Matthäus 4,1-11

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Invokavit | 09.03.25 | Mt 4,1-11 (2. Kor. 6,1-2 und 1. Mose 3,1-19) | dänische Perikopenordnung | Von Anne-Marie Nybo Mehlsen |

”Das Geheimnis der Verwundbarkeit”

Es ist offenbar, die Lüge hat große Macht in der Welt in den falschen Nachrichten und dem Filter im Mobiltelefon, das die Wirklichkeit schönfärbt sowie die schamlose Lüge über Tatsachen auf offenem Schirm. Es ist eine verbreitete Versuchung, sich sein Anliegen in eben dem Licht vorzustellen oder darzustellen, das mir und meiner Sache am besten passt.  Das nennt man Marketing und Politik.

Kein Redner, auch kein Prediger kann Überlegungen leugnen, wie man die Sache am besten für den Zuhörer darstellt. Das darf aber nicht auf Kosten der Wahrhaftigkeit geschehen. Wenn wir nun in der Kirche von Dingen reden, die wir nicht im üblichen Sinne nachprüfen können, ob es tatsächlich stimmt, sind wir dann noch mehr verpflichtet, uns an ein gegebenes Thema zu halten, die faktischen Worte und ihren ursprünglichen Kontext, und selbst mutig eigene Anliegen zu vertreten und dabei den eigenen Glauben, die Zweifel, die eigene Existenz darauf einzusetzen, dass das, was von Gott gesagt wird, der Verkündigung zum Glauben dient.

Die Versuchung liegt auf der Hand: Es kann oft mehr lebendig und interessant erscheinen, vom Teufel und all seinem Wesen von Bosheit und raffinierter Nachrede von Gott und Menschen zu reden statt sich in das Geheimnis des Kreuzes zu vertiefen. Das Kreuz, wo es offenbar wird, dass Gottes Torheit weiser ist als alle Klugheit der Welt und dass die Schwachheit Gottes stärker ist als alle Stärken der Welt.

Es ist letztlich die Macht Gottes, an der Jesus draußen in der Wüste festhält. Er hält fest an der Macht Gottes als einer anderen und fremden Kategorie – als einer rätselhaften Macht, die sich als tragbarerweist auch in der äußersten Verwundbarkeit, der absoluten Verletzlichkeit.

Die Versuchung zielt darauf ab, etwas zu beschaffen, den Hunger zu stillen – dem Leiden und der Ohnmacht zu entkommen. Jesus besteht darauf, dass es einen Ausweg gibt, eine Ausdauer, eine Hingabe, die stärker ist. In dieser Hinsicht ist die Erzählung eine Geschichte der Fastenzeit, dass wir es durchaus ertragen können, Verzicht zu üben, dass wir es ertragen können zu entbehren, auszuhalten und auf Gott zu vertrauen. Gleichzeitig ist dies eine Tür zur Erfahrung von etwas ganz anderem, eine wunderbare Erfahrung, dass Leiden keine absolute Macht über einen Menschen hat – wie es ansonsten unmittelbar erscheint. Hier muss man vorsichtig sein aus Respekt vor leidenden Menschen. Wie sollen wir von dieser Geschichte reden können angesichts von Hungersnot, Krankheit und Schmerzen?

Nein, das können wir wohl nicht, und gerade deshalb ist es angebracht, rechtzeitig darüber nachzudenken, während Leiden noch weit weg ist, mitten im guten Leben. Und damit ist es auch gut, die Fastenzeit wahrzunehmen als eine Zeit der Einübung von Vertrauen, diese eine bewusste Wanderung sein zu lassen mit offenen Augen in die Verletzlichkeit und Verwundbarkeit als Grundbedingung des Lebens. Die Fastenzeit ist ein Anlass, sich Gott hinzugeben.

Die Versuchung ist im menschlichen Leben stets gegenwärtig. Die Versuchung zu dem, was auf der Hand liegt, dem kürzesten, leichtesten Weg, dem Bequemsten.

Die Versuchung liegt in dem, wozu ich gerade jetzt Lust habe und was mir als das Beste für mich erscheint. Wir erliegen immerzu der Versuchung, ohne dabei zu fragen oder nachzudenken.

Es wäre so einfach, wenn es einen Namen hätte. Wenn alles in der Welt eine klare Überschrift hätte, die uns erzählte, dass dies nun tatsächlich gut oder böse ist. Aber nein – wir wissen sehr gut, dass es nicht so einfach ist. Wir reden von Versuchungen, als wären sie süße Sachen. Als wäre das ganz unschuldig, eine Bagatelle.

Jesus wird in der Wüste versucht mit dem Schönsten von allem Scheinbaren. Die Versuchung ist verpackt in Güte. Warum sollte doch nicht er, der Gottes Sohn ist, die Steine der Wüste in Brot verwandeln und nicht nur sich selbst, sondern alle Hungrigen sättigen?

Dann – ein Brausen in der Luft – wie mit einem Schlag mit großen Flügeln steht Jesus nun auf den Zinnen des Tempels. „Stürz dich hinab! Lass dich tragen von den Engeln durch das Dasein und zeige, was Gott vermag, Dann wird die Furcht ruhelos auf Erden einhergehen und keinen einzigen Menschen erfassen können!“

Noch ein Brausen in der Luft, und Jesus steht auf einem Berg, von dem man die Herrlichkeit der Erde sieht. „Das gehört mir!“ behauptet der Teufel – „aber mit einem einzigen Kniefall vor mir ist es dein – bete mich an!“

Die Versuchungen sind eine einzige lange Aufforderung, die Macht zu gebrauchen, die Jesus als der Sohn Gottes hat. Der Teufel beginnt listig damit, Zweifel und Misstrauen zu säen: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann …“ Erb verweist sogar auf die Schrift, Gottes eigene Worte. Und da ist ein Echo in dem hier von etwas, was wir schon gehört haben.

„Hat Gott wirklich gesagt …“. So fragte die Schlange Eva damals im Paradies mit Gottes eigenen Worten – nur ein wenig verdreht. Die Schlange machte das Verbot, von einem bestimmten Baum zu essen zu einem Verbot, überhaupt von einem Baum zu essen. Ich gelben Licht des Misstrauens klingt das verlockend: „Ihr könntet werden wie Gott, Gut und Böse zu kennen“.

Und der Mensch wollte nicht mehr Mensch sein, sondern sich an die Stelle Gottes setzen – und aß.

Es ist derselbe Versucher, dem Jesus draußen in der Wüste begegnet. Wie eine zweite Eva muss sich Jesus das Geflüster der Schlange in der Wiederholung anhören „Wenn du der Sohn Gottes bist …“.

Die wenigen Worte des Versuchers sind ein wahrer Bombeneppich für Jesus. Die Versuchung, sich aller Welt zu zeigen, zu beweisen, dass er Gottes Sohn ist. Warum nicht es sich selbst leicht machen? Das ist eine Versuchung, die Menschlichkeit abzulegen, die er auf sich genommen hat, und dem Leiden zu entgehen. Jesus wird in der tat in seinem innersten Wesen angegriffen.

Jesus besteht jedoch auf seiner Menschlichkeit, besteht auf seinem Verzicht. Er besteht auf Gott, selbst in der tiefsten Not, dem Hungertode nahe, in der Öde der Wüste. Er besteht darauf, sich mitten im Leide in den Händen Gottes zu wissen, ohne notwendigerweise von Gott eine Antwort oder Rechenschaft zu verlangen. Er lässt in der Hand Gottes ruhen, was Gott gehört. Jesus hält fest am Unterschied zwischen Gott und Mensch und gibt sich gehorsam dem Schöpfer hin wie Staub in seiner Hand.

Wir beginnen, die Tiefe in diesem Kampf zu ahnen. Es ist wieder Eva und die Schlange, aber der Unterschied ist, dass Jesus festhält. Der Teufel kommt schließlich zu kurz und entlarvt sich selbst als Betrüger, indem er das verspricht, war nur Gott gehört. Dann ist die Zeit gekommen, den Ungeist beim Namen zu nennen und das Böse zurückzuweisen.

Deshalb ist es nicht unproblematisch, so zu tun als sei der Teufel keine Wirklichkeit. Angesichts bestialischer Bosheit nutzt es nichts, die Augen zu verschließen und zu meinen, dass es so etwas nicht gibt. Dann lässt man dem Bösen nur seinen Lauf, begibt sich unwissentlich in den Dienst des Bösen und der Lüge. Es hilft niemandem aus dem Leiden, dass man behauptet, dass Leiden nur eine Illusion ist, oder dass man sagt, dass es das leiden in Wirklichkeit nicht gibt.

Hier in der Fastenzeit sollte man bedenken, wie wir gegen das Böse und dass Leiden gerüstet sind. Wie bewältigen wir harte Zeiten und Lebensbedingungen?

In der Fastenzeit geht es um Verzicht, sich einzufinden in die Verwundbarkeit und im Vertrauen auf Gott zu leben. Fasten heißt alles Gute aus der Hand Gottes erwarten.

In dieser Erfahrung begegnet uns nicht die Leere der Wüste. Wir brauchen nicht dem Hungertod nahe zu sein. In der Stille des Nachdenkens, in dem zuhörenden Gebet begegnet Christus dir als der, der für dich sorgt, dir zuhört und dich an der Hand hält.

Gott wollte nicht allmächtig sein, sondern barmherzig – und Jesus zeigte uns das, indem er sich nicht der Welt und allen ihren Reichen und Reichtümern mit Macht unterwarf, sondern lieber sich selbst ganz hingab mit seiner Menschlichkeit. Diese Hingabe wurde zum neuen Morgen der Auferstehung, so dass wir nicht mehr in der Furcht vor dem Leiden vergehen sollen. So dass wir niemals verrohen und es nicht sehen wollen, sondern es vielmehr jederzeit als Werk des Teufels sehen und es bekämpfen. So dass wir uns niemals davor fürchten, uns selbst hinzugeben und zu unserer Verwundbarkeit stehen, uns einfinden als Menschenkinder vor Gott. Amen.

Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen

DK 4930 Maribo

Email: amnm(at)km.dk