Matthäus 6,25-34

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Gib deinen Sorgen Gute Nacht | 15. Sonntag nach Trinitatis | 08.09.2024 | Mt 6,25-34 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

Jesus von Nazareth reagierte auf verschiedene Fragen unterschiedlich. Er blieb gelassen bei der Frage zweier Jünger, ob er für sie Sitzplätze im Himmel reservieren kann. Er vergewisserte sie: „Nein, aber vermutlich die Mühseligen zuerst. Eure Sorge ist also unbegründet!“ Der Evangelist Matthäus berichtet in der Bergpredigt auch von anderen Fragen seiner Jünger, wie: „Was werden wir trinken, was werden was essen – und haben wir die richtige Mode im Schrank?“ Da platzte es aus ihm heraus: „Um sowas sorgen sich nur Heiden, kommt raus aus eurer Kleingläubigkeit!“ Dagegen empfahl er ihnen als besseres Ziel: „Sorgt euch nicht; hebt eure Perspektive. Pfeift auf die Engpässe, füllt eure Herzen mit Sehnsucht. Strebt nach dem Himmelreich und Gottes Gerechtigkeit, so wird euch all das zufallen!“

Jesus ändert das Ziel ihrer emotionalen Ausrichtung, wobei sie ihren Elan beibehalten sollen. Vor seinem Aufruf zur Neuorientierung entkräftet er ihre Sorgen, indem er ihnen Gottes Verlässlichkeit und Großzügigkeit vor Augen stellt. So sagt er: „Schaut auf die Vögel. Gott ernährt sie, obwohl sie weder säen noch ernten“ – was damals klassische Männerarbeit war. „Schaut auf die Lilien, Gott schenkt ihnen königliche Pracht, obwohl sie sich weder mühen noch spinnen“ – was damals klassische Frauenarbeit war. Und sinngemäß fügte er an: „Schaut auf die Vielfalt der Gräser, mit deren Stroh ihr eure Brot-Öfen betreibt. Ihr lasst es von kleinen Kindern einsammeln – doch warum seid ihr Gott gegenüber so infantil? Wenn ihr so auf Vögel, Lilien und Unkraut schaut, dann werdet ihr gelassener und mutiger. Unser himmlischer Vater weiß doch, was wir täglich bedürfen. Morgen ist ein neuer Tag, der hat dann seine eigene Plage. Aber ab heute: Trachtet einträchtig nach mehr!“

Jesus propagiert in seiner Bergpredigt keine naive Sorglosigkeit. Er predigt ein Basisvertrauen in Gott und lebt es auch vor. Gegen die Befürchtung, Gott habe nur in der Vergangenheit gehandelt, erweitert er den Sinn des Passahmahls. Bis dahin war es eine symbolische Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei, die aber verblasst war. Jesus deutet die beiden Bestandteile „Brot und Wein“ zuerst auf sich selbst, dann aber setzt er sie ein als Stärkung für Glaubensmut und Lebensmut. Brot und Wein stillen nicht die Sorgen „Was werden wir essen, was werden wir trinken?“ Doch „das Brot des Lebens“ und „der Kelch des Heils“ wecken in uns die Sehnsucht auf Gottes Reich und Gerechtigkeit. So sorgte Jesus vor für die Zeit seiner Abwesenheit.

Jesus fordert die Sorglosigkeit auch nicht als Ideal. Er selbst lebt überwiegend selbstlos, als Single unter der galiläischen Dauer-Sonne, als Wanderrabbiner ohne Familie und ohne Altersabsicherung. Er fordert seine Jünger nicht auf, Wüsten-Eremiten zu werden wie Johannes der Täufer oder die Bettelmönche des Mittelalters. Er übernimmt zwar die Botschaft seines Täufers: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Aber er übernimmt nicht dessen Askese und Weltflucht. Dagegen empfiehlt er die Taufe als Durchlass zu Gottes Himmelreich und als Vergewisserung gegen alle Verzagtheit. So sorgte Jesus vor für die Zeit seiner Abwesenheit.

Er hatte kühne Ideen für seine Jünger und seine Urkirche, wie sie sich entlasten können von ihren festgefahrenen Sorgen hin zu einer Utopie, die schon vorab mobil macht.

Dass das ein lebenslanger Prozess sein kann, erzählt das Alte Testament anhand des Joseph. Er war Sohn des Patriarchen Jakob und wurde von seinen Brüdern mittels einer Intrige in die Sklaverei verkauft. Er landete am Hof und im Gefängnis des ägyptischen Pharaos. Der hatte merkwürdige Träume, wozu er sich Joseph holen ließ, der sie wirtschaftspolitisch deutete. Zum höchsten Strategen erhoben, sammelte er in 7 fetten Jahren die Scheunen voll für die anstehenden 7 mageren Jahre. Joseph entschied sich für eine strategische Vorsorge. Doch was war dabei sein innerster Antrieb? Nicht das Himmelreich, wie es Jesus im Neuen Testament propagierte, aber seine Rückkehr in die versöhnte Sippe seines Patriarchen-Vaters.

Joseph und Jesus – beide haben eine Vision, eine Utopie, die unerreichbar scheint. Aber sie bündeln ihre Hoffnung, machen unterwegs rationale Dinge und nähern sich so dem Ziel, dass sie magisch anzieht. Beide spornen uns an, unser inneres Streben neu auszutarieren. Von falscher Vorsorge hin zum satten Vertrauen. Vom ständigen Grübeln hin zum utopischen Hoffen. Aus Vorfreude, aus Dankbarkeit, als Seelen-Hygiene.

Wir klären unsere Seelenlage, wenn es uns gelingt, von miesen Redensarten auf Worte der Gewissheit zu wechseln, vom Katastrophenmodus in den Horizont der Verheißungen hinein. Wir betreiben Seelenhygiene, weil wir so vom Kreisen-um-uns-selbst ausscheren auf eine „roadmap“ zu einem externen Ziel.

In den verregneten Sommerwochen beobachtete ich ein Nachbarskind, dass frustriert aus dem Fenster schaute, tagelang. Dann war es für einige Zeit nicht mehr am Fenster zu sehen. Es hatte sich zum Malen entschlossen, und als die Sonne schien, kam es mit Straßenmalkreide vor die Tür. Es malte um den Baum unseres Vorplatzes große konzentrische Kreise, die es dann unablässig mit seinem Kindertraktor befuhr. Weg vom Frust hin zu einem Entwurf, von der Wegemarkierung zum fröhlichen Ausagieren.

Jesu neues Ziel für uns: „Sorget nicht, aber trachtet!“ spricht uns an auf unsere Fähigkeit zu dieser Eigensteuerung. Dabei klären sich unsere Gefühle und Stimmungen. Ein bekanntes Lied begleitet uns dabei. Der Anfang ist unser Eingeständnis, dass „Sorgen und selbsteigne Pein“ sich nicht lohnen. Dann fordern wir uns selbst auf: „Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen Gute Nacht!“ Das Bild unserer Selbstklärung zeigt sich dann symbolisch: „Gott gibt dir selbst die Palmen in deine rechte Hand, und du singst Freudenpsalmen dem, der dein Leid gewandt.“ Dieses Lied „Befiehl du deine Wege“ liest sich in seinen 12 Strophen wie das Protokoll einer seelischen Genesung. Dabei kommt die Heilung nicht aus uns selbst heraus, sondern weil ein Heilungsmodell uns entgegenkommt. Jesus benennt es so: „Richtet euch auf und erhebt eure Häupter, weil eure Erlösung naht!“

Wir richten uns auf und wagen erste Schritte, auch wenn wir unterwegs uns vor Überforderungen fürchten. Dazu hilft uns, in Jesu Weisung etwas Wichtiges zu unterscheiden. Er stellt zwei erstrebenswerte Ziele nach vorne, sowohl Gottes Reich als auch seine Gerechtigkeit. Das hört sich wie eine Doppelung an, zweimal dasselbe, doch mit einem großen Unterschied. Jesus weitet das Himmelreich – Gottes Handlungsfeld – zur Ermutigung für uns. Dagegen zeigt sich seine Gerechtigkeit in unserm Tun und Lassen. Sein Reich hat in ihm Bestand, das Tun des Gerechten liegt vorab in unserer Hand. Diese Unterscheidung hilft uns. Denn unser Trachten ist dann in unsere Lebensführung eingebettet, es macht uns nicht passiv. Das Himmelreich ist dabei keine zusätzliche Bürde, sondern eine Kraftquelle. Unser Weg und seine Kraft wirken aufeinander, wie ein Liedvers sagt: „So steigt ihr frei mit ihm hinan zu lichten Himmelshöhn. Er uns vorauf, er bricht uns Bahn – wer will ihm widerstehn?“

Wie hörten Jesu Zuhörer seinen Appell? „Trachtet ab heute neu und einträchtig auf das Himmelreich und Gottes Gerechtigkeit!“ Dazu hörten seine engsten Jünger die Beispiele von den sorgenfreien und bunten Vögeln und Lilien ganz direkt. Sie hatten zwar Job und Familie verlassen – aber selbst sie musste er neu radikalisieren. Um sie drumherum können wir uns die Leser des Matthäus vorstellen, als Urchristen der 2. Generation. Die lebten „auf eigener Scholle“, wie haben sie in ihrer Sesshaftigkeit Jesu Radikalität verstanden? Und wir bilden als Wohlstandsbürger einen weiteren Kreis um den Bergprediger herum. Auch uns macht er Appetit auf einen alternativen Lebensstil – in seinem Sinn. Der wird nicht sorglos sein, aber erfüllt von seiner himmelweiten Güte und Gerechtigkeit.

Die Sorgen-Fragen der Jünger Jesu hat die holländische Band „Bots“ so umformuliert: „Was sollen wir trinken, sieben Tage lang?“ Aber anstatt ein Getränk zu benennen, besingen sie ihre Ziele: „Es wird genug für alle sein, wir trinken zusammen, nicht allein. Dann wollen wir schaffen, sieben Tage lang, komm fass an. Und dass wird keine Plagerei, wir schaffen zusammen sieben Tage lang. Jetzt müssen wir streiten, keiner weiß wie lang; Ja, für ein Leben ohne Zwang. Dann kriegt der Frust uns nicht mehr klein, wir halten zusammen, keiner kämpft allein!“

Ich will dieses Kneipenlied nicht christlich taufen, mir gefällt aber die Abwendung vom Einsamkeitstrinken zum kollektiven Anstoßen, die Absage gegen Plagerei und Zwänge und vor allem die „sieben Tage“. Sie erinnern an die 7 Tage des Schöpfungsberichts und sind übertragbar auf Gottes Neue Schöpfung. Auf die Erschaffung eines attraktiven Himmels und einer neuen Erde, auf der uns das Tun des Gerechten besser gelingen wird als bisher. Amen

Die Homepage „haltefest.ch“ zählt insgesamt 40 Fragen der Jünger Jesu auf; „Was sollen wir trinken“ – bretonisches Trinklied von 1929, 1970 bearbeitet von Alan Stivell, 1976 eingespielt von „bots“; Liedtexte aus dem EG: Paul Gerhardt und August Hermann Francke

Vorschlag für Lieder:

EG 394 Nun aufwärts froh

EG 361 Befiehl du deine Wege

Ich werfe meine Fragen hinüber

Vorschlag für ein Gebet (von den Fidschi-Inseln):

siehe: https://graefensteinberg-evangelisch.de; Gebete in Angst, Schwermut und Einsamkeit

Gott, du hast mich ins Dasein gerufen,
mir einen Auftrag gegeben für mein Leben,
einen Auftrag, den sonst niemand erfüllen kann.
Ich habe eine Sendung fürs Leben.
Vielleicht erkenne ich diese Sendung nicht deutlich,
doch einmal wird sie mir klar werden.
Nicht unnütz oder wertlos bin ich ins Dasein gestellt,
sondern als Glied einer langen Kette,
Brücke zwischen Menschen und Generationen.
Gott, mir ist das Gute aufgetragen:
Dein Werk zu vollenden,
Frieden zu bringen,
Gutes zu tun,
der Wahrheit zu dienen,
dein Wort zu leben,
wo immer ich bin, wo immer ich sein werde.
Sende Du uns dazu Deinen Heiligen Geist,
damit uns unsere Sendung gelingt. Amen

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geboren 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium Theologie und Soziologie in Wuppertal und Bonn. Mitarbeit bei Christival und DEKT. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Podcaster, Musiker und Arrangeur.