Matthäus 18,21-35

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22. Sonntag nach Trinitatis | 16.11.2025 | Matthäus 18,21-35 (dänische Perikopenordnung) | Von Rasmus Nøjgaard |

Vergebung und Versöhnung

Petrus, der Grundfels der Kirche, fragt Jesus: Wie oft soll ich meinem Bruder vergeben? Jesus antwortet: Nicht sieben Mal sondern siebenundsiebzig Mal. So wie Gott jedem seiner Menschenkinder vergibt, sollen Gottes Kinder auch einander vergeben und sich miteinander versöhnen. Das ist einfach und direkt, und kein Weg führt darum herum, wenn du im Glauben an Jesus Christus leben willst. Du sollst nicht an dem festhalten, was dir gehört, sondern deinen Schuldnern vergeben und dich mit der Welt versöhnen.

Es liegt im Zeitgeist, dass wir Westeuropäer mutlose Zweifler geworden sind, die ohnmächtig dem Betrug der Welt gegenüberstehen. Wir hören nicht mehr den Ruf Jesu, der nicht zu unserem Selbstverständnis passt. Lange wackelten wir und dachten, dass wir das Unsrige auf dem Trockenen haben. Wir glaubten, aber übertrieben das nicht. In der Tat so wenig, dass der Glaube zu Kultur wurde. Wir nannten und Kulturchristen, um auf diese Weise am Glauben festzuhalten, ohne ihn zu bekennen. Die Kultur war natürlich gleichgültig, denn es erfordert Glauben und Bekenntnis, glaubwürdig zu sein, und der Zeitgeist war voll von ideologischem Aufbruch und Begeisterung für all die Intelligenz, die uns das Leben leichter und weniger beschwert machen konnte. Dazu bekannten wir uns. Auf diese Weise war es leicht und unbeschwert für uns, den Glauben fahren zu lassen und ihn durch wohlgemeinte Werte und Versprechen von Mitmenschlichkeit und bürgerlichem Anstand zu ersetzen. Bis sich zeigte, dass Maschinen, multinationale Fonds und Oligarchen Korrektheit nicht als eine Tugend betrachten, sondern nur nach schnellen wissenschaftlichen Fortschritten streben, mehr Gewinn, mehr Wert. Der Wert und die Würde des einzelnen Menschen verwandelten sich immer schneller zu etwas, was grundlegend nur lästig ist. Würde wurde durch Mehrwert ersetzt, die Würde des Lebens durch das Recht auf Euthanasie, so dass niemand mehr der Entwicklung zur Last liegen musste und die Gemeinschaft anfing, sich in Anarchie aufzulösen, denn da war kein Gott mehr, zu dem man sich verhielt. Denn die, die die Medien und am lautesten waren, konnten sich widerstandslos und gefahrlos König, Papst oder Gott nennen. Jeder beanspruchte seine Wahrheit, und Wahrheit für dich, das war falsch für mich, wahr und falsch waren gleich viel wert oder nichts wert – es sei denn sie könnten Mehrwert und ein Gefühl des Stolzes schaffen.  Da war keiner mehr, der zuhörte, denn niemand konnte mehr anderes hören als den eigenen Versuch, die Welt anzurufen und sein angeborenes Recht einzufordern.

Es war eigentlich nicht so schwer zu durchschauen, wie das ausgehen würde, aber jeder war ja mit sich selsbt beschäftigt.

Es ist wohl nicht schwer zu v erstehen, dass unser Herrgott seinen Sohn in einem so demütigen und lärmenden Ort wie Bethlehem zur Welt kommen ließ. Ein Ort in der Welt, wo immer Heulen ist und Zähneknirschen. Er konnte nicht aufrecht einen Thron besteigen, denn niemand wollte etwas wissen von einem König, der sowieso mit der Zeit ausgewechselt wird, von seinem Sohn, seinem Vetter, seiner Ehefrau oder seinem Freund ermordet wird. Unser Herrgott musste die Welt überraschen und in die Welt kommen in der äußersten Not und Unsicherheit. Auf der Flucht im Exil begann sein Leben. Sohn einer unverheirateten, verletzbaren jungen Mutter. Nur so konnte er eine Stimme bekommen, die die die schonungslose Sprache des Zeitgeistes sprach, sondern in aller Demut das Reich Gottes mitten unter uns verkündigte. Unverschleiert.

Gott wurde Mensch um zu zeigen, dass der Mensch schon von Gott geschaffen war. In seiner Verletzlichkeit und Sterblichkeit, in seinem Schmerz und seiner Trauer, in seiner Sündigkeit und Ohnmacht war er schon das Menschenkind Gottes. So wie Christus, das gekreuzigte Kind Gottes. Nicht in der Kraft Jesu Christi, denn Jesus Christus ist nicht ein Mittel, das uns aus einer sündigen Welt erlösen soll, sondern Jesus Christus ist die Wirklichkeit, in der wir leben. Jede Taufe ist eine Neugeburt in seine Wirklichkeit. Er wurde nicht nur, sondern war von Anfang an. Der Plan Gottes konnte damit nicht darin bestehen, die Welt als eine erfindungsreiche Entwicklung von der Erlösung aller, denn die Erlösung war schon ein Teil der Wirklichkeit in der Welt. Der Plan Gottes konnte auch nicht darin bestehen, zwischen den Erlösten und Verdammten zu trennen in Erlösung und Verdammnis, denn Jesus Christus war als Wort der Schöpfung schon in der Welt, nicht als Gericht, sondern als Gnade. Eine Gnade, die das gekreuzigte und sündige Leben umfasst.

Deshalb wurde Jesus Mensch, damit er die Ausgießung des Geistes mitten unter uns sichtbar machen konnte. Jedes seiner Worte und jede seiner Taten handeln stets von einer konkreten Gegenwart in der Welt. Deshalb fragt Jesus nicht, ob du verpflichtet bist, eine Schuld zu erlassen, sondern er gebietet dir, all das zu vergeben, was dir geschuldet wird, nicht damit du deine Würde bewahrst, sondern weil du immer schuldig bist, als ein Kind Gottes mit dem Willen zur Versöhnung zu leben.

Die Erzählung Jesu ist unzweideutig. Ein Diener schuldet seinem Herren zehn tausend Talente, das entspricht einem gigantischen Milliardenvermögen wie nur Musk, Arnault oder Bezos es besitzen, ein Talent entspricht dem durchschnittlichen Jahreslohn in 40 Jahren. Wie die Vergebung siebenundsiebzig Mal von den zehntausend Talenten dem kategorisch Unendlichen entspricht, gibt es keine Grenze dafür, wie oft du erlassen und vergeben sollst. In den Geboten liegt ein Augenöffner für die menschliche Schwachheit, unsere Sündigkeit, denn wir beugen, wenden und verdrehen die Gebote, damit sie etwas anderes bedeuten. Bei dieser Erkenntnis müssen wir beginnen.

Ob wir das nun so verstehen müssen, dass das Gleichnis Jesus vom gnadenreichen Willen Gottes handelt, jedem zu vergeben und die Schuld zu erlassen, der zu ihm kommt, oder ob es von deiner oder meiner Vergebung handelt – ja, das kommt wohl auf dasselbe hinaus, wenn wir im Glauben durch die Taufe und das Abendmahl sagen, dass wir die Kindschaft in Christus Jesus empfangen, dem gekreuzigten Herrn. Mit ihm müssen wir das Kreuz auf uns nehmen und gemeinsam die Freuden des Lebens feiern und die Leiden teilen. Die Würde ist nicht etwas, was wir schaffen, sie ist schon da, und deshalb sollen wir auch dem Nächsten mit Würde begegnen trotz Leiden und Verlust.

Jesus redet uns nicht nach dem Munde im Evangelium dieses Sonntags, sondern er spricht zu unserem Glauben und Bekenntnis. Glauben wir nicht mehr, dass die Welt und die Menschen eine Würde besitzen, die nicht von Menschen geschaffen ist, sondern von Gott? Dann haben wir die Kirche in Kultur verwandelt und ihre Botschaft in unser eignes Mittel. Dann ist das unglücklicher Weise auch kein gekreuzigter Herr, der Gnade vor Recht ergehen lässt, kein Herr, der seinem Diener das Undenkbare, das ansonsten Unvergebliche vergibt. Weil wir nicht länger Existenz und Wirklichkeit mit Gott selbst teilen wollen, sondern eigensinnig selbst die Religion so verwalten wollen, wie sie für ein modernes kultiviertes und frei auf sich selbst beruhendes Individuum passt.

Jesus Christus ist jedoch in die Welt gekommen, um uns zu rufen und uns einen Weg zu weisen, wo wir ihm folgen können und als seine Brüder und Schwestern einen Blick dafür bekommen, dass die Welt schon ein gesegneter Ort ist mit Menschen, die trotz eines Lebens mit Kreuz und Tod schon das Kreuz Christi tragen und im Lichte der Auferstehung Christi gesegnet sind.

Lasst uns deshalb auf das Evangelium antworten, indem wir unseren Glauben bekennen. Amen.

Pastor Rasmus Nøjgaard

Østerbrogade 59

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