Matthäus 25,1-13

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Wann kommt dein Moment? | Ewigkeitssonntag | 23.11.2025 | Mt. 25,1-13| Sabine Handrick |

Dann wird die gerechte Welt Gottes zu vergleichen sein

mit zehn jungen Frauen, die ihre Fackeln nahmen

und sich aufmachten, dem Bräutigam entgegenzugehen.

Fünf von ihnen waren gedankenlos und fünf klug:

Die sich keine Gedanken machten, nahmen ihre Fackeln mit, aber kein Öl.

Die Klugen nahmen zu ihren Fackeln auch Krüge voll Öl mit.

Als nun der Bräutigam auf sich warten ließ,

wurden sie alle müde und schliefen ein.

Um Mitternacht dann lautes Rufen:

„Da! Der Bräutigam! Macht euch auf, geht ihm entgegen!“

Da wachten die jungen Frauen alle auf und machten ihre Fackeln zurecht.

Die Gedankenlosen sagten zu den Klugen: „Gebt uns von eurem Öl, sonst verlöschen unsere Fackeln!“

„Auf keinen Fall,“ antworteten die Klugen, „für uns und euch reicht es nicht. Geht doch zu den Händlern und kauft euer eigenes.“

Während sie noch unterwegs waren um einzukaufen, kam der Bräutigam.

Die vorbereitet waren, gingen mit ihm zum Hochzeitsfest hinein.

Die Tür wurde verschlossen.

Später kamen auch die übrigen jungen Frauen

und riefen: „Herr, Herr, mach uns auf!“

Er antwortete aber: „Im Ernst, das sage ich euch: Ich kenne euch nicht.“

Also bleibt wach! Denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde.

Liebe Gemeinde, liebe Trauernde heute am Ewigkeitssonntag!

Mitunter werde ich als Spezialistin für Gottes Himmelreich angesehen. Wer könnte etwas sagen über Leben und Tod und das Danach, wenn nicht eine Pfarrerin?! Es wird erwartet, dass eine Theologin Auskunft gibt über das Leben nach dem Tod und die Auferstehung.  Mein Gegenüber erhofft sich dann eine kluge Antwort oder eine tröstliche oder eine bildhafte oder eine geistvolle…

In meinem Innern meldet sich in solchen Momenten manchmal ein stiller Seufzer: Ach, was weiss denn ich? Nicht immer fällt es mir leicht zu antworten. Ich kann nur versuchen mit dem, was ich sage, den jeweils richtigen Ton zu treffen: «Weint mit den Weinenden, freut euch mit den Fröhlichen.» (Rö.12,15)

Hilfreich sind die Bilder, die die Bibel anbietet…

die Hoffnung auf einen neuen Himmel und die neue Erde, in denen Gottes Gerechtigkeit wohnt;

oder das himmlische Jerusalem, die Stadt des Friedens, geschmückt, wie eine strahlende junge Braut oder die Hütte Gottes bei den Menschen, wo wir jener Kraft nahe sind, die uns ins Leben rief und uns trägt in Ewigkeit. Ich halte mich an die zärtlichen Geste, dass Gott die Tränen abwischen wird und wir sein werden wie die Träumenden…

Ehrlich gesagt, meine Lieben, wir wissen wenig bis nichts darüber, wie es sein wird…, wenn wir dieses Leben und diese Welt hinter uns gelassen haben. Aber wir haben Jesu Wort: «Ich lebe und ihr sollt auch leben.» (Joh.14,19)

Eines Tages, wenn wir gestorben sein werden, wird unsere Welt untergegangen sein, wie mit jedem Menschen eine einzigartige, unwiederbringliche Welt untergegangen sein wird.1

 

Angesichts des Schreckens, der uns befällt, wenn wir die Unvermeidlichkeit des Sterben Müssens erkennen, bleiben uns aber Glauben, Liebe, Hoffnung! Wie wollte man das denn sonst aushalten?

Für mich persönlich sind es die biblischen Texte und die Poesie, aus denen ich Kraft ziehe.

Im Blick auf meinen eigenen Tod sehe ich diesem Moment entgegen – mal zitternd und zagend – mal voller Zuversicht: Ich werde Gott schauen! Dann – wird klar werden, wie das Kommende sein wird.

Von Angesicht zu Angesicht werde ich erkennen und erkannt werden. (1. Kor.13,12)

Vielleicht wird’s total anders, als ich es mir vorstelle.

Und der Frieden Gottes, der höher ist alle Vernunft, wird mich umfangen… hoffentlich.

Doch über die Grenzen meiner jetzigen Vorstellungskraft komme ich nicht hinaus – bislang höre ich nur ein paar Töne jener Zukunftsmusik.

Der Tod markiert eine unüberwindliche Grenze für die Lebenden. Es gibt keinen Weg von hier nach dort.

Liebe Gemeinde: Als Hinterbliebene, als Zurückbleibende stehen wir gewissermassen vor der Tür, hinter der unsere Verstorbenen verschwunden sind. Der Tod hat uns die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Wir können noch so sehr klopfen und hämmern, sie wird sich nicht öffnen.

Wenn ein Mensch, den wir geliebt haben, stirbt, wenn eine Angehörige, ein Herzensmensch nicht mehr da ist, ist das eine schwer zu akzeptierende Realität.

Heute sind wir hier als Menschen versammelt, die ähnliche Erfahrungen teilen. Wir kennen die Leere und die quälende Stille, die kreisenden Gedanken und die Unruhe, die Sehnsucht und die Vergeblichkeit. Wir vermissen unsere Lieben schmerzlich.

Es gibt Tage, da überflutet einen die Welle des Kummers:

Sie kommt einfach nicht zurück. – Sein Bild zerfliesst vor meinen Augen.

«Wir können nicht halten, was uns nicht gehört2

Und dann dieser Bibeltext aus Mt.25– was sollen wir damit anfangen? Merkwürdig und befremdlich wirkt die Geschichte, auch irgendwie unbarmherzig und hart: Wer möchte so zurückgewiesen werden? Ich kenne dich nicht!

Knall. Tür zu.

Sie steht vor der Wohnungstür, die Hand noch an der Klingel.

Wieder und wieder hat sie auf den Knopf gedrückt, ihre Hand kann es noch nicht begreifen.

Heiss, brennend steigt Scham in ihr auf,

fliesst durch ihre Adern und überrollt sie, wie sie es vorher noch nie kannte.

Ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Das kann doch nicht sein.

Ich bin’s.

Mach auf. Bitte.

Ich höre doch, dass du da bist.

Immer, wenn sie an diesen Tag zurückdenkt, schiesst ihr die Röte ins Gesicht.

Sie weiss genau, wie sie durchs Treppenhaus hinunterstolperte und minutenlang wie erstarrt auf der Strasse stand.

In ihrem Innern tobten die Fragen: Was ist los? Was ist nur passiert? Sie wusste doch, dass ich sie besuchen komme. Warum macht sie nicht auf?

Es brauchte Jahrzehnte bis die Freundinnen wieder miteinander reden konnten.

Jahre der Funkstille, des Beschämt Seins, der Ungewissheit. Der Schmerz blieb.

Die Trauer, von der Menschen bei einem Kontaktabbruch befallen werden, lässt sich vergleichen mit dem Verlust, den wir bei einem Todesfall erleiden. Eine Freundschaft zerbricht, Schweigen lähmt. Die Traurigkeit vergeht nicht einfach, nur weil die Zeit verrinnt.

Auf den Ernstfall des Endes will Jesus seine Jünger/innen vorbereiten. Wir lesen davon in den letzten Kapiteln des Matthäusevangeliums. Es ist die Rede vom Ende der Welt, von überwältigenden Naturgewalten, bevor Gottes neue Welt kommt. Grosse Bilder werden gemalt, die existentielle Fragen berühren. Da geht es um mehr als eine verlorene Freundschaft, nämlich um Alles oder Nichts.

Wir sehen Jesus in der Rolle des Lehrenden, der mithilfe von Gleichnissen und Geschichten versucht, seine Schülerinnen und Schüler wach zu rütteln. Seine Botschaft ist kompakt und meisterhaft erzählt: Werdet Euch bewusst, was wirklich wichtig ist im Leben und im Sterben!

Betrachten wir also diese Geschichte von den jungen Frauen beim Hochzeitsfest.

Nur, machen wir nicht den Fehler, dem man eventuell erliegen könnte, den Bräutigam mit Jesus gleichzusetzen. Das wäre die falsche Fährte.

Die Schlüssel zum Verstehen finden wir am Anfang und Ende dieses Textes: „Dann wird die gerechte Welt Gottes zu vergleichen sein“ bzw. „sie wird vergleichbar sein“

Da steht kein Gleichheitszeichen wie in einer mathematischen Gleichung. Das Folgende setzt nicht gleich, sondern vergleicht. Diese Unterscheidung ist wichtig. Vergleicht und zieht Eure Schlüsse – ist Jesu Absicht. Lest und hört! Werdet klug, gewinnt Erkenntnisse für euer eigenes Leben.

Und nicht: Du wartest auf Jesus, wie jene auf den Bräutigam, der „ewig“ nicht kommt und dann bleibst du wegen Dummheit draußen vor der Tür. – Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jesus irgendjemanden beschämen wollte, im Gegenteil.

Da wir die Hochzeitsbräuche jener Zeit nicht so genau vor Augen haben, will ich kurz darauf eingehen. Junge Frauen hatten bei solchen Festen eine spezielle Funktion. Ihnen fiel die Aufgabe zu, im Dunkeln für Beleuchtung zu sorgen, denn Straßenlaternen gab es noch nicht. Da man bei diesen Anlässen nie genau wusste, wann der Bräutigam tatsächlich eintrifft, sollten die 12-15-jährigen Mädchen warten und seinen Weg beleuchten, falls er in der Nacht käme.  Diese Situation bildet den Hintergrund der Geschichte.

Für die jungen Frauen war eine Hochzeit auch eine gute Gelegenheit. Wer weiß, vielleicht ließe sich dort ein künftiger Ehemann finden? Das reicht, um Teenager für diesen Bereitschaftsdienst zu motivieren, die Aussicht auf eine große Party.

Doch es dauert und dauert und nichts passiert. Alle 10 Mädchen werden müde und schlafen ein, soweit so normal. Das wird auch gar nicht kritisiert, lediglich festgestellt. Niemand kann ununterbrochen wach und aufmerksam bleiben, wenn man eine gefühlte Ewigkeit warten muss.

Als dann endlich der Ruf erschallt, „Da! Der Bräutigam! Macht euch auf, geht ihm entgegen!“ ist der entscheidendeMoment gekommen.

Jetzt sieht man, wer parat ist und wer nicht. Die einen müssen feststellen, dass sie keine Vorräte haben und ihre Rolle als wegweisende Fackelträgerinnen nicht mehr erfüllen können. Die anderen sind vorbereitet und haben zusätzliches Öl mitgenommen. Sie können ihre Aufgabe wahrnehmen und dem Bräutigam den Weg erhellen.

Liebe Gemeinde – vergleichen wir diese Situation mit unserem Leben!

Sind wir geistesgegenwärtig und bereit, wenn wir gebraucht werden?

Können wir in den Dunkelheiten dieser Welt wenigstens ein kleines Licht anzünden?

Sind wir hilfreich und unterstützend für unser Mitmenschen?

Erfüllen wir die Aufgaben, vor die wir gestellt sind? Verhalten wir uns barmherzig und freundlich?

Begegnen wir einander mit Nächstenliebe? Suchen wir Frieden und Gerechtigkeit?

Sind wir im Alltag als Christinn/en erkennbar?

Achten wir auf die Geringsten und Schwächsten neben uns?

Ihr seid das Licht der Welt.“ (Mt.5,16), spricht uns Jesus in der Bergpredigt zu. Werden wir diesem Anspruch gerecht? Lassen wir unser Licht tatsächlich leuchten?  Wer aufmerksam und selbstkritisch durchs Leben geht, steht immer wieder vor solchen und ähnlichen Fragen.

Ein Blick auf den Kontext des 25. Kapitels im Mt.Ev. zeigt ausserdem, worauf dieses Kapitel hinauswill. Am Ende steht Jesu Rede vom Weltgericht. Dort nennt Jesus das entscheidende Kriterium: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt. 25,40)

Die Geschichte von den 10 jungen Frauen ist in diesem Zusammenhang zu sehen.

Es geht darum, den Herausforderungen des Lebens klug zu begegnen, Taten statt Worte sprechen zu lassen, wachsam zu sein statt gleichgültig oder nachlässig.

Die Klugen, Achtsamen, Besonnenen, Weitblickenden, Vorrausschauenden sind bereit, als ihr Moment kommt.  Als es auf sie ankommt, sind sie (wieder) hellwach. Es ist der Augenblick, da genau sie gefragt sind, und niemand anders. Sie verpassen ihren Kairos nicht, den Moment der Entscheidung.

Wer diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen lässt, muss mit negativen Folgen rechnen.

Genau das passiert den Dummen, Törichten, Gedankenlosen, Sorglosen, Achtlosen in Jesu Beispielgeschichte.

Sie sind Menschen vergleichbar, die ihr Haus auf Sand bauen und damit ihre Existenz aufs Spiel setzen.

Wer nicht bedenkt, welche Folgen ein Verhalten hat, wird letztlich zur Gefahr für sich und für andere.

Ihre Bitte: „Ach, gebt uns einfach was ab von eurem Öl.“ können die Klugen nur ablehnen:

Das geht nicht, ihr könnt eure Verantwortung nicht auf uns abwälzen. Wir können euch nicht eure Versäumnisse abnehmen. Ihr tragt die Konsequenzen für euer Tun oder euer Unterlassen. –

Obwohl diese Fünf sofort loslaufen, um das vergessene Öl zu besorgen, es wird nicht mehr reichen.

Der Moment ist vorbei.

Es gibt ein zu spät.

Meine Lieben, wie traurig wäre es doch, wenn erst am Grab eines Angehörigen Dankbarkeit spürbar würde.3 Nutzen wir die Zeit, die uns gegeben ist, um einander zu sagen, wofür wir froh und dankbar sind. Streicheln wir die Hand, die wir lieben. Klären wir unsere Missverständnisse und warten wir nicht 30 Jahren darauf, wie jene Freundinnen, von denen ich erzählte. Noch haben wir die Chance, einander um Verzeihung zu bitten.

Schöner als die Dichterin Rose Ausländer kann ich‘s nicht ausdrücken.

Sie sagt in ihrem Gedicht 4 „Noch bist du da“:

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Wie wir mit unserer Lebenszeit umgehen, ob nachlässig und gedankenlos oder aufmerksam und bereit, das liegt an uns selbst. Ist uns bewusst, wie kurz das Leben ist und nutzen wir unsere Tage klug, wie Psalm 90,12 bittet? Ermessen wir den Wert unserer Tage, dass wir ein weises Herz füreinander haben?

Reicht unser Vorrat an Gott-Vertrauen, wenn unsere Stunde kommt?

Jesus rät: Also bleibt wach! Denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde. Amen

Der Frieden Gottes, der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

Pfarrerin Sabine Handrick

pfarramt@refdue.ch

Anmerkungen:
1 Jacques Derrida: „Und, so werde ich sagen, ohne es mir mit einer Übertreibung leicht zu machen, die ganze Welt des anderen. Die Welt nach dem Ende der Welt. Denn der Tod ist, jedes Mal, und jedesmal einzigartig, jedesmal unwiederbringlich, jedesmal unendlich, nichts weniger als ein Ende der Welt. Nicht nur ein Ende unter anderen, das Ende einer Person oder einer Sache in der Welt, das Ende eines Lebens oder eines Lebewesens. Der Tod bereitet nicht nur jemandem in der Welt ein Ende, auch nicht nur einer Welt unter anderen; vielmehr zeigt er jedesmal, der Rechenkunst zum Trotz, das absolute Ende jener einen und selben Welt, desjenigen, was ein jeder wie eine einzige und selbe Welt eröffnet; er zeigt das Ende der einzigartigen Welt, das Ende der Gesamtheit dessen, was der Ursprung der Welt für ein solches einzigartiges Lebewesen ist (sei es nun ein Mensch oder nicht) oder als solcher erscheinen kann.“

Jacques Derrida, Hans-Georg Gadamer, Der ununterbrochene Dialog, Frankfurt am Main 2004, S.15

2 https://www.popinstitut-nordkirche.de/wp-content/uploads/2023/11/Du-bettest-die-Toten_Text.pdf

3 Immer am Grabe

wird die Erinnerung wach

stellt sich ein

verlegen

ein Zeichen der Dankbarkeit

wagt das Gefühl sich

endlich hervor

Immer am Grabe

kommen sie

die ungesagten Worte

die Tränen

kommt sie, die Liebe

zu spät

Lothar Zenetti

4 https://www.deutschelyrik.de/noch-bist-du-da.html