Matthäus 26,17-30

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Gründonnerstag | 17.04.25 | Matthäus 2617-30 (Dänische Perikopenordnung) | Von Jan Sievert Asmussen |

Jesus reicht das Brot und den Wein an Judas  und an uns

Kein anderer Glaube hätte wie der christliche Glaube in Kreuz als Symbol wählen können. Zwei sich kreuzende Linien: die Waagerechte, wie wenn man mit einer Hand den Horizont zeichnet, die weite Welt und was darinnen ist, wie es der Psalm aufzählt: „Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer“ (Ps 8) – und die Menschenkinder. Und dann die Senkrechte: ein Strich zwischen Himmel und Erde, immer unten am längsten und somit fest verankert: „was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ (Ps 8). Das Kreuz ist die einfachste Menschenfigur. Eine Gestalt wie uns selbst, wenn wir die Arme zur Welt öffnen. Zwei sich kreuzende Striche, wie Gott sie einst im Staub zeichnete, als er den Adam plante. Mit den Augen offen für alles Große und Kleine auf Erden, wie der Dichter Grundtvig über unser horizontales Leben schrieb. Und über das Senkrechte: “ … und erhöht durch die Glanz der Ewigkeit“. Das Kreuz ist in unserer Figur, in unserem Schatten und in unserem Skelett.

Das Kreuz sind jedoch auch die beiden Holzteile, an denen Jesus hingerichtet wurde. Ein Foltergerät, dessen genauen Wirkweise wir am liebsten verdrängen: Er wurde angenagelt, unfähig seine Arme zu senken. Unser Instinkt besagt uns, das Glück zu suchen und das Leiden zu meiden. Der christliche Glaube markiert sich jedoch bei jeder Gelegenheit mit diesem Schmerzenssymbol. Wenn Kinder zur Taufe getragen werden: „Nimm hin das heilige Zeichen des Kreuzes“. Es blitzt in den Halsauscchnitten junger Mädchen, bildet den Bauplan von Kirchen und ist Motiv unzähliger Gemälde mit und ohne den Gekreuzigten. Und bei jedem Osterfest wird es gezeigt und besprochen in den Worten über den Gekreuzigten.

War er ein armes passives Opfer, wie wir es in entsprechender Lage wären? War er ein Opfer des Verräters Judas, waren seine letzten Tage in Jerusalem eine Katastrophe? Nein, jeder Teilbericht auf dem Weg zum Kreuz erzählt, wie ein sinnvoller Plan sich entfaltet. Selbst Judas, der die Ereignisse in seinen eigenen Händen zu halten glaubt, ist in diesem Spiel nur ein Mittel zum Ziel.

„Meine Stunde naht“, sagt Jesus zu den Jüngern, als er sie in die Stadt schickt, um den rechten Ort für die Osterfeier zu finden. Wir erfahren nicht, wer ihnen den Raum gibt. Es heißt nur: „Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm.“ Vielleicht kannte Matthäus seine Identität und möchte ihn verbergen. Es war eine Plicht der Bürger Jerusalems, kostenloses Obdach für jeden fremden Gast zu Ostern zu ghewähren. Für Jesus spielt weder die Einladung oder die Identität des Wirtes eine Rolle. Die Initiative liegt ganz bei Jesus, dem die Stunde naht. Die Stunde am Kreuz.

Es ist auch die Stunde des Judas. Seine Möglichkeit für einen großen Ruhm. Vielleicht träumt er von jenem Moment, wenn der angekettete Jesus ihn unter den Soldaten entdecken wird und wahr werden wird, dass er, der Judas, alle Ereignisse im Griff hatte? Ein Moment des Ruhms. Die Stunde des Judas nahte, kam aber ganz anders, als es sich Judas ausgedacht hatte. Die Stunde kam am Tisch, als Jesus ihn ansprach: „Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht.“ Und wenn er später unter den Soldaten in Gethsemane steht und Jesus mit einem Kuss besiegt hat, kann er diesen Sieg und seine Silberlinge zu nichts verwenden. Er wird in dem Moment verstehen, dass er trotz seiner Schlauheit und seiner Initiative, trotz seines unbestrittenen Judas-Talents nur eine Funktion in dieser Welt hat: ein Wegbereiter für den erlösenden Tod Jesu. Judas ist eine tragische Figur, der das Böse will und doch das Gute schafft. Mit seinem Verrat nimmmt er keineswegs Einfluss auf sein Schicksal. Er ist und bleibt ein notwendiges Stück für die Ankunft der Stunde Jesu. Deshalb gibt es für Judas nur einen Ausweg: Völlig zu verschwinden. Die Bibel will wissen, dass er sich an einem Baum erhängt. Selbst dort, wo er sich erhängt, bewahrt sein Leben einen Sinn. Denn was Ostern passiert, ist viel größer als das Fassungsvermögen des Judas. So groß, wie wenn selbst das Böse das Gute dient. Gott ist nicht Widersacher des Bösen in einem ewig wogenden Kampf in der Welt. Das Böse selbst muss sich als Dienstleister des Herrn erleben.

Gerade das ist gemeint, wenn es in einem Gebet heißt, Gott „umfasst sowohl das Gute wie das Böse“. Judas, der Verräter, der den Jesus verwarf – ist er nicht der wichtigste unter den Jüngern am Gründonnerstag? Judas, der unwillige Diener des Guten? Judas verkörpert die Wahrheit, dass nur Gott die Herkunft von allem in unserer Welt ist, Bösem wie Gutem. Ich glaube nicht daran, dass es irgendwo einen mächtigen Teufel gibt. Alles kommt von Gott, der gibt und nimmt. Wohl gemerkt mit einer entscheidenden Pointe: Christus selbst war in der Folterkammer, in der Todeszelle, am Kreuz. Gott, der Gutes und Böses umfasst, unterliegt sich dem Bösen. Wenn Menschen in ihrer Not sich mit dem Kreuz zeichnen, erinnern sie sich daran: Christus selbst hat gelitten.

Es ist auch die Stunde der Jünger. Sie ereignet sich am Tisch, als Jesus sagt: „Einer unter euch wird mich verraten“. Bemerkt, wie die Jünger reagieren. Es ist ein Moment der Ehrlichkeit, und deshalb rufen sie: „Herr, bin ich’s?“ Wer könnte ehrlich sagen: Einen Verrat würde ich niemals erwägen? Die Jünger suchen die aufrichtige Selbsteinsicht, indem sie Jesus fragen: „Herr, bin ich’s?“ Und wahrlich: Es hätte jeder einzelne der Jünger sein können – und so kommt es auch, denn sie machen sich auf die Flucht und werden Jesus verleugnen. Judas ist bloß der, der das Los der Tat übernommen hat. Heute hat er die Silberlinge. Sie werden aber alle Jesus verraten. Die Jünger am Tisch sind ein Bild von uns allen, die nur zufälligerweise gute rechtschaffene Bürger sind, aber unter anderen Umständen Gehilfen eines Diktators und Verfolger von Minderheiten werden könnten. Unser Gehabe ist nur ein dünner, dünner Firnis. Jeder Mensch ist zum Bösen fähig – man sollte sich hier keine Illusionen machen. Wenn die rechte Stunde kommt, kann dieses schrecklich an den Tag kommen. Die Philosophin Hannah Arendt schockierte die Welt mit dieser Wahrheit: Grausame Henker können sehr wohl gute Familienväter sein. Der schlechte Charakter kann bei jedem hervorgerufen werden, wenn die Umstände danach sind.  Jeder von uns muss angesichts des Bösen die Frage stellen „Herr, bin ich’s?“

Denn so ist die Stunde der Jünger: Ihr werdet mich alle verraten. In diesem Augenblick ist Judas dran; jeder andere hätte es sein können. So ist die Tischgemeinschaft Jesu an diesem Tag: Ein Dutzend sogenannte Freunde, deren Versicherungen ohne Wert sind und deren sittlicher Habitus dünn ist wie Pergament. Es ist die Schicksalsstunde der Jünger. Und sie entscheidet sich in jener merkwürdigen Weise, die nur durch wöchentliche Wiederholung zu fassen ist, Sonntag für Sonntag. Die ganze waagerechte Reihe der Jünger – und Jesus als der Senkrechte, der das Brot und den Wein emporhebt und seinen Segen den Jüngern und deren Vorhaben zuspricht mit den Worten: Dies ist mein Leib – esst! Dies ist das Blut des neuen Bundes – trinkt! Jesus reicht das Brot und den Wein sogar an Judas und zeigt uns: So weit in die Breite und so tief in die Höhe ist die Gnade Gottes. Amen.

Pastor Jan Sievert Asmussen

DK-3520 Farum

Email: jsas(at)km.dk