und ihr, für wen haltet ihr mich?«
16 Simon Petrus antwortete: »Du bist der Christus,
der Sohn des lebendigen Gottes!«
17 Jesus sagte zu ihm:
»Glückselig bist du, Simon, Sohn des Johannes!
Diese Erkenntnis hast du nicht aus dir selbst,
sondern von meinem Vater im Himmel.«
(Mt 16,13–19 Basis-Bibel)
Heute ist die Predigt einfach, denn der Predigttext gibt die Gliederung vor.
(1) „Was sagen die Leute?“
(2) „Was sagt Ihr?“
(3) „Was sagst Du?“
An dieser Frage sollten wir uns orientieren, doch tun wir zuerst so, als wären wir Zeitgenossen des Erzählten.
„Was sagen die Leute?“
Jesus fragt: „Für wen halten mich die Leute?“ Die Jünger nennen drei bekannte Namen: Johannes der Täufer, Elija, Jeremia.
Gehen wir zum ersten Namen: „Manche halten dich für Johannes den Täufer.“ Das kann so nicht sein. Bibelleser wissen: Johannes wurde wenige Kapitel vorher geköpft. (Mt 14,1-12 Das Ende Johannes des Täufers) Der Grund war nicht Sozialkritik, sondern Beziehungskritik. Wer mit wem – das ist auch heute Thema auf dem Schulhof wie in den Medien. Wer mit wem nicht darf – damit würde man sich auch heute Feinde machen. Damals ging es um Herodes Antipas und Herodias. Herodes war ursprünglich mit der Tochter des Nabatäer-Königs Aretas IV. verheiratet. Doch Herodes verstieß Phaselis und nahm sich die Frau seines Halbbruders. Dieser doppelte Ehebruch war Tagesgespräch und sorgte sogar für einen Grenzkrieg mit den Nabatäern. Die Evangelien erzählen, dass auch Johannes der Täufer Herodes kritisiert hat. Die Reaktion: Johannes wurde eingekerkert und fiel, so die Evangelien, einer Palastintrige zum Opfer.
Auf zum zweiten Namen: Manche sähen in Jesus auch den wiedergekommenen Elija. Das war tatsächlich eine biblisch begründete Erwartung. Elija war ein mächtiger Prophet in der Zeit, als Israel noch Könige hatte. Kein fehlerloser Prophet und dennoch der größte Prophet Israels. Von ihm wurde am Ende sogar eine Himmelfahrt erzählt. (2. Kön 2,11) Also konnte man ihn auch aus dem Himmel zurückerwarten. Im Buch Maleachi wird Elija als wiederkommender Prophet verheißen. Er würde vor dem Jüngsten Gericht noch einmal für Ordnung zu sorgen versuchen. (Maleachi 3,23)
Es gibt auch Namensnennungen, für die wir keinen biblischen Anhalt haben: „Wieder andere meinen, dass du Jeremia oder einer der anderen Propheten bist.“ Vielleicht waren das bibelunkundige Ideen. Aber: Was wissen wir schon, was damals als Heilige Schriften gelesen oder was gelehrt wurde. [Anm 1] Tatsächlich haben wir Heutigen keinen Grund, uns über Irrtümer Früherer erhaben zu fühlen. Auch heute wird viel dummes Zeug als „biblisch“ unters Volk gebracht.
[Etwas möchte ich hier noch anfügen: Es gibt einiges, was die Jünger in dieser Stelle nicht sagen, aber Jesus sicher weiß. „Manche Leute halten Dich für einen Verrückten oder sogar für eine Gefahr.“ Ist es nicht zum Beispiel ein verrücktes Projekt, ganz aus der Nähe Gottes leben zu wollen? Kein Zimmermannsalltag mehr wie bei Jesu Vater, keine regelmäßige Arbeit als Fischer wie bei Petrus und anderen Jüngern. Vielmehr sind Jesus und seine Jünger als Verkündiger des Gottesreichs unterwegs: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“, was Ihr braucht (Mt 6,33). Wer ein bisschen im Matthäus-Evangelium gelesen hat, weiß: Jesu Familie kam einmal, um Jesus nach Hause zu holen und ihn so vor sich selbst zu schützen. Aber Jesus ließ sich nicht mitnehmen. Er hielt an seiner Mission fest. „Er streckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“ (Mt 12,46-50 Jesu wahre Verwandte, 49-50) Man kann das aus Jesu Sicht vielleicht nachvollziehen. Von außen betrachtet war das aber sehr unfreundlich. Und wenn ich eine Erzählung dazu schreiben müsste, dann würde ich darüber schreiben, wie man sich darüber den Mund zerrissen hat. „Das hat Maria nicht verdient! Oder doch?“ „Was ist da bei der Erziehung bloß schiefgelaufen?“ Jesu Gegner wiederum glaubten, dass Jesus mit dem Teufel im Bunde war: „Dieser treibt die Dämonen […] aus […] durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen.“ (Mt 12,22-37 Jesus und die Dämonen, 24)]
Nach dem Außenblick auf Jesus, folgt nun der Innenblick. Johannes, Elija, Jeremia oder ein anderer der Propheten – das sagen die Leute, aber was sagen die Jünger?
„Was sagt Ihr?“
Ich stelle mir vor, dass erst einmal Schweigen eingetreten ist. Ich lasse die Jünger von einem zum anderen blicken. Wer wird das Wort ergreifen? Und Jesus folgt ihrem Blick. Wer kann jetzt etwas Richtiges sagen? Jesu Frage steht im Raum. „Was sagt Ihr!“
Damit können wir zu Petrus kommen.
Simon Petrus antwortete: »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!«
Das sind zwei Bekenntnisse in einem: (1) Du bist der erwartete Messias. Christus ist nur das griechisch-lateinische Wort. (2) Du bist Sohn Gottes. Beides ist damals verständlich. Der Messias ist der erwartete Retter Israels. Das wissen Sie bestimmt. Bei „Sohn Gottes“ ist mehr Vorsicht geboten. Diese Bezeichnung steht im Judentum für eine besondere Aufgabe. Nicht für einen Halbgott wie bei den Griechen! Die Vorstellung einer körperlichen Abkunft wäre Gotteslästerung gewesen. So erklären sich die beiden Bekenntnisse gegenseitig: (1) Jesus ist der erwartete Messias, und den erwartete man aus der Nähe Gottes. (2) Jesus hat eine besondere Aufgabe und deshalb hat ihn Gott sozusagen als Sohn auserwählt und adoptiert. Das mag etwas schockierend klingen, weil wir mehr zu wissen gewohnt sind. Aber selbst der Katechismus der römisch-katholischen Kirche sagt: „’Gottessohn‘ ist im Alten Testament ein Titel, der den Engeln gegeben wird, dem auserwählten Volk, den Kindern Israels und seinen Königen. Er bedeutet eine Adoptivsohnschaft, die zwischen Gott und seinem Geschöpf eine besonders innige Verbindung herstellt. Wenn der verheißene Messias-König ‚Sohn Gottes‘ genannt wird, so heißt das dem wörtlichen Sinn dieser Texte nach nicht unbedingt, dass er mehr als ein bloßer Mensch ist. Jene, die Jesus als den Messias Israels so bezeichneten, wollten vielleicht damit nicht mehr sagen.“ (Anm 2) Und Petrus konnte zu dem Zeitpunkt nicht mehr wissen und sagen, für den Evangelisten Matthäus jedoch sagt Petrus mit seinem Bekenntnis mehr, als er weiß. Petrus sagt im richtigen Moment das Richtige und wird für diesen Geistesblitz gelobt. Allerdings sagt Jesus auch: „Diese Erkenntnis hast du nicht aus dir selbst, sondern von meinem Vater im Himmel.“
Ich frage mich, wie es den anderen Jüngern gegangen sein könnte. War die Antwort des Petrus für sie entlastend, weil Petrus in die Bresche gesprungen war? Oder war es für sie belastend. Immerhin war ihnen dieses Wirken des Heiligen Geistes nicht zuteilgeworden. Der Predigttext schweigt. Auch heute machen sich manche Christen darüber Gedanken. Sie werden still, wenn andere so freimütig von Glaubenserfahrungen berichten. Dazu dieses: Es gibt in der Gemeinde Jesu Petrusse, Matthäusse und andere Glaubensprominente, und es gibt andere, die andere Aufgaben und Glaubenswege haben. Wir kennen das auch offiziell in unseren Kirchen. Zwar sollen alle Gemeindeglieder zum Glauben stehen, Pfarrer aber sind zur öffentlichen Verkündigung und Verwaltung der Sakramente berufen. Und das sollen sie – bitte schön – gut und richtig machen, so wie eben die Gemeindeglieder ihr Ding.
Kommen wir zu der Frage, auf die der Predigttext zuläuft. Die Leute haben was gesagt; Petrus hat was gesagt. Und nun:
„Was sagst Du?“
Es geht nicht einfach darum, was von Petrus und anderen im Lauf der Geschichte über Jesus gesagt worden ist. Es geht darum, was „für mich in Jesu Angesicht“ das Richtige ist. Und nun wird es schwieriger, sich auszudrücken, vielleicht auch das Richtige zu sagen. Über die Jahrhunderte hinweg sind viele falsch-richtige und richtig falsche Antworten dazugekommen. Manche trafen etwas Richtiges. Andere eher weniger. Wir sind also mit unseren falsch-richtigen Antwortversuchen nicht allein.
Die Römer haben Jesus als „König der Juden“ gekreuzigt. Pilatus ließ INRI als Grund für die Verurteilung ans Kreuz nageln. „Jesus von Nazareth – König der Juden“. Tatsächlich konnte man die Messias-Idee so verstehen. Manche haben vom Messias die Befreiung von den Römern erwartet, und manche Guerilla-Führer der Jesus-Zeit haben sich als König bezeichnen lassen. Jesus war aber kein irdischer König, und doch hat er bis heute eine Gefolgschaft, die größer ist als Pilatus je fürchten konnte. Jesu Reich ist nicht so, wie sich Pilatus das vorgestellt hat, sondern die Gemeinde der Gläubigen. Jesus, so eine andere Aussage, sei der Weltenherrscher und -richter. An jeder gotischen Kathedrale ist das über den Portalen Stein geworden. Das ist richtig, aber auch falsch. Falsch jedenfalls dann, wenn man sich das Weltgericht als bloße Beschämung vorstellt, in der alles ans Licht gezerrt wird. Ja, es wird eine Beschämung sein, wenn alles ans Licht kommt. Aber Jesus wird mit uns über das gelebte und das ungelebte Leben weinen. Der Weltenrichter ist eben auch der Mensch, den die Römer ans Kreuz geschlagen haben und von dem die Gläubigen Erlösung erhoffen.
Jahrhunderte lang wurde den Menschen gesagt, was „richtig” ist. Die Menschen haben Katechismus-Antworten gelernt. Lutheraner zum Beispiel aus Martin Luthers Kleinem Katechismus. Sie sollten mit Martin Luther sagen: „Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben; damit ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit. Das ist gewißlich wahr.“ Ob die Menschen das alles verstanden haben? Das steht für mich dahin. Fest steht, dass es sich hier zuerst um das Bekenntnis von Martin Luther handelt. Es ist das Bekenntnis eines Theologen. Das merkt man zum Beispiel an: Wahrer Mensch – wahrer Gott. Das ist hohe Theologie. Er ist ein Zitat aus dem Glaubensbekenntnis von Chalcedon 451. Ein Theologe kann sich über diese Bezüge zur Glaubensgeschichte freuen. Andererseits: Die Antwort Luthers ist weit weg von der Welt Mitteldeutschlands in der Reformationszeit oder Westmittelfrankens, wo der Kleine Katechismus vor dem Abendmahlsgang noch lange abgefragt wurde. Selbst etwas, was so einfach klingt wie Sohn Gottes, muss, wie wir gesehen haben, erklärt werden.
Im 20. Jahrhundert sind noch ein paar Ideen dazugekommen, die Jesus mit den modernen Zeiten gehen ließen. Aber Jesus war weder „Revolutionär“ noch „Gammler“. Für das eine war er nicht militant genug, für das andere hatte er viel zu viel Kontakt mit der Welt der Normalen, und ja auch den in einem Dorf oder einer Stadt Angesehenen. Als Holzhandwerker kam Jesus nicht von der Straße, sondern, wie wir heute sagen würden, aus dem Mittelstand. Auch war Jesus kein „neuer Mann“, wenn die Ideen nicht vom Vorbild Jesus abgenommen werden, sondern auf Jesus projiziert werden.
Es ist immer leichter, etwas zu sagen, was man weiß, als etwas persönlich zu bekennen. Am sympathischsten wäre mir einfach „Mein Herr“, und jemand versucht das dann mit seinem Leben zu füllen. Kyrios Iesous (Röm 10,8) Das ist ein altes Glaubensbekenntnis, das im Römerbrief mit der Verheißung des ewigen Lebens verbunden wird, und modern gesprochen ein großes Projekt, dass man ein Leben führt, das Ewigkeitswert gewinnen soll. „Ich habe keine anderen Herren außer dem Herrn Jesus.“ Nicht Klatschbasen, Influencer und Trendsetter, nicht Wortführer und Chefs, vor denen man verstummt, nicht meinungsstarke, aber wissensschwache Glaubenskritiker und Glaubensvertreter. Keine anderen Herren, wenn man spürt „Jetzt bist Du gefragt“, etwas Richtiges zu sagen oder etwas Richtiges zu tun. Kyrios Iesous – Jesus, mein Herr. Das ist, finde ich, ein gutes Bekenntnis. Aber vielleicht ist das immer noch eine Petrus-Antwort für Leute, denen besondere Geistesgegenwart geschenkt ist. Dann wird man es mit einer anderen Petrusgeschichte halten, in der Jesus Petrus immer wieder fragt „Hast du mich lieb.“ und Petrus am Ende nur noch antwortet: „Ich weiß es nicht, sag du es mir.“
Amen.
Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und als Religionslehrer an der Wilhelm-Löhe-Schule in Nürnberg tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Hansjoerg.Biener (at) fau.de)
[Anm 1] Im Judas-Brief wird in Vers 9 Bezug auf eine heilige Überlieferung/Schrift genommen, die wir nicht kennen.
[Anm 2] Katechismus der Katholischen Kirche, München u. a. 1993, S. 143 Nr. 441.
Literaturhinweise
Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17) (EKK I/2), Zürich/Neukirchen-Vluyn, 3. Auflage 1999, S. 450-483.
Schweizer, Eduard: Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2), Göttingen, 15. Auflage/3. Auflage einer Neubearbeitung 1981, S. 218-224.