Matthäus 20,1-15

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Septuagesimae | 16.02.25 | Matthäus 20,1-15 (dänische Perikopenordnung) | Von Anders Kjærsig |

Bereichert und bodenlos verschuldet

Es gibt eine jüdische Weinberg-Erzählung, die Jesus zweifellos gekannt hat. Sie handelt von einem König, der einen großen Weinberg hatte. Viele Arbeiter waren in diesem Weinberg beschäftigt, drunter auch ein junger Mann, der sehr tüchtig war. Er arbeitete fleißiger als alle die anderen. Nachdem einige Stunden vergangen waren, kam der König hin zu ihm und sagte, er solle aufhören zu arbeiten. Den Rest des Tages sieht man den König mit dem jungen Mann umherwandern, vertieft in Gespräche.

Dann war Feierabend, und die Arbeiter sollten ihren Lohn bekommen. Zur Überraschung der anderen bekommt der junge Mann genauso viel ausbezahlt wie sie. Darüber waren sie sehr verärgert.

„Das ist nicht in Ordnung“, sagen sie. „Wir haben den ganzen Tag hart gearbeitet. Aber der junge Kerl da hat nur zwei Stunden gearbeitet“.

„Ja“, sagte der König, „das stimmt, er hat zwar nur zwei Stunden gearbeitet, aber in den zwei Stunden hat er genauso viel geschafft wir ihr an einem ganzen Tag“.

Sie brauchten sich also nicht aufzuregen. Der König ist gerecht. Der junge Mann hat bekommen, was er voll verdient hat.

Das ist eine moralische Geschichte. Und die Moral ist, dass man nur zusehen soll, etwas zu tun. Sei fleißig, sagt diese Geschichte. Dann kannst du in kurzer Zeit einen ganzen Tageslohn verdienen. Jesus hat diese Geschichte sicher gehört, jemand hat sie ihm erzählt, vielleicht mit einem erhobenen Zeigefinger: Du kannst es selbst sehen, es geht darum, etwas zu leisten. Aber als er die Geschichte selbst erzählt, gibt er ihr eine andere Wendung, so dass der lange Zeigefinger verschwindet und etwas ganz Neues ans Licht kommt.

Die Geschichte aus dem Matthäusevangelium handelt von einem Weinbergbesitzer, der laufend Tagelöhner anstellt, die in seinem Weinberg arbeiten sollen. Einige zehn Stunden, andere sieben Stunden und einzelne nur eine Stunde. Aber der Besitzer bezahlt denselben Lohn an alle Arbeiter, ganz gleich wie lange und wie hart sie gearbeitet haben, zu großer Entrüstung bei denen, die am längsten gearbeitet haben. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie nicht mehr Lohn bekommen.

Das ist eine Überraschung in Bezug auf die jüdische Geschichte. Der Weinbergbesitzer sagt kein Wort darüber, dass die, die nur eine Stunde gearbeitet haben, besonders fleißig waren, so dass sie einen ganzen Tageslohn verdienen. Er sagt vielmehr zu dem Klagenden: „Mein Freund, bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?“

Ja sicher, das waren sie. Sein waren sogar froh über die Absprache. Sie war gut. Der Tag war gerettet, bis dann die zuletzt angekommenen auch einen Silbergroschen bekamen. Dann wird der eigene Silbergroschen weniger wert, finden sie. Der Weinbergbesitzer sagt: „Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?“

Es ist kein moralischer Zeigefinger, was die zornigen und gekränkten Leute hier vorfinden. Es ist eine unvorstellbare Güte. Die Leute bekommen einen Silbergroschen. Alle bekommen so viel, dass der Tag gerettet ist, auch wenn sie nicht zu einem ganzen Silbergroschen berechtigt sind. Dieser Weinbergbesitzer ist offenbar nicht darauf fixiert, was die Leute verdienen. Er ist großzügig über alle Maße. Die Zornigen sind nicht zornig, weil sie zu wenig bekommen haben, sie sind wütend, weil es den anderen so gut geht. Eigenes Glück ist gut, aber das Unglück anderer ist auch nicht zu verachten. Dass es anderen gut geht, obwohl sie das nicht verdient haben, können wir nur schwer ertragen.

Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin? Das ist eine scharfe Frage. Ist es in Wirklichkeit die Güte, die dir missfällt? Kannst du es nicht ertragen, dass deinem Bruder Gutes widerfährt?

Man kann gut merken, dass es hier nicht um Lohnpolitik geht. Es geht nicht um die Verhältnisse am Arbeitsplatz. Es geht hier im Gleichnis um das Reich Gottes. Das Reich Gottes ist dort, wo das Vorzeichen für das Leben der Menschen nicht Selbstgerechtigkeit ist, nicht Neid, sondern unverdiente Güte – das, was wir Gnade nennen: Dass das, wovon wir Menschen leben, uns grundlegend geschenkt wird.

Als der dänische Dichter Henrik Pontoppidan mit seinem erst en Kind auf dem Arm stand, sagte er: Wir sind insolvente Schuldner. Er wusste in seinem innersten Wesen, dass all das Gute, was uns hier im Leben widerfährt, gänzlich unverdient ist. Wir sind stets Schuldner, und das ist gut so.

Der dänische Autor C.V. Jørgensen sagt es so: „Bereichert und bodenlos verschuldet“. Und das ist auch gut so. Wir sind reich, weil uns der Reichtum geschenkt ist – sonst wären wir arm, wieviel wir auch besäßen.

Es wäre völlig fehl am Platz, seine Eltern zu fragen: Was kriege ich dafür, dass ich euer Sohn oder eure Tochter bin? Oder den Geliebten bzw. die Geliebte zu fragen: Was bekomme ich dafür, dass ich dich liebe? Oder welchen Sinn macht es zu fragen: Was bekomme ich dafür, dass ich mich morgens über den Sonnenaufgang freue? Oder dafür, dass ich meine Arbeit mache und mein Bestes gebe? Du bist grundlegend gar nicht berechtigt, dafür bezahlt zu werden. Das ist ja dein Leben, das dir gegeben ist. Es ist ja dein Leben, Sohn oder Tochter, Nachbar, Mann oder Frau zu sein, morgens aufzustehen. Keiner schuldet dir etwas. Wir haben viel mehr empfangen als wir verdienen.

Christus kommt nicht mit dem, was wir unter Gerechtigkeit verstehen. In der Nacht, als er verraten wird, reicht er Brot und Wein an Judas und Johannes, an Gute und Böse, Schuldige und Unschuldige. Hier begegnen wir einem Großmut, der Tiefe einer Liebe, die keiner ergründen kann, ohne die aber keiner leben kann. Er reicht uns unseren täglichen Silbergroschen.

Deshalb: Nimm ihn – und gehe!

Oder wie auf einem Schild an einem Wirtshaus in Kopenhagen steht: Sie meinen vielleicht nicht, dass sie so behandelt wurden, wie Sie es verdienen – Seinen sie froh darüber! Amen.

Pastor Anders Kjærsig

DK 5881 Skårup

Email: ankj(at)km.dk