
Matthäus 20,1-16
Die Letzten und die Ersten | Septuagesimae | 16.2.25 | Mt 20,1-16 | Suse Günther |
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN
Das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Er wurde mit den Arbeitern einig über einen Silbergroschen als Tageslohn und sandte sie in seinen Weinberg. Um die dritte Stunde ging er wieder los und sah welche müßig stehen auf dem Markt und sprach sie an: „Geht auch ihr in den Weinberg, ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin.
Wieder ging er um die sechste und neunte Stunde und machte es ebenso. Um die 11te Stunde ging er wieder los und fand Leute stehen, sprach sie an: „Was steht ihr den ganzen Tag herum?“ und sie antworteten: „Es hat uns niemand eingestellt.“ Da schickte er sie auch in den Weinberg.
Als es Abend wurde, rief der Herr des Weinbergs seinen Verwalter und sagte: „ruf die Arbeiter und gib ihnen ihren Lohn und fang beim letzten an bis zum ersten. Da kamen die, die zur elften Stunden eingestellt worden waren, und jeder bekam einen Silbergroschen. Als nun die Ersten an der Reihe waren, meinten sie, sie bekämen mehr, aber auch sie erhielten einen Silbergroschen. Da beschwerten sie sich und sprachen: Die letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und doch hast Du sie uns gleich gestellt, obwohl wir den ganzen Tag in der Hitze gearbeitet haben.
Er antwortete aber und sagte: „Mein Freund, ich tue Dir nicht Unrecht. Bist Du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen als Lohn? Nimm, was Dein ist und geh. Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie Dir. Oder habe ich nicht die Macht, das zu tun, was ich will mit dem, was mein ist? Schaust Du so verärgert, weil ich so gütig bin?
So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten.
Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz
Liebe Gemeinde!
Wieder einmal erzählt Jesus ein Gleichnis, das so mitten aus dem Leben gegriffen ist. Denn genauso läuft es im Orient. Und inzwischen auch in Europa bei so manchem Subunternehmer: Die Leute stehen morgens da und warten, ob einer vorbeikommt, der sie als Arbeiter braucht. Und dann kommen die Arbeitgeber und sammeln die ein, die ihnen brauchbar erscheinen, ab in den Lastwagen und hin aufs Spargelfeld. Oder auf die Baustelle…
Kein Arbeitsvertrag, kein Mindestlohn. Keine Lohnsteuer.
Die erste Stunde, das ist in biblischer Zeitrechnung 6.00h morgens. Die elfte Stunde wäre also bei uns 17.00h abends.
Noch eine Stunde zu arbeiten bei einem 12 Stunden Tag.
Nachvollziehbar für uns, dass die, die die vollen 12 Stunden geschuftet haben, sich beschweren, dass die anderen genauso viel bekommen. Nachvollziehbar aber auch, dass der Arbeitgeber dagegenhält: Ihr habt bekommen, was vereinbart war. Ihr habt bekommen, was Euch zusteht.
Immer wieder erzählt Jesus Gleichnisse. Ein Gleichnis ist eine Geschichte, die uns anspricht, weil sie etwas gleicht, was wir selbst kennen. Es ist immer aber auch eine Geschichte, die den Zweck hat, uns zum Nachdenken anzuregen. Deshalb, weil sie über unser eigenes Erleben, unseren eigenen Horizont herausführen soll. Gleichnisse wollen und sollen unseren Blick weiten. Sie sagen mehr, als es auf den ersten Blick scheint.
Sie sind deshalb zeitlos. Jesu Gleichnisse sind 2000 Jahre alt, sind aber in der jeweiligen Zeit der Zuhörer aktuell. Vor 1000 Jahren sind sie anders zu verstehen gewesen als vor 100 oder heute. Weil die jeweilige Gegenwart der Zuhörerinnen und Zuhörer anders war. Die Frage ist also: Was kann uns dieses Gleichnis heute im Leben sagen? Wo gibt es Situationen, wo die Worte Jesu heute treffend sind?
Es wird Ihnen so manches einfallen. Ich möchte den Blick lenken auf eine Situation, die derzeit alle bewegt: Auf die Situation an unseren Grenzen. Wir, die wir hier geboren sind und aufgewachsen, wir sind die, die von Anfang an dabei waren. Wir haben gearbeitet und bekommen den ausgemachten Lohn insofern, dass wir einigermaßen abgesichert leben können, dass wir krankenversichert sind.
Es gibt dann welche, die später gekommen sind. Denen man nur noch am Namen anmerkt, dass sie Vorfahren aus einem anderen Land gekommen sind. Die Sprache ist längst fließend, ja sogar dialektgefärbt. Keine Frage, auch die sollen ihren Silbergroschen haben.
Dann gibt es die, die noch später gekommen sind. Die ihren Deutschkurs absolviert haben und arbeiten. Auch denen werden wir ihren Silbergroschen nicht absprechen wollen.
Aber dann gibt es die, die ganz zum Schluss noch hinein wollen ins Land.
Sollen wir die genauso behandeln wie die anderen, können wir uns das leisten? Ist das gerecht gegenüber denen, die den ganzen Tag in der Sonne geschuftet haben? Oder noch deutlicher gesagt: Machen uns da die Worte des Arbeitgebers nicht sogar Angst: So werden die Ersten die Letzen sein und die Letzten die Ersten? Ist es nicht so, dass wir genau davor Angst haben, dass die, die da nun alle kommen wollen, uns von unsrem Platz vertreiben? Unser Sozialsystem und unsere Löhne soweit überfordern, dass sie nicht mehr gezahlt werden können, dass also auch die, die von Anfang an dabei waren, ihren Silbergroschen nicht mehr bekommen können?
Wie gesagt: Bei Jesu Worten handelt es sich um ein Gleichnis. Ein Gleichnis stellt eine Sache immer verkürzt dar.
Es geht um die Kernaussage, die uns etwas mitteilen will, das wir in unsre jeweilige Zeit übertragen müssen und für uns hören.
Und diese Kernaussage ist zeitlos:
Wir haben etwas bekommen, das wir uns erarbeitet haben und dass uns deshalb zusteht. Steht es auch anderen zu, die ebenfalls sich eingesetzt hätten, aber nicht von Anfang an die Chance bekommen haben? Jesus sagt eindeutig „ja“. Die anderen können nämlich nichts dafür, dass sie nicht oder erst verspätet zum Zug kamen.
Wir in unsrer Zeit haben den Auftrag, den im Gleichnis der Arbeitgeber hatte: Nämlich dafür zu sorgen, dass es gerecht zugeht einerseits. Und zweitens dafür zu sorgen, dass der Ärger von einigen nicht den ganzen Laden in Gefahr bringt.
Ich habe 20 Jahre lang als Krankenhausseelsorgerin gearbeitet. Ich kann ihnen sagen, dass 40 Prozent der Ärzte und Pflegekräfte und 80 Prozent der Mitarbeitenden in Küche und Reinigung keinen deutschen Pass haben. Über Baustellen und Handwerksbetriebe müssen wir ja gar nicht reden. Die Argumentation „alle, die hier arbeiten wollen, sind ja willkommen“ greift nicht. Denn die, die da arbeiten, sind ja auch irgendwann gekommen und mussten alles erst lernen. Meine Schwester hat 2015 einen allein reisenden afghanischen Jugendlichen aufgenommen als Pflegekind. Das wäre dann einer von denen, die im Gleichnis zur neunten Stunde erst vom Arbeitgeber eingesammelt wurden. Er konnte damals kein Wort Deutsch und hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Schule besucht. Heute spricht er fließend und ist als Altenpfleger im Sankt Barbara Heim Sankt Ingbert unglaublich beliebt. Ich weiß das, weil ich die Leute, die in der dortigen Einrichtung leben und die ich dann bei einem Krankenhausaufenthalt besucht habe, von genau diesem jungen Mann habe schwärmen hören.
Ein Einzelbeispiel? Sicherlich nicht. Aber, das weiß auch ich: Es gibt die anderen, die sich nicht integrieren, die Straftaten begehen. Eine große Leistung haben in den vergangenen 10 Jahren die erbracht, die in Schulen und Deutschkursen und Arbeitsämtern dazu beigetragen haben, alle die wie wir sagen „ zu integrieren“ oder wie Jesus gesagt hätte: „mit in den Weinberg zu nehmen“. Eine große Leistung haben auch die vollbracht, die sich auf den Weg in eine unsichere Zukunft gemacht haben, die nicht aufgegeben haben.
Wie es für uns alle weitergehen kann, so dass alle ihren Silbergroschen weiter bekommen, das versuchen wir durch die kommende Wahl zu steuern. Hoffentlich gelingt es.
Aber eines, was damals die Arbeiter im Weinberg offenbar vergessen hatten, dürfen wir nicht vergessen: Die, die ganz zum Schluss dazu kamen, haben einen wichtigen Beitrag geleistet. Wer erst um 17.00h mit unverbrauchter Arbeitskraft dazu stieß, der konnte die, die seit morgens in der Sonne standen, so richtig entlasten. Vielleicht konnte sich einer von denen jetzt endlich in den Schatten setzen und Pause machen.
Will sagen: Wir profitieren voneinander. Dazu ist es nötig, einander anzuerkennen. Und nicht abseits stehen zu lassen.
Viel ist gerade hier im Raum Blieskastel geschehen, um es miteinander gut sein zu lassen. Wir profitieren voneinander. Im täglichen Miteinander und in den Dienstleistungen.
Die Ersten werden die Letzen sein? Soweit muss es nicht kommen.: Wenn wir es miteinander angehen. Wenn wir es miteinander angehen, statt uns übereinander zu beschweren wie im Gleichnis, dann können wir alle unseren Silbergroschen erhalten und uns darüber freuen. AMEN
Suse Günther, Pfarrerin in Mimbach-Webenheim-Böckweiler