
Matthäus 3,13-17
Estomihi | Matthäus 3,13-17 (dänische Perikopenordnung) | 02.03.25 | Von Anna Jensen |
Die notwendige Gemeinschaft des Geistes
An einem Wintermorgen öffnete sich der der Himmel über mir. Ich ging am Strand an der jütländischen Westküste. Wochenlang war der Himmel bedeckt gewesen. Plötzlich öffnete sich die Wolkendecke über den Dünen und ließ die Sonne in herrlichen Strahlen scheinen. „Licht, das Well‘ um Welle zum Himmel drängt“[1], wie es der dänische Dichter Jacob Knudsen in seinem Morgenlied beschreibt. Ich war ganz überwältigt und musste stehen bleiben in dem eisig kalten Wind, nur um die Augen zu gebrauchen um zu sehen, zu sehen und zu sehen. Meine Finger steif vor Kälte fanden das Telefon in dem vielen Schichten der Bekleidung, und ich tat, was viele Menschen heute tun: Ich nahm ein Bild auf. Als wäre der Anblick des offenen Himmels nicht in sich genug, musste ich es festhalten. Später fand ich das Bild, um mich selbst an das Erlebnis zu erinnern, aber vor allem konnte ich das Bild meiner Familie zeigen und all denen, die es hören wollten: „Seht, was ich erlebt habe“.
Als Jesus getauft wurde, stieg er sofort aus dem Wasser, und seht: der Himmel öffnete sich über ihn. Da war niemand, der ein Bild von dem Ereignis aufnahm, wir sind auf unsere Phantasie angewiesen, um das vor uns zu sehen, was das Evangelium uns mit Worten schildert. Der Himmel öffnete sich über ihm, und der Geist Gottes fuhr herab – wie eine Taube. Das war nicht eine Taube, wie sie Joakim Skovgaard hier auf den Glasmosaiken der Kirche dargestellt hat, es war vielmehr etwas anderes, was sich nicht malen lässt, was aber also wie eine Taube aussah. Den Geist sieht man nicht, und deshalb ist es schwer, ihn zu veranschaulichen. Er ist nicht zu greifen, nicht zu begreifen, und doch will ich heute über den Geist sprechen.
Warum sollte Jesus getauft werden? Diese Frage trieb auch Johannes den Täufer um. Die Taufe des Johannes war eine Wassertaufe, ein Reinigungsbad. In der Johannes-Taufe musste man sich von seinem früheren Leben verabschieden, man musste sich von falschem Tun distanzieren und sich im Jordan reinwaschen. Dann war man bereit, seinem Erlöser zu begegnen. Das erforderte, dass man sich sein Tun bewusst machte. Eine der Hauptpersonen in dem Roman des dänischen Autors Jens Christian Grøndahl: „Noget tabt i mørket“[2], der Schauspieler und Ehemann Bror, bereut nichts. Er war seiner Ehefrau untreu, hatte eine Affäre mit einer jüngeren Frau. Als er sich entscheidet, sie zu verlassen, seine Geliebte, ist das nicht ohne Reue, denn Bror verhält sich nur zu Tatsachen. So findet er sich im Leben zurecht.
Heute verwenden wir am liebsten nicht das Wort „Sünde“. Die theologische Last ist für die meisten Dänen zu schwer – oder die Bedeutung des Wortes Sünde ist in moralische Kategorien abgeglitten. Es ist keine Sünde gegen Gott, seinem Ehepartner untreu zu sein, es ist aber sündig, ein Magnum-Eis zu essen. In der neuen dänischen Bibelübersetzung aus dem Jahre 2020 kommt das Wort Sünde gar nicht vor. Stattdessen redet man von Ungehorsam gegen Gott. Ungehorsam gegen Gott bedeutet nicht nur, sich einem dominierenden Patriarchen zu widersetzen, sondern auch Ungehorsam gegen das Projekt Gottes, allen Menschen Brot, Frieden und Liebe zu bringen. Die Grundessenz des Sündigens ist also nicht die Übertretung alter Gebote, sondern dass man sich selbst über die Gemeinschaft stellt, dass man die Liebe zu sich selbst über die Liebe zum Mitmenschen stellt. In diesem Licht glaube ich, sind es viele von uns, die etwas bereuen. Die Welt sähe anders aus, wenn mehr Leute einander anerkennen und respektieren würden, wenn wir die Ressourcen der Welt besser verteilen könnten. Im Rückblick erklären wir viele unserer Handlungern weg. Hat Dänemark die Bodenschätze an Mineralien ausgebeutet? Ja, vielleicht, aber die Grönländer hatten selbst nicht die Expertise, sie zu gewinnen, und zugleich wurde auch in Grönland ein Wohlfahrtsstaat entwickelt.
Alles, was die alten Juden bereuten, konnten sie vor Johannes bringen. Im Wasser des Jordan wurden sie reingewaschen. Nun galt es, sich im Rahmen zu halten, bis das Jüngste Gericht und der Erlöser kommen würden. Johannes protestierte gegen die Taufe Jesu: „Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“ Aber Jesus bestand auf seiner Bitte.
Seitdem ist die Taufe das Zeichen der christlichen Gemeinschaft. Alle sind in unserer Kirche willkommen, alle sind willkommen zum Strickklub, Bibelkreis und zum Abendmahl., wenn du aber Mitglied der Kirche sein willst, wenn du in die Gemeinschaft aufgenommen werden willst, dann musst du dich taufen lassen.
In diesen Tagen erfahren wir, dass die Welt auseinanderfällt. Die Ordnung der alten Welt mit zwei großen Gemeinschaften in Ost und West ist im Begriff sich aufzulösen und von neuen Gemeinschaften abgelöst zu werden. Das verwirrt uns und macht uns Angst, wo sollen wir uns hinwenden? Mit wem teilen wir Werte und Gemeinschaft? Wir glaubten, die Demokratie sei wichtig für die ganze westliche Welt, dass die Grenzen eines Landes, ganz gleich wie klein es ist, unverletzlich seien. Auch aber bei uns zuhause sind die großen Gemeinschaften auf dem Rückzug. Wir identifizieren uns gerne als Individualisten mit unserem jeweiligen Geschlecht, unseren Essgewohnheiten, unseren jeweiligen Freizeitinteressen und unserem jeweiligen politischem Projekt. Das wird uns zu viel, wir verschwinden im Chaos und sind versucht aufzugeben – aber Jesus ruft uns heraus in der Taufe.
Das Taufritual ist feierlich. Die Eltern spüren, dass es um etwas Größeres geht, wenn sie ihre Kinder in der Prozession in die Kirche tragen. Sie können es selten in Worte fassen, aber vielleicht ist das so, weil der Geist so flüchtig ist. Der Geist ist unsichtbar, aber wir spüren ihn in den Ritualen. Vor der Gemeinde bekommt das Kind seine drei Handvoll Wasser. Oft haben die Kinder alte Taufkleider an, die über Generationen vererbt wurden, denn in der Taufe werden wir nicht nur in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen, sondern auch mit all den Generationen, die uns vorhergegangen sind und die uns folgen werden. Der Geist vereint uns sowohl in der Familie, in der Gemeinde und als Volk. Die Volkkirche ist noch immer die größte Vereinigung in Dänemark mit ihren 71% Mitgliedern. Die Taufe vereint uns sowohl mit unseren lutherischen Schwester-Gemeinden als auch allen Christen in der ganzen Welt. Der Heilige Geist sammelt uns, damit wir uns um Gott sammeln kommen.
Zur Weihnacht öffnete sich der Himmel, als Gott auf Erden geboren wurde. Als ein Menschenkind, der Fürsorge seiner Eltern überlassen, wuchs er auf. Er war Gottes Sohn, aber auch wahrer Mensch. Darin gleicht er uns, und deshalb begab er sich unter dieselbe Taufe wie wir, um mit uns zusammenzustehen, Seite an Seite. Mit dem Heikligen Geist empfangen wir vertikale Gemeinschaft, wir haben Teil am Reich Gottes, aber wir empfangen auch horizontale Gemeinschaft mit allen Kindern Gottes, den jetzt Lebenden, denen die vor uns gelebt haben, und denen die kommen werden. Gott umarmt uns in seinem Geist und hält uns fest.
Die Juden wurden mit der Wassertaufe des Johannes getauft, eine Bekehrungstaufe, denn das Himmelreich war nahe. Wir werden getauft mit Wasser und Geist, weil Gott zu uns gekommen ist. Auf dieser Taufe sollen wir unser Leben bauen. Das Reich Gotte ist bei uns, und es ist unsere Aufgabe, an seiner Ausbreitung mitzuarbeiten. Da sind Dinge, die wir bereuen, da ist Platz für Verbesserungen, wie man sagt, aber wir sollen unsere Taufe nicht wiederholen, einmal ist genug. Einmal sind wir reingewaschen, einmal haben wir den Geist empfangen, und das genügt. Gewiss, wir machen Fehler, aber am Gründonnerstag gab uns Jesus das Abendmahl als Zeichen dafür, dass wir Vergebung empfangen können für unsere Übertretungen. Am Abendmahlstisch wird die Gemeinschaft mit Jesus deutlich, wir empfangen mit unseren Körpern seinen Leib und sein Blut.
An jenem Wintermorgen, als ich am Strand spazieren ging, sah ich den Himmel offen. Das war großartig und prächtig, und ich freute mich darüber, dass ich die Einzige war, die das sah. Ich liebe die Einsamkeit am Strand im Winter, wenn keine Touristen da sind, und ich vergesse fast, dass ich selber Tourist bin, ein Gast in der Natur. Ich könnte mein eigenes Leben dort an der windigen Küste nicht aufrechterhalten, wo Menschen seit tausend Jahren gelebt haben. Auch wenn ich die Einsamkeit liebe, Menschen brauchen Menschen. Wir müssen einander helfen bei der Arbeit für das tägliche Brot und den Fisch. Wir müssen gemeinsam eine Welt bauen mit Platz für alle Völker zu allen Zeiten. Denn wir brauchen die Gemeinschaft sowohl miteinander als auch mit unserem Gott. Wir wollen keine Welt haben, wo die Stärksten das Sagen haben, nein, deshalb gedenken wir unseres Taufbundes. Wir sind darauf getauft, Kinder Gottes zu sein. Sein Geist gibt uns Hoffnung und Mut, gegen Selbstsucht und Erbärmlichkeit zu kämpfen. Amen.
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Pastorin Anna Jensen
5230 Odense M
E-mail: ansj(at)km.dk
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[1] Nr. 756, 5 aus dem dänischen Gesangbuch, deutsch im Deutsch-dänischen Kirchengesangbuch Nr. 756, 5: „Lysvæld bag ved lysvæld i himlen ind“
[2] ”Etwas verloren im Dunklen”, dänischer Roman, es gibt keine deutsche Übersetzung.