
Matthäus 7,22-29
8.Sonntag nach Trinitatis | 21.07.24 | Mt 7,22-29 (dänische Perikopenordnung) | Anna Jensen |
Mit Christus als dem Felsen
Es ist Sommer. Es ist schön, ins Freie zu kommen und Sand zwischen den Zehen zu spüren. Dänemark hat mehr als 8000 km Küste, und viele haben das Glück, ein Sommerhaus am Meer zu haben. An einem Tag, wo die Sonne scheint, ist es schön, aufzuwachen und an den Strand zu laufen zu einem ersten Bad im Meer. Das salzige Meer, der blaue Himmel, der warme Sand, der Duft der Hagebutten, ja das ist Dänemark, wenn es am schönsten ist.
Im Oktober 2023 wurden die Küsten an der Ostsee von einer historisch gewaltigen Sturmflut heimgesucht. Mehrere Tage lang hatte es kräftig vom Westen gestürmt, das Wasser aus dem Kattegat wurde in die Ostsee gedrückt. Als der Wind nach Osten drehte, wurde das Wasser in die südlichen Belte gedrückt, und das wurde zu einer Sturmflut, die Sommerhäuser und Boote zerstörte, Deiche durchbrach und große Gebiete überschwemmte. Die Schäden waren enorm, und wir sind immer noch nicht fertig mit dem Aufräumen. In vielen Jahren sind die Preise von Sommerhäusern mit Meerblick gestiegen, aber nun mussten die Besitzer feststellen, dass der Wert ihrer Häuser gefallen ist, denn wer will schon ein Sommerhaus besitzen, das auf Sand gebaut ist? Nun bauen wir Küstenschutz und bereiten uns auf die nächste Sturmflut vor. Dann sehen wir, wer sein Haus gut genug gesichert hat, denn die nächste Sturmflut wird kommen!
Der Predigttext dieses Sonntags stammt aus dem Ende der Bergpredigt.
Der Tag des Gerichts wird kommen, sagt Jesus, an diesem Tag soll der Baum an seinen Früchten erkannt werden. An diesem Tag werden sich viele auf den Namen Jesu berufen: „Haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan?“ An diesem Tag wird Jesus ihnen sagen, was Sache ist: „Weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet“. Das Urteil Jesu ist hart, denn die, die Jesus am Tage des Gerichts bitten, meinen nicht selbst Böses getan zu haben. Nein sie haben ja eben Gutes getan, Dämonen ausgetrieben, im Namen Jesu prophezeit. Warum also meint Jesus, dass sie das Gesetz übertreten haben?
„Nicht jeder kommt in das Himmelreich, sondern nur der, der den Willen meines Vaters tut“. Das Gesetz brechen ist also, den Willen Gottes nicht zu tun. Gottes Wille ist Güte, Milde, Geduld, Demut, Nachsicht, vor allem aber Liebe. Nach dem Matthäusevangelium sind die Werke wichtig, aber am wichtigsten ist, dass sie aus Liebe geschehen. An seinen Früchten soll man den Baum erkennen, wie es kurz vor unserem Predigttext heißt.
Der Philosoph Immanuel Kant meinte nicht, dass man Religion braucht, damit ein Mensch Ethik und Moral hat. Er meinte, dass die Gebote der Moral gelten, nicht weil sie von Gott gegeben sind, sondern weil sie logisch sind. Z.B. sollst du nicht stehlen, denn wenn alle dauernd stehlen würden, könnte niemand etwas besitzen, und damit könnte auch niemand etwas stehlen. Kant meinte auch, wenn eine gute Tat für einen anderen Menschen getan wird, also ein gutes Werk, ist das Werk gut, wenn es dem anderen Menschen nutzt, ganz gleich welche Absicht dahinter steht.
Viele Jahre in meinem Leben war ich einig mit Kant. Wenn wir hier in der Kirche Geld sammeln für die Armen in Afrika, spielt es keine Rolle, warum wir etwas geben. Es spielt für den Empfänger keine Rolle, ob wir deshalb etwas geben, weil wir uns selbst für gut halten, ob es aus Mitleid geschieht, oder weil andere es auch tun oder weil Gott es uns geboten hat. Die Armen freuen sich über das Brot, ganz gleich in welcher Absicht es gegeben ist. In den letzten Jahren aber sind beim mir Zweifel aufgekommen. Ja, die Armen freuen sich noch immer über das, was sie bekommen, aber vielleicht könnten wir ihnen etwas Besseres und mehr als Brot geben?
Vor ein paar Monaten war das eine Sache, die die Medien beschäftigte. Ein Heim für Behinderte in Nordseeland wurde für den Besitzer zu einem Riesengeschäft. Die Behörden bezahlten Unsummen für Aufenthalt und Pflege behinderter Bürger, aber es zeigte sich, dass der Besitzer viel Geld einnahm, indem er z.B. seine eigenen Pferde an das Heim vermietete, Honorar erhielt für die Pflege seiner eigenen Pferde, die im Übrigen kostenfrei auf dem Areal des Heims weideten. Die Bewohner erhielten keineswegs die Pflege und das Training, für das man bezahlt hatte, und deshalb war die Entrüstung groß. Kann es erlaubt sein, dass einige sich selbst bereichern auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft? Soll es erlaubt sein, dass man an Fürsorge verdient? Sollen Krankenhäuser, Heime, Rettungsdienste für ihre Dienste Millionen für private Besitzer verdienen? Die Entrüstung ist groß, aber ist das etwas ganz anderes als wenn wir Geld verdienen für die Dienste und Leistungen, die wir anderen verkaufen?
Jesus warnt uns im heutigen Text: Baut euer Haus nicht aus Sand, denn der Wolkenbruch wird kommen, die Fluten werden steigen und das Haus wird fallen. Wir sollen auf dem Fels bauen, d.h. auf Christus. Ein Haus, das auf solidem Fundament steht, auf einem Felsen, wird fest stehen an dem Tag, wo der Sturm kommt und auf das Haus trifft. Wir sollen auf dem Fels bauen, nicht weil wir den Tag des Gerichts fürchten, nein, denn das Gericht ist schon jetzt. Häuser, die auf Sand gebaut sind, sind gebaut auf Selbstliebe, auf der Jagd nach Geld und Anerkennung anderer. Nicht allen gelingt es, aus Fürsorge ein Geschäft zu machen. Einige sind aufrichtig und wünschen das Beste für ihre Mitmenschen, aber sie geben auf, wenn die Schwierigkeiten groß sind. Mit den Schwächsten in der Gesellschaft zu arbeiten ist hart, die Ernte ist groß und die Arbeiter wenig. Man kann in Zweifel geraten, ob die Hilfe, die man leistet, überhaupt ausreicht. Wenn man erst sieht, wie viele Schwache wir in der Gesellschaft haben, Obdachlose, Arme, Drogensüchtige, Alkoholiker, so wirkt unsere Hilfe wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Einige Idealisten beginnen private Spendensammlungen für Kinder in der Ukraine oder Flüchtlinge in Palästina, laufen aber Gefahr, von geldgierigen Hintermännern ausgenutzt zu werden, wenn die Gelder in Wirklichkeit an Terrororganisationen und Korruption gehen. Die Armen freuen sich über das Geld, das sie bekommen, insoweit bin ich einig mit Immanuel Kant. Aber ich glaube, dass die Hilfe stärker und dauerhafter ist, wenn die Hilfe von Herzen kommt. Wenn wir nur geben, um ein Bedürfnis in uns selbst zu befriedigen, ist die Gefahr groß, dass wir dabei müde werden, Leere empfinden und keine wirkliche Fürsorge. Wir brauchen fast übernatürliche Kräfte, damit wir weiterhin von Herzen gut sind.
Christus ist unsere Herzensstärkung. Wir sollen auf Christus bauen, auf den Felsen, nicht auf uns selbst und unseren eigenen Stolz, denn wir laufen Gefahr, dass all unsere Mühe im Sand verläuft. Christus ist der Felsen. Er ist es, der uns am Tage des Gerichts trägt. Sowohl an dem Tage des Gerichts, der kommen wird, als auch dem, der schon heute ist. Schon jetzt ist Christus bei uns in seinem Geist. Schon heute können wir uns an ihn wenden mit unserer Müdigkeit, erlahmender Fürsorge und unserer Verhärtung gegenüber unseren Mitmenschen. Er beugt sich nieder zu uns und ist eins mit uns, nimmt unsere Sünde auf sich und lässt uns teilhaben an der himmlischen Freude. Und schiebt uns sanft wieder aus der Kirche. So dass wir im Nahkampf des Alltags das gute Werk tun und die liebenden Früchte Gottes tragen können
Dänemark ist ein Flachland. Hier sind keine Felsen, auf denen man bauen kann, abgesehen von Bornholm, der Felseninsel in der Ostsee, aber da ist nicht Platz für alle. In Dänemark müssen wir buchstäblich unsere Häuser auf Sand bauen. Wir genießen das Meer, die Sonne, den Sand und den Himmel, und wir bauen Deiche und Küstenschutz, um das zu schützen, was uns gehört. In gleicher Weise sollen wir den Schatz bewahren, den wir im Himmel bekommen haben. Jesus hat uns einen Platz in seinem Reich gegeben, und wir sollen einander und ihm einen Platz geben, ihm, der der Fels in unserem Leben ist. Amen.
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Pastorin Anna Jensen
5230 Odense M
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