
Matthäus 20,1-16
Mehr als zusteht | Mt 20, 1 – 16 | Septuagesimae | 16.02.2025 | Michael Plathow |
Mt 20, 1 – 16: „Mehr als zusteht“
Kurzpredigt
EG 452, 1 – 3, 5
- Liebe Gemeinde, da sagt eine Frau im Rückblick – auch nach schweren Schicksalsschlägen – :“Ich war mir immer irgendwie sicher, dass sich für mich im Leben alles gut führen würde – und so kam es auch“.
Dass Schicksal nicht allein menschliches Machen, eben Machsal, ist – nach dem Motto: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ – sagt sprichwörtliche Lebensweisheit: „Der Mensch denkt, Gott lenkt“. Dass Gott mit dem Pseusonym „Zufall“, Zu-Fallendes, die Grammatiken des Lebens schreibt, war dieser Frau gewiss. „Gott aber hat es zum Guten geführt“, worauf die Josefsnovelle des Alten Testaments sich fokussiert (Gen 50, 20).
So erzählt die gehörte Parabel Jesu vom Reich Gottes: allen, gerade den Spätkommenden, den Verhinderten und Behinderten, den Abgehengten und Zukurzgekommenen verheißt Jesus gerechten Lohn:
Ein Landwirt wirbt früh am Morgen Arbeiter für seinen Weinberg an; über einen Silbergroschen als Tageslohn wird er als Arbeitgeber mit den Arbeitnehmern einig. Es ist ein akzeptabler Verdienst. Zur dritten Stunde dingt er weitere Tagelöhner und wird einig über das, was recht und billig ist. In der Mittagshitze der sechsten Stunde stellt er wieder Arbeiter zu denselben Konditionen ein und dann abermals zur neunten Stunde. Und als er Arbeitssuchende am frühen Abend zur elften Stunde sieht, wirbt er auch diese zur Arbeit im Weinberg an.
Am Ende des Tages zahlt er allen durch den Verwalter den Lohn aus. Es kamen zuerst die Arbeiter, die der Landwirt am Abend zur elften Stunde gedingt hatte; da empfing jeder einen ganzen Silbergroschen. So auch die zur neunten, sechsten und dritten Stunde. Als nun die „Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen“. Sie murrten, als sie den vereinbarten Silbergroschen als Lohn empfingen. Hatten sie nicht über den ganzen Tag bei stechender Mittagssonne die schweißtreibende Arbeit geleistet? Und nun der gleiche Lohn wie die Spätgekommenen? Soll das etwa leistungsgerecht sein? Man vergleicht; man murrt, ist wütend, empört. Der „scheele Blick“ des „bösen Auges“ lässt Neid aufsteigen. Neid durch Vergleichen gegenüber dem, der mehr hat, weckt oft das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, ein Ressentiment, das Hass erregt gegen den, der bevorzugt zu sein scheint.
Im Zusammenleben der Menschen kennen wir das. Im gesellschaftlichen und politischen Geschehen erfahren wir das heutzutage in einer Zeit der Extreme. Nicht selten eskaliert Neid über Hetze in Hass; Hass aber spaltet im Privaten, Sozialen und Politischen. Gesteigert durch den Einsatz von verbaler und physischer Gewalt, wird Leben verletzt und Zukunft zerstört.
- Und der Landwirt? Liebe Gemeinde, er erinnert die unzufrieden Murrenden: „Einig geworden sind wir doch über einen Silbergroschen: verabredeter Lohn. Nimm und geh. Den Spätgekommenen will ich dasselbe geben, frei, weil ich gütig bin“.
Was menschlichem Gerechtigkeitsgefühl widerspricht, das ist Gottes frei schenkende Güte, die segnet mehr als zusteht . Das ist der eigentliche Kern des Gleichnisses. Da, wo menschliche Maßstäbe bilanzieren: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, da lässt Gottes Güte Spätkommenden mehr zukommen, als sie verdient haben.
In dieser „Gegenwelterzählung“ Jesu aus dem Arbeitsleben geht es nicht um abstraktes Berechnen von „Barmherzigkeit und Gerechtigkeit“ oder um den juridischen Grundsatz „Gnade vor Recht“.
Jesu Predigt vom Reich Gottes erzählt vielmehr von Gottes freier Güte, die menschliche Vorstellungen aus den Angeln hebt. Menschen, Mitmenschen und Mitwelt leben aus Gottes unverfügbarer Güte. Leben kann man sich nicht selbst geben; Leben wird gegeben, ist Geschenk.
- Liebe Gemeinde, wir leben aus Gottes freier Güte. Und mehr als wir verdienen, wird gegeben. Wir sind Beschenkte; grundlegende Dankbarkeit kann uns erfüllen für die kleinen und großen Dinge des Alltags: der neue Tag, die Menschen für und mit uns, Studienmöglichkeit, Gesundheitsversorgung, Recht und Rechtsstaatlichkeit, usw. Segensgaben sind es, die uns dankbar „Täglich zu singen“ stimmen lassen: „Ich danke Gott und freue mich wie´s Kind zur Weihnachtsgabe; dass ich bin, bin …“; und dass ich Hoffnung habe, die weit über das Alltägliche hinaus geht. Hinsehen können wir, um Gottes tagtäglich erfahrene, menschliches Rechnen durchbrechende Güte wahrzunehmen. Das zeigt der Blick des Glaubens. Er klärt auf, schafft Durchblick, eröffnet Sinn: eine neu Wirklichkeit, erblicken, weil angeblickt, erkennen, weil erkannt von Gottes Gegenwart.
Und mit dieser Gleichniserzählung Jesu vermag der Glaubende Ja zu sagen auch „zu den Überraschungen“, die seine Pläne durchkreuzen, die Träume zunichte machen, dem Tag eine ganz andere Richtung geben – und gerade zum Mehr, als ihm eigentlich zusteht, wie die Spätgekommenen in der Parabel erfahren. Es ist kein Zufall. (Dom Helder Camara, Mach aus mir einen Regenbogen, München-Zürich (Pendo-Verlag), 1981).
- Betrachten wir nun, liebe Gemeinde, das Gleichnis auch von den anderen Arbeitern her, die meinen troz abgesprochener Vergütung zu kurz zu kommen. Hier sei für sie mit dem Apostel Paulus gesprochen: “Jeder wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit“ (1. Kor 3, 8).
Jesu Gleichnis vom Reich Gottes weckt da auch Sozialkritik an der damaligen Arbeitswelt: Mangel an Arbeit, Arbeitssuche und Arbeitslosigkeit; Schrei nach gerechten Arbeitsverhältnissen und leistungsgerechter Bezahlung.
Der Glaube aus dem Geschenk der Gerechtigkeit Gottes ist es da, der für Recht und Gerechtigkeit Anderer verantwortlich ist. Es ist der Glaube, der ins Leben mit mehr sozialer Gerechtigkeit führen will.
Immer wieder – leider sehr spät – ließen sich Christen und Kirchen herausfordern von den Opfern ungerechter sozialer Strukturen. Viel Engagement von Christen und viele Erklärungen der Kirchen nach dem II. Weltkrieg bis heute setzen sich ein für den Wert der Arbeit, für die Verbindung von Arbeit, Kapital und menschliche Person. Sie prangern an soziale Mißstände, eine unverhältnismäßige Spannen in der Bezahlung bei Konzernen sowie ausbeutende Arbeitsverhältnisse in Billiglohnländern. So erweist sich der Glaube, der verantwortlich gelebt wird für mehr soziale Gerechtigkeit derer, die zu kurz kommen, die nicht teilhaben an Profit und Erfolg, für die Opfer.
- Liebe Gemeinde, kehren wir zum Kern von Jesu Gleichnis zurück: Auch wir sind „Spätkommende“, aber nicht zu spät Kommende. Mehr als uns zusteht, wurde uns tagtäglich gegeben und wird uns heute einzig geschenkt: Jesus Christus, Bruder und Herr, ist da, da für die, die zu ihm gehören, und für die ganze Welt, für uns. Er schenkt sich. In ihm zeigt sich Gottes Gerechtigkeit als erbarmende Liebe und vergebend-befreiende Güte. Er ist der Kyrios, mächtiger als alles, was Gott und Gottes Willen für Liebe und Gerechtigkeit zuwider ist.
Und dieses Grund legende, Leben bestimmende Vertrauen auf Gott lässt erfahren die Zuversicht der eingangs erzählten Geschichte, in der die Frau sagt: „Ich war immer irgendwie sicher, dass sich für mich im Leben alles gut führen würde – und so kam es auch“, eben „dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen … „ (Röm 8, 28).
Der Glaube an Jesus Christus, unserem Bruder und Herrn, möge uns täglich neu wahrnehmen lassen Gottes freie Güte, die mehr gibt als uns zusteht. Amen.
EG 342, 1, 6 – 8
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Michael Plathow
michael@plathow.de