
Matthäus 21,1-11
1.Advent | 01.12.24 | Mt 21,1-11 | Dr. Christoph Meyns |
Predigt zum 1. Advent 2024
über Mt 21,1–11
1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus 2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! 3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.
4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: 5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und [zwar auf] einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«
6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7 und brachten [die Eselin und] das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.
8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? 11 Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.
Mt 21,1–11
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Diesen Moment werden einige der Bewohner des Badeortes Denmark an der Westküste Australiens wohl nicht vergessen: Anfang November stieg plötzlich ein Kaiserpinguin aus dem Wasser und watschelte an den Strand. Er zeigte zur Freude der Badegäste keinerlei Scheu und mischte sich mitten unter sie. Kaiserpinguine gibt es eigentlich nur in der Antarktis. Das Tier war vermutlich von einer Meeresströmung tausende von Kilometern nach Norden getrieben worden, ein äußerst seltener Besucher und ein beglückendes Erlebnis für diejenigen, die dabei waren.
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Ein beglückendes Ereignis anderer Art erleben die Menschen, die in den Tagen vor dem Passahfest um eines der Stadttore von Jerusalem herum die Pilger beobachten, die in die Stadt strömen. Das Land ist von den Römern besetzt. Immer wieder kommt es zu politisch motivierten Gewalttaten, gerade im Vorfeld der großen Feste. Pontius Pilatus hat seine Truppen in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die Lage ist angespannt.
Mitten in dieser Anspannung reitet Jesus ein, nicht auf einem Schlachtross oder einem Streitwagen wie die Mächtigen seiner Zeit, sondern auf einem Esel, dem uralten Symbol für Freundlichkeit, Milde und Sanftmut. Jesus zeigt sich als König, aber einer, der ganz anders ist: ein König wie ein guter Freund, ein liebevoller Vater oder ein aufmerksamer Arzt – freundlich, wohlwollend, hilfsbereit. Für die, die das erleben, ist es ein ergreifendes, ein hoffnungsfrohes Zeichen. Eine alte Prophezeiung wird wahr, sie jubeln. Einige ziehen aus Begeisterung sogar ihr Kleidung aus wie Fußballspieler ihr Sport-Trikot nach einem wichtigen Tor und legen sie auf die Straße. Andere benutzen dafür Zweige von den umliegenden Bäumen. Ein Moment höchster Beglückung.
Wir hören die Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem zu Beginn einer Adventszeit, die selten so angespannt war wie in diesem Jahr. Die Regierung ist zerbrochen, die Wirtschaft angeschlagen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine geht ins dritte Jahr, die europäische Sicherheitsarchitektur liegt in Trümmern. Der Verteidigungsminister mahnt, Deutschland müsse kriegstüchtig werden. Hinter den Kulissen werden Notfallpläne für den Ernstfall erarbeitet. Dazu der Krieg im Nahen Osten und die Aussicht auf eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump. Hass und Zerstörungswut sind auf dem Vormarsch – „Winter is coming“.
In diese Zeit hinein kommt Jesus Christus zu uns am Beginn der Adventszeit als sanftmütiger Friedenskönig. In ihm begegnet uns der neue, große Frieden mit Gott und ein neues Leben in Gottvertrauen, Zuversicht und Liebe. Für mich ist es in dieser Advents- und Weihnachtszeit wichtiger denn je, dass ich einkehre in diesen Frieden und in das Glücksgefühl, damit einhergeht, damit ich mich von der Dunkelheit dieser Tage nicht in den Bann ziehen und ängstigen lasse; damit ich guten Mut behalte und die Hoffnung nicht aufgebe, dass sich die Dinge zum Guten wenden können; damit ich meinen Teil dazu beitrage und nicht den Kopf in den Sand stecke.
Nun mögen einige sagen: „Was kann die Erinnerung an Jesus Christus, den sanftmütigen Friedenskönig, schon ausrichten gegen die Dunkelheiten, die im Moment aufziehen?“ Da ist etwas dran. Probleme verschwinden nicht einfach, das gilt auch für Jesus. Er wird kurze Zeit nach dem Einzug in die Stadt von einem seiner Jünger verraten. Er wird verhaftet und zum Tode verurteilt. Eine andere Menge wird an anderer Stelle seine Kreuzigung fordern, anstatt ihm zuzujubeln. Jesus wird hingerichtet. Aber auch das ist nicht das Ende. Am Ostermorgen erwächst daraus ein neuer Anfang. So wird die kommende Zeit auch für uns wohl beides bereithalten: Höhen und Tiefen. Aber der Friede in Jesus Christus lebt und wirkt in der Welt – in, mit und unter aller Dunkelheit.
Dazu zwei Beispiele: Immanuel Kant beschrieb 1783 in seiner Schrift „Vom ewigen Frieden“ auf der Basis christlicher Wertvorstellungen politische Maßnahmen, die dem Frieden dienen. Er forderte unter anderem die Abschaffung der Sklaverei und das Ende der Kolonisierung zugunsten eines gleichberechtigten, gastfreien Miteinanders. Er entwarf die Idee zwischenstaatlicher Beziehungen auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge. Aufgrund der Napoleonischen Kriege geriet die Schrift in Vergessenheit. Erst im 20. Jahrhundert sind seine Ideen umgesetzt worden. Präsident Woodrow Wilson regte von Kant inspiriert die Gründung des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg an. Ihr folgten nach dem Zweiten Weltkrieg die Gründung der UNO und die Verabschiedung der Charta der Menschenrechten, die Entlassung der Kolonien in die Selbstständigkeit und die vertiefte Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Ja, das alles reicht noch nicht aus. Und ja, es gibt auch Rückschritte. Aber ohne die im christlichen Glauben angelegte friedensstiftende Grundhaltung wäre das alles nicht geschehen. Und ich bin sicher, diese Grundhaltung wird auch in Zukunft Früchte tragen.
Zum anderen rückt heute insbesondere die Aktion „Brot für die Welt“ in den Blick. Sie setzt sich seit vielen Jahrzehnten ein für die Bekämpfung von Hunger, für Gesundheit und Bildung, für die Rechte von Frauen und die Bewahrung der Schöpfung. „Wandel säen“, so heißt das Motto der diesjährigen 66. Aktion. In Burundi etwa ist jedes zweite Kind mangelernährt. Die Partnerorganisation Ripple Effect schult deshalb Bäuerinnen und Bauern in nachhaltiger Landwirtschaft. Im hügeligen Nordwesten Vietnams leben vor allem Angehörige ethnischer Minderheiten – viele von ihnen in großer Armut. Die Aktion „Brot für die Welt“ unterstützt eine Frauenorganisation, die das ändern will durch den Anbau von Zimt. Beispiele für zahllose Projekte, die in den letzten 65 Jahren den Frieden Christi in die Welt getragen haben.
Die Adventszeit ist eine Zeit der Besinnung auf den Frieden, der uns in Jesus Christus geschenkt ist. Lasst euch anstecken von der Freude über diesen Frieden. Denn daraus wächst die Kraft, den Dunkelheiten unserer Zeit etwas entgegenzusetzen und nicht zu verzagen, sondern sich dafür einzusetzen, dass weniger Krieg wird und mehr Frieden, weniger Hass und mehr Liebe.
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Der Kaiserpinguin in Australien war reichlich erschöpft von der langen Reise. Derzeit wird er in einer Tierpflegeeinrichtung aufgepäppelt, um ihn für die Rückreise fit zu machen. Die Australier haben ihn auf den Namen Gus getauft nach Kaiser Augustus, eine schöne Verbindung zum Weihnachtsfest. Wir haben zuhause eine Krippe mit lauter aus Holz geschnitzten Tierfiguren. Für diese Krippe gibt es tatsächlich auch einen Pinguin. Ich denke, ich werde ihn in diesem Jahr kaufen und ihn vor die Krippe stellen.
Euch allen eine gesegnete Adventszeit.
Amen.