Matthäus 5,43-48

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Feindesliebe | 21. Sonntag nach Trinitatis | 20.10. 2024 | Mt 5,43-48 | Eberhard Busch |

(Jesus lehrte die Volksmenge und sprach:) Ihr habt gehört, dass gesagt ist. Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters in den Himmeln seid. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was habt ihr für einen Lohn? Und wenn ihr nur eure Geschwister grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die Heiden dasselbe? Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. (Zürcher Bibel)

Wie kommt Jesus darauf, Feinde seien zu lieben? Es kommt doch vor allem darauf an, sich um unsere Nächsten zu kümmern, also um unsere Angehörigen, unsere Verwandten und Nachbarn, um die uns Nahestehenden. Damit haben wir vollauf genug zu tun. Und das ist zuweilen ziemlich mühsam. Sodass manche sich lieber auch davon zurückziehen. Es heißt in einem Schauspiel von Friedrich Schiller: „Ich lebte still und harmlos, (jedoch) es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

Und nun haben wir es nicht bloß mit einem bösen Nachbarn zu tun. Wir haben auch böse Feinde. Kann man denn „im Frieden leben“, wenn das unsren Feinden nicht gefällt? Liegt es uns nicht im Blut, diesen Störfaktor auszuschalten? Zu eliminieren? Einen Feind kann ich gar lieben. Sonst wäre er nicht mein Feind. Wenn man an ihn denkt in dunkler Nacht, so ist man um den Schlaf gebracht. Ein Feind ist einer, mit dem nicht gut Kirschen zu essen ist. Einer, dem wir aus dem Weg gehen oder, wenn es damit nicht klappt, den wir aus dem Weg räumen wollen, einer, mit dem wir partout nicht zusammen sein möchten, zu dem wir sagen: du oder ich. Hat nicht der Feind von sich aus angefangen, um sich zu schlagen? Hat er es nicht voll verdient, wenn wir unsrerseits zurückschlagen? „Auf einen groben Klotz ein´n groben Keil.“ Wir scheuen keine Kosten, um ihn still zu setzen.

Aber jetzt werden wir unterbrochen durch das, was uns Jesus zu sagen hat im Namen Gottes. Der lässt, so hören wir, „seine Sonne aufgehen über die Guten und über die Bösen“. Hören wir gut zu: Unterschiedslos über beiden. Die Unterscheidung, die wir in der Regel zwischen Guten und Bösen machen, die hebt er auf, die fällt dahin. Die Guten und die Bösen rückt er zusammen. „Die goldne Sonne voll Freud und Wonne“, sie trägt ihr „herzerquickendes, liebliches Licht“ zu beiden, wahrhaftig auch zu denen, die es nicht gut meinen und nicht gut machen, ja, zu denen, die wir zur Hölle wünschen. Genau so leuchtet sie denen und kein bisschen weniger wie zu denen, die es gut meinen und gut machen. Natürlich zählen wir uns zu den Guten. Sind wir es auch? – wenn wir so abrücken von den Andren.

Aber sind die uns nicht näher, als wir denken? Der Apostel Paulus sagt es geradeheraus (Römer 5,10). Wir sind durch Christi Hingabe von Gott geliebt, „als wir noch Feinde waren“. Wir? – wir Feinde! Auf einmal kehrt sich die Sache um: nicht wir haben Feinde, wir sind vor Gott Feinde, Frauen und Männer, die eine gehörige Korrektur brauchen. Die Feinde sind nicht bloß jenseits der Mauer. Sie sind nicht bloß da, wo sie uns ein Ärgernis sind. Sie sind ärgerlich auf der eigenen Seite. Sind wir denn selber Feinde? Und brauchen auch wir Versöhnung. Wir brauchen Frieden, und brauchen ihn wie Frischluft zum Atmen. Frieden nicht ohne die Andren, sondern mit ihnen.

Und wir brauchen dies nicht nur. Auch wenn wir es nicht wahrnehmen, es ist doch wahr: Wir sind schon von Gott geliebt. Seine Sonne scheint auch über uns und sein sanfter Frühlingsregen tut gut uns Verdorrten und Vertrockneten. Sind wir denn so liebenswert? Noch einmal: Gott liebte uns, als wir noch Feinde waren (vgl. Römer 5,8). Gewiss, er liebt nicht Feindschaft. Die will er beseitigen. Aber sie ist für ihn kein Hindernis, uns trotzdem zu lieben. Wenn Christus uns sieht, schlägt er nicht die Hände über dem Kopf zusammen, er streckt seine Hand aus nach uns – um uns zurechtzubringen. Ich danke ihm dafür. Er hat mir das Herz erwärmt, den Kopf aufgeräumt, hat mir den Horizont erweitert, hat mich in Marsch gesetzt. Daraufhin können wir nicht die Hände in den Schoß legen.

Auf einmal heißt es aus Jesu Mund sogar: „Seid vollkommen, wie unser himmlischer Vater vollkommen ist.“ Nimmt er den Mund da nicht zu voll? Sind wir damit nicht „vollkommen“ überfordert? Eben hieß es doch: wir seien gar nicht proper. Ach!, wir sind in der Tat nicht vollkommen. Aber verstehen wir es recht. Darum geht es: Lasst uns darin vollkommen sein, uns an den einen Vollkommenen zu halten, ihn zu fürchten und zu lieben. Von dem dänischen Philosophen Sören Kierkegaard stammt der Satz: „Gottes bedürfen, das ist des Menschen höchste Vollkommenheit.“ Vollkommen wie Gott sein, das heißt also nicht, ihm ebenbürtig sein, so dass man am Ende auch ohne ihn auskommt. Das war ja die Stimme der Versuchung schon ganz am Anfang, als die Schlange den Menschen den Kopf verdrehte: Gott gönnt es euch nicht, wie Gott zu sein. Schon damit fing der ganze Schlamassel an. Nein, auf Gott angewiesen sein, das macht den Menschen perfekt. Das macht ihn voll menschlich. Und damit voll angewiesen auf seinen Schöpfer und Versöhner. Das ist rundum unsere Vollkommenheit.

Wenn nun weiter gesagt wird: Liebt eure Feinde, so meint das nicht, wir sollten mit ihnen kuscheln, mit ihnen flirten. Übersetzen wir das besser so: Wir lieben sie damit, dass wir uns das Gesetz unseres Denkens und Tuns nicht vorschreiben lassen von ihnen. Wir lieben sie, indem wir ihnen das tun, was sie gegenwärtig nicht tun. Also was, wenn uns Feinde zusetzen? Um Himmels willen nicht dies, dass wir Gleiches mit Gleichem vergelten. „Tun dies nicht auch die Heiden.“ Damit akzeptieren wir nur ihre Feindschaft. Und wir geraten dadurch in eine Spirale der Gewalt. Und wir steigern so nur unsren Hass auf die andere Seite. Solange wir auf böse Gewalt bloß re-agieren, bleiben wir gefangen in ihren Netzen. Nein, „Vergeltet nicht Böses mit Bösem“ (1. Petr 3,5). Versöhnte leben anders. Sie sind frei zu agieren. Sie sind frei, zu tun, was weder die Einen noch die Anderen tun. Sie sind beweglich, sich das gerade jetzt Nötige einfallen zu lassen.

Was denn? Nun, Jesus sagt es direkt im Anschluss an sein Wort von der Feindesliebe: er stiftet uns dazu an: Betet für sie. Das ist ja ungeheuer. Wer kommt denn auf so etwas! „Betet für die, die euch kränken und wehtun.“ Betet für eure Feinde, für die, die gegen euch sind. Betet für sie, nicht gegen sie. So werdet ihr einiges zu schlucken haben? Nein, so werdet ihr„Kinder eures Vaters im Himmel“ sein. Um noch einmal auf Schiller zurückzukommen: Wird der Frömmste anders im Frieden leben als so, dass er für seine bösen Nachbarn, für seine Gegner, für seine Widersacher vor Gott eintritt und neben sie tritt.

Und haben wir für sie gebetet, dann geht uns ein Licht auf: Liebe deine Nächsten, damit ist nicht einfach unsre Fan-Gemeinde gemeint. Unsere Nächsten sind die, die Gott uns heute nahe rückt. Darunter könnte auch ein uns Widerwärtiger oder Unwillkommener sein, ein solcher, der uns als Feind vorkommt, dem wir darum feindselig begegnen. Beachten wir das, dann werden wir darüber nachdenken, was heute das Beste ist, das zu tun ist. Wofür wir gebetet haben, dafür werden wir uns einsetzen.


Eberhard Busch