Matthäus 5,38-48

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21. Sonntag n. Tr. | 20.10.2024 | Mt 5,38-48 | Bernd Giehl |

Was soll ich denn dazu sagen? „Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte auch noch die linke hin?“ Darf es vielleicht auch etwas weniger sein? Kann man das wörtlich nehmen? Manchmal, wenn ich über die Vor- und Nachteile der beiden großen Konfessionen nachdenke, dann ist es der Katholizismus, der seine großen Vorteile hat. Sicher, der Protestantismus hat seine Freiheit, aber dazu muss man mutig genug sein, um die auch zu leben. Dann muss man sich auch mit solchen Sätzen Jesu auseinandersetzen und darf nicht sagen: Ist ja nicht so gemeint. Wer dagegen nicht so beherzt leben möchte, dem empfehle ich den katholischen Glauben.

Nein; das ist kein Spaß. Die Katholiken haben ihr eigenes Weltverständnis. Sie sehen, dass der Mensch schwach ist. Wer zum Beispiel kann denn diese Gebotsverschärfung Jesu ertragen? „Ihr wisst das zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten. Ich aber sage euch: Wer zu seinem Bruder sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig.“ Wenn das stimmt, würde vermutlich kaum einer dem Höllenfeuer entkommen.

Vor allem dann, wenn man bedenkt, dass Jesus nicht einmal eine Einschränkung macht. Mein Bruder, das kann jeder sein. Ein Augenblick des Zorns und alles ist dahin.

Doch ja, das kann uns schon einmal schwindlig machen. Jedenfalls wenn wir keine Katholiken sind und mit der Beichte keine Loslösung von unsren Sünden bekommen. Die Katholische Kirche erklärt das so: Die meisten von uns sind keine Übermenschen. Wir haben alle unsere Schwächen und Fehler. Deshalb sind die besonders schwierigen Gebote Jesu wie die Feindesliebe nur für die besonders religiös begabten Menschen bestimmt. Die fühlen keine Wut gegen andere; die können ihre Feinde lieben; die sind von Grund auf gut. Bei denen bleibt sogar etwas übrig, was die Kirche wie eine Bank verwaltet, und den normalen Sündern gutschreibt. So muss niemand in die Hölle, weil die guten Werke mitsamt dem Blut Christi uns reinwaschen.

Ende gut, alles gut.

Oder klingt auch das angesichts der Probleme, die wir haben, irgendwie seltsam? Der Streit ach ja, da war doch was. Kein Tag, an dem nicht vom Streit berichtet wurde; sei es im Nahen Osten, über den Siegeszug, den die Rechten in Deutschland hinlegen und den viele als Anfang vom Ende der Demokratie ansehen oder den Streit in der Ampelkoalition. Und meist schlugen die Emotionen hoch. Besonders hoch schlugen sie, wenn es um Stichworte wie „Migration“ ging. Da konnte man direkt zusehen, wie die Saat aufging. Migranten sind hässlich und böse. Die nehmen uns unsere Arbeit weg, die wollen nur unser Geld, die sind Messermenschen. Wer neu kommt, der gehört sofort abgeschoben. Ein Wunder, dass es auf der anderen Seite so ruhig geblieben ist.

So gesehen klingt es nicht nach Übertreibung, wenn Jesus den Zorn und das böse Wort mit dem Verbot des Tötens vergleicht. Auch das gegenseitige Töten hat eine Ursache und oft ist es nicht mehr weit vom Streit bis zum Herausholen von Messern und Revolvern. Es muss ja gar nicht so viele Verletzte und Tote geben, wie zwischen Israelis und Palästinensern, wo auf eine Racheaktion die nächste von der anderen Seite folgt. Nur ja nicht zugeben, dass auch der andere seine tiefen Verletzungen hat. Nur ja nicht nachdenken. Nachdenken gefährdet Ihre Gefühle.

Aber bleiben wir noch einen Moment bei dem Vorwurf der Übertreibung. Nicht nur diesem Abschnitt hat man den Vorwurf gemacht. In der Bergpredigt gibt es mehrere Abschnitte, die mit dem Satz anfangen: Ihr wisst, dass zu den Alten gesagt ist … ich aber sage euch und dann folgt der Abschnitt über die Feindesliebe oder das Ehebrechen oder über die linke Backe hinhalten und manchmal fragt man sich, wer das alles können oder aushalten soll.

Die Frage ist, ob die Bergpredigt lebbar ist oder nicht.

Neulich erschien die Zeit mit einem Titelbild, das zum Thema passte. Auf den ersten Blick sah es aus wie die Frisur eines mittelalten Mannes mit Rastalocken. Dann entdeckte man das Atommodell. Allerdings ging es nicht um unsere Vorstellung vom Atom, sondern um die Kräfte, die bei der Spaltung radioaktiver Atome freiwerden. Die kennen wir ja alle aus Hiroshima und Nagasaki und wir wissen, was für zerstörerische Kräfte dabei freiwerden.

Aber das Thema war der Streit, und ich hatte das Gefühl, die Karikatur treffe ins Schwarze, jedenfalls im Moment, wo sich verhältnismäßig kleine Themen aufschaukeln bis zum geht nicht mehr und hinterher zählt man die Verletzten und die Toten.

Aber zur Klärung dieser Frage möchte ich nicht von hier, sondern vom Anfang ausgehen. Am Anfang der Bergpredigt stehen keine Forderungen, sondern Verheißungen. Sie fängt damit an, dass sie den Armen im Geist das Reich Gottes zuspricht. Dann folgt die Zusage an die Trauernden, sie sollten selig sein, weil sie getröstet werden.

Danach sind die Sanftmütigen an der Reihe, sie sollen die Erde besitzen. Die einzigen, die etwas herausstechen sind die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Die Übrigen sind bestimmt keine Superhelden, ja nicht einmal Menschen, denen man irgendetwas zumuten kann. Die haben nichts; im Gegenteil, die brauchen Geld oder Trost und Anerkennung. Das Letzte, was die brauchen, sind die überhöhten Forderungen, von denen ich am Anfang gehandelt habe. Ist „selig“ und „arm im Geist“ nicht der größte Gegensatz, den man sich vorstellen kann? Oder „Leid tragen“ und „selig“? Sind nicht eher die selig, die beides nicht kennen ja nie davon gehört haben?

So gesehen passen die, die hier selig genannt werden zu denen, die mit völlig überhöhten Forderungen fertig werden müssen. Wie gesagt, die Bergpredigt besteht aus verschiedenen Abschnitten und die beziehen sich aufeinander. Wenn also die Bergpredigt nicht nur eine einzige Aussage über die Vergeblichkeit menschlicher Handlungen ist, dann muss da noch etwas dazukommen. Nämlich Gottes Hilfe. Oder genauer gesagt: Die Bitte um Gottes Hilfe.

Luther hat an dieser Stelle gemeint, hier werde den Menschen bewusst gemacht, wie sehr sie von der Gnade Gottes abhängig seien, der ihnen alles schenke, was sie brauchen. Das würde zu den Armen im Geist passen oder zumindest zu denen, die sich ihrer Armut bewusst sind. Die könnten sagen: Gott, wir wissen um unsere Armut. Bitte, nimm uns so an, wie wir sind.

Ob so eine Haltung selten ist? Ich glaube schon. Sie kommt einem Wunder gleich. Nicht nur annehmen, dass man schwach ist, sondern es auch noch aussprechen, und zwar vor Gott: Ich habe dir nichts zu bieten.

An dieser Stelle muss dann auch von der Vergebung Gottes die Rede sein. Weil sie mir hilft, dem anderen zu vergeben. Weil sie mir Kraft gibt. Kraft, nicht zurückzuschlagen. Weil sie mir die Gewissheit gibt, etwas wert zu sein. Nicht nur vor dem, der mich geschlagen hat. Auch vor anderen, die Zeugen geworden sind. Eigentlich müsste ich ausgleichen. Gerechtigkeit nennt man so etwas. Keine Tat darf ungesühnt bleiben. Aber wenn der Andere zurückschlägt, gibt es wieder ein Bedürfnis nach Rache bei mir. So kann es nicht weitergehen, beschließe ich. Vermutlich hat Jesus doch Recht mit seiner Verurteilung von Zorn und Rache. Ich würde ihm ja nur allzu gern zustimmen und theoretisch tue ich das ja auch, zumindest wenn ich Zeit habe zum Nachdenken, aber wenn die Wut nach mir greift wie eine Furie, dann kann ich alle guten Vorsätze vergessen.

Sagen Sie jetzt: Das darf aber nicht passieren? Sagen Sie das nicht. Der Zorn ist eine der heftigsten Emotionen des Menschen; es ist schwer sich gegen ihn zu schützen. Und eigentlich auch ziemlich unrealistisch. Umso wichtiger ist es, ihn sich zu vergeben, sonst kommt man nicht von der Stelle.

Dazu braucht man auch keine Vermittlung der Katholischen Kirche. Nur die Gewissheit der Vergebung durch Jesus Christus.


Bernd Giehl