Matthäus 21,1-11

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Sanftmütig und gerecht |1. Advent | 01.12.2024 | Predigt zu Mt 21,1-11 | von Sabine Handrick |

Liebe Gemeinde

Menschen, die die Wahl haben, wenden sich zunehmend wieder dem sogenannten «starken Mann» zu – vgl. die jüngsten amerikanischen Wahlergebnisse. Da wird ein Mann zum Präsidenten gewählt, der wirtschaftlichen Aufschwung verspricht. Seine Menschenverachtung und Frauenfeindlichkeit, sein Lügen und Betrügen hindern die Leute nicht. Sie hoffen auf ihn wie auf einen Heilsbringer: «Make America great again» … und sie jubeln und jubeln.

Man mag sich verwundert die Augen reiben – aber so sieht die Gegenwart aus.

Nicht nur im Westen setzt sich eine aggressive Form von Männlichkeit durch: Die Pose der Stärke beherrscht der Autokrat im Osten seit langem mit diktatorischer Härte nach innen und unfassbarer Brutalität nach aussen, nun auch noch offen unterstützt durch den Diktator aus dem fernen Osten. Bei ihnen sehen wir eine brandgefährliche Haltung, die auch bei Politikern, Wirtschaftsführern, Tech-Milliardären und superreichen Oligarchen vorkommt … Aus der Position der Stärke, vom sprichwörtlich «hohen Ross» schauen sie auf alle anderen herab.

Der Einzug nach Jerusalem, wie uns das Matthäus-Evangelium (21,1-11) beschreibt, stellt uns das Gegenbild dazu vor Augen. Jesus setzt sich bewusst ganz anders in Szene. Er kommt als König, aber nicht hoch zu Ross daher, sondern auf einem Esel, einem geliehenen noch dazu!

Wir wissen, dass in Israel Esel durchaus als königliche Reittiere genutzt wurden, selbst König Salomo ritt auf einem Esel. Und wer «Esel» nur als Schimpfwort kennt, mißversteht diese Tiere sehr. Sie sind treu, klug und gutmütig – gerade diese Eigenschaften machen sie zu einem zuverlässigen Begleiter des Menschen. In Gefahrensituationen, bleibt ein Esel lieber stehen, wägt ab und geht nicht durch wie ein Pferd, das seinem Fluchtinstinkt folgt.

Wenn Jesus nun eine Eselin und ihr Fohlen wählt, dann mit Absicht. Und dass er beide braucht – Eselin und Füllen – ist durchaus tiergerecht. Esel oder Eselin sollten niemals allein gehalten werden. Es braucht immer einen Artgenossen.

Liebe Gemeinde! Ich möchte uns heute für unser Nachdenken ein Gemälde vor Augen stellen. (Bild einblenden!) Es stammt von einem jungen, expressionistischen Maler, der leider nicht so berühmt ist wie z.B. Franz Marc von der Künstlergruppe «Blauer Reiter». Als Anfang des 20. Jahrhunderts der Expressionismus die Kunstgeschichte revolutionierte, erzielten diese Maler mit ungewöhnlicher Farbgebung grosse Wirkung. Mit intensiven, leuchtenden, grossflächigen, «unrealistischen» Farben malte Franz Marc eben blaue Pferde oder violette Esel. Ähnlich ausdrucksstark waren die Bilder von Wilhelm Morgner. Er würde in einer Reihe mit den bekannten Protagonisten genannt werden, wäre er nicht als 26jähriger auf dem Schlachtfeld des 1. Weltkriegs gestorben.

1912 entstand dieses Bild. Es berührt mich sehr.  «Einzug in Jerusalem» von Wilhelm Morgner – schauen wir es an. Tauchen wir ein in die Welt dieses Bildes und lassen wir uns Zeit, es auf uns wirken zu lassen. Vielleicht entwickelt es sogar einen Sog, dass Ihr Euch selbst hineinversetzt und die erwartungsvolle Stimmung spürt und die Hoffnung und die Energie dieses Augenblicks…

Rot, grün, gelb und blau leuchten uns die starken Farben entgegen. Im Reittier vereinen sich alle. Der Reiter bewegt sich sicher durch die Menge. Die fliessenden Farben schaffen Verbindungen zwischen den einzelnen Figuren. Besonders das Rot fällt auf, das beim reitenden Jesus und im bittenden Menschen am Boden vorkommt. Das Grün der Palmwedel formt eine Kuppel über den Köpfen der Personen: Eine bewegte Kathedrale aus Zweigen bildet sich, als Jesus durch das Spalier der Menschen reitet.

Dein Zion streut dir Palmen und grüne Zweige hin,
und ich will dir in Psalmen ermuntern meinen Sinn.
Mein Herze soll dir grünen in stetem Lob und Preis
und deinem Namen dienen, so gut es kann und weiß
.“

Die zweite Strophe aus Paul Gerhards Lied: „Wie soll ich dich empfangen?“, geht mir beim Betrachten durch den Sinn.

Ja, wirklich, das ist die Frage: Wie empfangen wir Jesus? Wie lassen wir ihn zu uns kommen?

Advent als Zeit der Vorbereitung wird oft dazu genutzt, um mit vielen grünen Zweigen die Wohnungen und Häuser zu dekorieren. Wir schmücken unsere Stuben mit Tannengrün, immergrünem Ilex und Mistelzweigen – sieht schön aus, keine Frage. Aber ist das gemeint?

Mein Herze soll Dir grünen …? Wie machen wir das?

Ich denke, dass wir uns angesichts der Krisen unserer Gegenwart, nicht die Hoffnung rauben lassen dürfen, sondern dass wir uns Zeit nehmen sollten für das Echte, Lebendige, die grünende Kraft in unserem Alltag. Ja, ich weiß, besonders im Advent ist es schwer, nicht in Stress und Hektik zu geraten.  Aber wer sagt denn, dass Weihnachten perfekt sein muss?

Gottes Sohn kommt > zu uns. Da gerät mitunter alles durcheinander, sogar die Farben.

Ein weiteres Lied schwingt hier mit – Tochter Zion: „Sieh, dein König kommt zu dir ja, er kommt, der Friede-Fürst, Tochter Zion freue dich, jauchze laut, Jerusalem!“

Frieden – was wäre das auch heute für ein Jubel, wenn wirklich Frieden würde! Frieden im Heiligen Land, Frieden im ganzen Nahen Osten, Frieden in Europas Osten, Frieden im Herzen Afrikas … – Ist das nur ein unerfüllbarer Traum angesichts der Muskelspiele jener „starken Männer“, die drohen, eskalieren und das gefährliche Spiel mit dem Feuer immer weiter treiben?

Ja, dein König kommt zu Dir – Jesus kommt uns entgegen.

Inmitten unserer widersprüchlichen Welt taucht er auf. Schauen wir, wie die Menschen auf den reagieren, der auf einem Esel reitend zu ihnen kommt. Der auf dem relativ niedrigen Esel überragt die anderen Menschen kaum – Wilhelm Morgner malt dies sehr genau. Jesus und die Menschen – sie begegnen einander auf Augenhöhe.

Doch der Staub der Straße, dem seine Füße ausgesetzt sind, soll ihn nun nicht mehr plagen. Einem „roten Teppich“ gleich bereiten sie ihm mit grünen Zweigen und Kleidungsstücken einen würdigen, ehrenvollen Empfang.

Was für eine liebevoll Geste – das eigene Gewand auszuziehen und es auf den Boden zu legen! Stück für Stück entsteht auf dem staubigen Weg ein Teppich, der eines Königs würdig ist. Auf Morgners Bild schreitet der Esel über grüne, gelbe, rote Flächen – es wird ein bunter Flickenteppich. Die dominierende Farbe am Boden des Bildes allerdings ist das Blau.

Blau – die Farbe des Himmels.

Ja, es ist ein einzigartiger Moment, als die Menschen vor den Toren Jerusalems begreifen, dass hier der Sohn des Höchsten zu ihnen kommt. In dem, was sich vor ihren Augen abspielt, erkennen sie, dass sich endlich, endlich erfüllt, was sie schon so lange ersehnen. Wie hatte der Prophet Sacharja den Friedenskönig angekündigt: „Juble laut, Tochter Zion, jauchze, Tochter Jerusalem, sieh, dein König kommt zu dir, gerecht und siegreich ist er, demütig und auf einem Esel reitend.“ (Sach.9,9) Genau dies beabsichtigt Jesus, als er bei Betphage die Eselin mit ihren Fohlen ausleihen lässt.  „Hosanna, dem Sohn Davids!“, rufen die Leute ohne Ende.

Um das Ganze noch tiefer zu verstehen, muss ich jetzt einen kleinen Einschub machen:

Das Matthäus-Evangelium erzählt eine interessante Vorgeschichte, wie es zu diesem nicht enden wollenden Sprechchor kam.

Beachten wir dafür auch die sitzende Person, die dem Reiter die Arme entgegenstreckt. Das ist einer, der den Ankommenden von ganzem Herzen empfängt. Dies lässt mich an die Begegnung denken, die Jesus kurz zuvor in Jericho (Mt. 20,30-34) hatte. Bereits dort wird Jesus von einer großen Volksmenge umringt. Der Tross trifft auf zwei Blinde, die sie aufhalten. „Hab Erbarmen mit uns, Herr, Sohn Davids!“, rufen sie und hören nicht auf. Ihr Ruf zitiert die flehentliche Bitte aus Ps. 118,25 „hilf doch!“ Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei der Kommende im Namen des Herrn!

ὡσαννά – wir sehen die Geste hier wieder. (Bild!)

Erstaunlich! Die Blinden, die ihn nicht sehen können, erkennen in ihm den lang erwarteten Nachkommen Davids, den, der im Namen Gottes kommt.

Wie ein Lauffeuer vervielfacht sich dieser Ruf. Hören wir das vielstimmige Hosanna vor den Toren Jerusalems nicht einfach nur als begeisterten Jubel, sondern als drängend-dringende Hilferufe: Herr hilf! – Himmel hilf!

Wie wird die Hilfe aussehen? All diejenigen, die auf eine machtvolle Theokratie hoffen, in der mit Gottes Hilfe alle Feinde besiegt werden, wird der Mann auf dem Esel enttäuschen. Macht und Gewalt sind nicht seine Ziele.

Die Jünger, die er um sich schart, müssen es mühsam lernen: Bei einer heißen Diskussion um die Frage ‚Herrschen oder Dienen‘ wird Jesus deutlich (Mt. 20,25-27) »Ihr wisst, dass die Herrscher über die Völker sich als ihre Herren aufführen und dass die Völker die Macht der Großen zu spüren bekommen. Bei euch soll es nicht so sein. Im Gegenteil: Wer unter euch groß werden will, soll den anderen dienen. Wer unter euch der Erste sein will, soll zum Dienst an den anderen bereit sein.“

Jesu ganzes Leben, seine Gleichnisse, seine zeichenhaften Handlungen wollen uns motivieren, es ihm gleich zu tun. Seid barmherzig wie der Samariter, der dem Verletzten hilft, ihn auf seinen Esel legt und zum nächsten Gasthaus bringt. Dient einander, habt das Wohl des Anderen im Blick, liebt eure Feinde – so wird Frieden unter die Menschen kommen.

Einfach, auf einem Esel reitet dieser so andersartige König ins Zentrum der Macht. Sein sanfter Mut zeigt den Weg zum Frieden. Er weiß durchaus, dass ihm diese Haltung Verfolgung und Tod einbringen wird und trotzdem bleibt er aufrecht und hat sein Ziel unbeirrt vor Augen.

Den Mächtigen aber wird dieser demütige König, dem die Menschenmassen folgen, zu gefährlich.

Beim Blick auf Wilhelm Morgners Bild fällt der flammende Kreis in der Eselin auf. Während sie mit blauem, kühlem Kopf den Weg durch die Menge bahnt, pulsiert ihr Zentrum, ihr Herz rot-orange glühend – die Liebe fließt über auf die Menschen, die sich nach Hilfe sehnen. So wird ihre Stärke in diesem Bild wunderbar eingefangen. Die Eselin schafft eine besondere Verbindung zwischen dem Reiter und den Menschen.

Jesus sucht nicht das Bad in der jubelnden Menge. Demütig – mit dem Mut, dem Willen Gottes zu folgen, den Weg Gottes zu gehen, reitet er auf der Eselin. Was er sucht, sind nicht Bewunderer sondern Nachfolgerinnen und Nachfolger, die sich seine Worte und Taten zu Herzen nehmen. Unbeirrt richtet er sich auf das, was vor ihm liegt.

Das Gemälde deutet das dunkle Geschehen, das auf ihn wartet, nur an. Auf den schwarzen Kreis am rechten Bildrand läuft die Bewegung des Bildes zu. Man sieht so etwas eine Pupille inmitten einer rötlichen Iris… Die rufenden Menschen ahnen noch nicht, dass Jesu Weg ans Kreuz führt.  Wilhelm Morgner will das Dunkle inmitten all der Farbigkeit nicht verschweigen. Ich denke, es ist kein Zufall, dass die ausstrahlende Sanftmütigkeit der Eselin und jenes Ziel mit der vollkommenen Kreisform gezeichnet sind. Morgner verleiht der Eselin eine Weitsicht, die über das hinaus reicht, was die Menschen zu diesem Zeitpunkt wissen.

Uns ist klar, was Jesus bevorsteht. Aber Gott überlässt seinen Sohn nicht der dunklen Nacht des Todes, sondern lässt ihn auferstehen und krönt ihn mit dem Namen, der über alle Namen ist. Gott setzt die Liebe ins Recht. Jesu Haltung der unbedingten Barmherzigkeit, des angstfreien, sanften Mutes, ist das, was Gott uns zeigen will.

Meine Lieben, sind wir Menschen, die diesen Gottessohn in ihr Leben lassen? Sind wir bereit, ihn zu empfangen? Strecken wir unsere Arme nach ihm aus? Sehnen wir uns nach seiner Kraft und seiner Liebe? Lassen wir unser Herz grünen und wachsen in der Lebenskraft, die vom Höchsten kommt?

Die Adventszeit gibt uns die Gelegenheit dazu. Allein, in der Stille, mit einer Kerze oder in froher Gemeinschaft mit anderen können wir es versuchen.

„Hosanna! Hilf doch!“, ruft die Menge. Hosanna – Erbarme dich Herr!

Dieser Ruf wird mir in der kommenden Adventszeit im Herzen bleiben.

Kraftvoll und hoffnungsvoll möchte ich schließen. Hören wir nun das Lied „Sanftmut den Männern“ von Gerhard Schöne. Er hat dazu ein südafrikanisches Lied nachgedichtet, ursprünglich in Zulu lautet die deutsche Übersetzung: „Schenke uns Kraft, o Herr! Damit wir uns nicht mehr fürchten müssen! Schenke uns Kraft, o Herr!“ Amen

Pfarrerin Sabine Handrick

Reformierte Kirchgemeinde Düdingen

pfarramt@refdue.ch

Kontexte:

Wilhelm Morgner: «Einzug in Jerusalem», 1912

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wilhelm_Morgner_001.jpg

https://www.youtube.com/watch?v=iuFwmKbI0VA

0:05-1:47

Sanftmut den Männern

S’phamandla Nkosi – Wokungesabi

S’phamandla Nkosi – Siawadinga (2x)

Sanftmut den Männern! Großmut den Frauen!

Liebe uns allen

Weil wir sie brauchen (2x)

Mut den Gejagten! Ehrfurcht den Starken!

Friede uns allen

Weil wir ihn brauchen (2x)

Flügel den Lahmen! Lieder den Stummen!

Träume uns allen

Weil wir sie brauchen (2x)

S’phamandla Nkosi – Wokungesabi

S’phamandla Nkosi – Siawadinga (2x)