
Matthäus 18,16-26
Vollkommenheit ist Sehnsucht nach dem Ursprünglichen | 6. Sonntag nach Trinitatis | 07.07.2024 | Mt 18,16-26 (dänische Perikopenordnung) | Peter Skov Jakobsen |
Die Sache mit dem Geld können wir heute nicht ignorieren. Da sind einige Wahrheiten, denen wir in die Augen sehen müssen. Das höchste Gesetz in der Wirtschaft ist, dass sich Geld gerne vermehren soll. Es muss Gewinn abwerfen. Geld kann für gute Zwecke ausgegeben werden, aber wahrlich auch für schlechte Dinge. Geld ist ohne Moral, und Geld stinkt nicht, das behauptete jedenfalls der römische Kaiser Vespasian, der Latrinenbesuche besteuerte.
Wenn aber Geld nicht stinkt, warum waschen wir es dann? Wir alle wissen auch, dass es gut schmiert, und gut fährt. Wir wissen sehr wohl, dass es ökonomische Kriminalität gibt, und da ist Korruption und wartet darauf, dass es nicht ordentlich zugeht.
Es ist Heuchelei. Geld und Ökonomie als etwas anzusehen, wofür sich der nachdenkliche, ethische, geistige Mensch nicht interessieren sollte. Wir wissen ja alle, dass das ein verdammt gutes Bezahlungsmittel ist, und mit der Ökonomie schaffen wir Möglichkeiten für einander. Wenn es kein Geld gibt, herrschen Armut und Elend. Die Ökonomie kann den Menschen dienen, und sie schafft Gemeinschaft. Nur wenn der Mensch sich erlauben kann, morgen nein zu sagen, und weiß, dass auch für den Tag danach gesorgt ist, braucht er sich nicht um das Überleben und die Freiheit zu sorgen.
Es wäre leicht, der Ökonomie und dem Geld den Rücken zuzukehren und zu meinen, dann sei alles in trockenen Tüchern, aber wir sind genötigt, uns selbst zu fragen, ob es nicht unsere Pflicht ist, für eine ordentliche Ökonomie und für sichere Finanzen zu sorgen, wenn wir uns nicht einer unschönen Naivität überlassen sollen, die im Grunde unseren Mitmenschen den Rücken zukehrt.
Wir können ja uns selbst fragen, wozu wir unsere Zeit verwenden. Herrscht das Geld über uns oder machen wir uns darüber Gedanken, wofür wir das Geld verwenden? Wir müssen auf den Menschen hören, der uns fragt, ob wir bloß hohe Ideale der Mitmenschlichkeit und der Menschenrechte haben, oder unsere Ideale von Gleichheit und Gerechtigkeit auch in die Tat umsetzen. Dazu sind wir in unserem näheren Umkreis als Europäer verpflichtet. In unserem Alltag sind wir so eng verbunden mit einer größeren Ökonomie als der lokalen Wirtschaft, dass wir den Mitmenschen nicht ignorieren können, der dazu beiträgt, unseren Wohlstand zu sichern, und wer von Ökonomie spricht, muss auch von Gerechtigkeit, Maßhalten, Weisheit und nicht zuletzt Liebe reden.
Die Sache mit Geld und Ökonomie ist gar nicht so einfach. Der junge Mann, der damals herausgefordert wurde, verdrückte sich – denn er war sehr reich!
Es ist nicht leicht, Privilegien zu teilen. Aber die Liebe lehrt uns, dass wir uns der Schwachen annehmen sollen. Wir müssen uns in den schwierigen Raum gegeben, wo die Privilegien verteilt werden mit einem Bewusstsein davon, dass es alles über unseren Charakter aussagt, ob wir Privilegien teilen können oder nicht.
Und dann steht da heute noch etwas anderes auf dem Spiel. Etwas, was genauso gefährlich ist. Etwas, was sich zu etwas ganz Schrecklichem entwickeln und das Leben unerträglich, oberflächlich und selbstherrlich machen kann. Das ist die Frage nach der Vollkommenheit. Willst du das? Ich glaube, das ist eine Frage, mit der wir besonders sorgsam umgehen sollten. Vollkommenheit kann wie eine Drohung für das gute Leben wirken. Der Wunsch nach Vollkommenheit kann uns einschließen, indem wir uns an uns selbst berauschen in einer einsamen Weise. Sie kann uns von der übrigen Menschheit isolieren und Beziehungen zerstören. Wenn nur Selbstbeobachtung und Selbstbewusstsein lebt, ohne Beziehung zum Mitmenschen und zu Gott, lebt man in einer Echo-Kammer, einem Ort ohne Verblüffung und Überraschung.
Vollkommenheit – ich fürchte, dass wir so große Erwartungen hegen und dass diese Erwartungen Menschen in den Abgrund des Gefühls der Unzulänglichkeit und der Scham treiben. Erst legen sich diese Gefühle auf den Körper und machen stumm. Dann kommt die Scham, den Erwartungen anderer und den eigenen Erwartungen nicht genügen zu können.
Sollen wir die Vollkommenheit einfach aufgeben? Das können wir nicht. Vollkommenheit ist richtig betrachtet eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, dem Wahren. Das ist eine Sehnsucht, die leuchtet als Licht in der Finsternis. Eine Sehnsucht, die dem Schrecken mit Mut begegnet, der Monster-Lüge mit Zutrauen und Wahrheit, die Hoffnung schafft in der Verzweiflung und die den Kampf aufnimmt mit den Langweilern und den Querulanten, die von ihren eigenen um sich selbst kreisenden Gedanken nicht loskommen.
Vollkommenheit soll von verletzlichen Menschen getragen werden. Sie ist nicht die Antwort der von sich selbst imponierten Menschen auf Anklagen. Vielmehr wird der verletzliche Mensch befreit von Gottes Hoffnung, dass Gott uns mit einem Schöpferwort und durch das Geschick Christi befreit aus dem Bannkreis der Selbstbezogenheit, der Bitterkeit und Einsamkeit. Gott nimmt sich unser an, und wir werden verwandelt, und das klingt verdichtet in dem Gedicht „Romanische Bögen“ des schwedischen Dichters Tomas Trandströmer:
Romanische Bögen
Drinnen in der großen romanischen Kirche standen die Touristen eng im Halbdunkel.
Gähnende Wölbungen und kein Überblick.
Einige Lichtflammen flackerten,
Ein Engel ohne Gesicht umarmte mich.
Und flüsterte durch den ganzen Körper:
„Schäme dich nicht, dass du ein Mensch bist, sei stolz!
In dir öffnet sich ein Gewölbe über dem Gewölbe im Unendlichen.
Du wirst nie fertig, und das ist so, wie es sein soll.“
Ich war blind von Tränen
und wurde auf die sonnenüberflutete Piazza geschoben
Zusammen mit Mr. und Ms. Jones, Hr. Tanaka und Signora Sabatini
und innen in ihnen allen öffnete sich ein Gewölbe nach dem anderen im Unendlichen.
Amen
—
Bischof Peter Skov-Jakobsen
Nørregade 11, DK-1165 København K
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